„Heulsuse des Tages“ oder Sabotage der Linken durch die „junge Welt“
Die junge Welt verspottet Ramelow, weil er die Lebensverhältnisse der Menschen verändern will, statt einem sektiererischen Katechismus zu folgen.
Wer Kompromisse sucht, gilt dort als Ketzer. So sabotiert man linke Politik – im Namen der reinen Lehre, fern jeder Realität.
Die junge
Welt gehört zu jenen Überresten der Linken, die nicht nur an den
Weltuntergang glauben – sie erwarten ihn voller Sehnsucht. Nicht aus
Pessimismus, sondern aus Notwehr: Wenn alles in Trümmern liegt, muss man nichts
mehr erklären. Politik wird dort betrieben wie ein Gottesdienst im Angesicht
der Apokalypse – Kompromisse gelten als Ketzerei.
Dass Bodo Ramelow zur „Heulsuse des Tages“ erklärt wurde, passt ins Weltbild. Wer nicht unentwegt gegen das Bestehende wettert, sondern versucht, es unter Schmerzen ein wenig zu verbessern, wird nicht kritisiert – sondern verspottet. Weil er die Wirklichkeit nicht als Bühne für große Reden versteht, sondern als Ort für kleine Siege.
Aus dem Scheitern der DDR hat die junge Welt eines nicht gelernt: Dass Reformfähigkeit der Anfang jeder Glaubwürdigkeit ist. Stattdessen schreibt sie Kommentare wie aus einem Katechismus: Der Klassenfeind – überall, auch im eigenen Zentralkomitee. Ramelow, der zehn Jahre regierte und gestalten wollte, hat vor allem eines getan: nicht in ewiger Opposition zu verharren. Das genügt, um als Verräter zu gelten.
Die Kolumne „Heulsuse des Tages“ ist kein Beitrag zur Debatte, sondern das, was dort als Dialektik gilt: Spott statt Argument, Hohn statt Analyse. Der Autor – ein Scharfrichter ohne Fallbeil – verlacht Ramelows Nachdenken über den Zustand seiner Partei mit infantiler Lust an der Bloßstellung. Kein Gedanke daran, dass Selbstzweifel ein Akt politischer Verantwortung sein könnten. Kein Interesse daran, warum jemand, der mit Direktmandat 42 % holt, sich fragt, ob ihn die Partei verlässt.
Die
Botschaft: Wer reformiert, ist verdächtig. Wer differenziert, bereits verloren.
Wer Kompromisse macht, hat das Kapital im Blut. Und wer leidet, zeigt Schwäche
– nicht Charakter.
In ihrer Gnadenlosigkeit ist die junge Welt das, was die Rechte immer über die Linke behauptet: Eine Bewegung, die sich selbst genügt, weil ihr nichts genügt. Sie kann nicht führen, weil sie nur folgen will – der letzten reinen Lehre. Ihre Texte sind Notwehrreflexe gegen alles, was komplizierter ist als Klassenkampf. Politik? Nein – Pose.
Wer nur Utopie kennt, hält das Mögliche für Verrat. Und wer, wie die junge Welt, die Wirklichkeit so verachtet, wird von ihr ignoriert – und vom Wahlvolk gleich mit. Das Ergebnis: Sektierertum in Reinform. Und Ramelow? Der war nie Revolutionär, aber immerhin jemand, der die Straße kannte und das Amt aushielt. Offenbar reicht das heute, um als „Heulsuse“ geschmäht zu werden.
Die junge Welt hält Sarkasmus für Strategie und Hohn für Haltung. Doch der Markt lacht zuletzt – und nicht mit. Die Frage ist nicht, ob Ramelow gekränkt ist. Die Frage ist:
Warum zieht es die deutsche Linke immer wieder auf die Anklagebank, wenn sie längst auf der Regierungsbank sitzen könnte?
Sie hat nichts mehr zu verlieren – außer ihrem ohnehin geringen Einfluss. Und der Teil, der der jungen Welt Beifall klatscht, sorgt zuverlässig dafür, dass auch der noch verschwindet.