Auf die Straße für Gaza? Eine Antwort an die Linken-Vorsitzenden
TL;DR:Ihr wollt auf die Straße für Gaza? Dann sagt auch, ob mit oder ohne Hamas. Kein Wort zum 7. Oktober, kein Wort zu Geiseln, kein Wort zum iranischen Vernichtungswahn. Ihr fordert Differenzierung – dann fangt endlich bei euch selbst an.
Liebe Ines, lieber Jan,
eure Rundmail der Bundesgeschäftsstelle an den Mitglieder-Verteiler,
unterschrieben im Namen der Parteivorsitzenden, beginnt mit Pathos, endet mit
Parolen – und verfehlt dazwischen jede Differenz, jede moralische Orientierung,
jedes politische Maß. Ihr schreibt, Israel habe völkerrechtswidrig den Iran
angegriffen, Gaza liege in Schutt und Asche, die Bundesregierung liefere Waffen
an einen Premier, gegen den ein internationaler Haftbefehl vorliege. Alles
richtig? Vielleicht. Alles vollständig? Mitnichten.
Denn was ihr nicht schreibt, ist das Entscheidende. Kein Wort über das
antisemitische Massaker der Hamas vom 7. Oktober. Kein Wort über 1.200
ermordete Bewohner*innen Israels. Kein Wort über Geiseln in Tunneln, über Leichen,
die Hamas aus Israel verschleppte und nun als Verhandlungsmasse benutzt. Kein
Wort über den Vernichtungswillen eines iranischen Regimes, das Jahr für Jahr am
Al-Quds-Tag verkündet, Israel müsse „von der Landkarte verschwinden“ – ein
Satz, den man nur als Programm zum Völkermord lesen kann. Ihr nennt das
„Präventivschlag“. Ich nenne es: historisches Gedächtnis.
Wer wie ihr 2.000 Worte für Frieden kennt, aber kein einziges für die
Realität jüdischen Lebens in Israel unter Bedrohung durch Islamisten findet,
der betreibt keine linke Politik – der betreibt linke Realsatire. Ihr
protestiert gegen Waffenexporte an Israel, aber nicht gegen die Waffenarsenale
der Hamas in Schulhöfen und Moscheen. Ihr ruft auf zur Straße „für Gaza“, aber
schweigt zu jenen Palästinenser*innen, die sich gegen die Hamas stellen – und
dafür mit dem Leben bezahlen.
Wo war euer Aufruf, als am 18. April in Stuttgart Palästinenser*innen gegen
die Hamas demonstrierten – mutig, aufrecht, einsam? Dort, wo die LINKE gefehlt
hat. Vielleicht wart ihr gerade damit beschäftigt, das nächste Protestplakat
gegen den jüdischen Staat zu entwerfen.
Ihr wollt keine Doppelstandards? Dann fangt bei euch selbst an. Denn ihr
messt mit zweierlei Maß: Die Ankündigung eines NATO-Manövers oder die Verlegung
einer US-Einheit an die Grenze irgendeiner menschenmordenden Diktatur füllt bei
euch Parteitagsreden. Der von Teheran seit 1979 angekündigte Genozid an Israel
– und an den Menschen, die dort leben – bleibt kommentarlos.
Wollt ihr ein Gaza mit Hamas? Oder wollt ihr es nicht – und habt es nur
„vergessen zu erwähnen“? Was ist so schwer daran, ein bisschen, nur ein kleines
bisschen zu differenzieren? Vielleicht habt ihr einfach den moralischen Kompass
verloren. Vielleicht war er nie richtig eingenordet.
Ich bin mein Leben lang ein emanzipatorischer Linker – und habe nicht vor, das
zu ändern. Darum war ich auch nie so blind, das Existenzrecht Israels einem
falsch verstandenen Antikolonialismus zu opfern.
Wenn ihr euch heute „für Gaza“ auf die Straße stellt, dann stellt euch bitte
nicht hinter die Hamas. Nicht hinter die Mörder. Nicht hinter die, die in Gaza
nicht für die Palästinenser*innen sprechen, sondern über sie herrschen wie
Herrenmenschen.
Ihr wollt auf die Straße gehen? Bitte. Aber geht zuerst in euch.
Ein Linker, der nicht vergessen hat, was „Nie wieder“ bedeutet.