Ramelow, Gysi und Bartsch „Antisemitismus ist keine Meinung“

TL;DR: Ramelow, Gysi & Bartsch ziehen in Rostock eine rote Linie: Antisemitismus ist keine Meinung. Klare Worte zur Hamas, Israel, den Jesiden – spät, aber unmissverständlich. Die LINKE ringt mit sich selbst. Ob’s hält? Entscheidet sich nicht an einem Abend.

Ramelow, Gysi & Bartsch positionieren sich gegen Antisemitismus in der Linken, mit deutlichen Worten zu Israel, Islamismus und historischer Verantwortung.


Ramelow, Gysi und Bartsch ziehen eine rote Linie auf Veranstaltung in Rostock – mit späten, aber klaren Worten. Bericht zu „Das ist völlig inakzeptabel!“ Mission Silberlocke im Kampf gegen jeden Antisemitismus und Rassismus. Veranstaltung am 13.12.25 in Rostock

Drei Männer, zwei Themen, viele Abgründe. Bodo Ramelow, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch traten in der Hansestadt vor ihr Publikum, um über das zu sprechen, was viele in ihrer Partei lange wegmoderieren wollten: Antisemitismus in der Linken, in ihren Jugendverbänden, in ihren Illusionen. Der Titel der Veranstaltung? „Das ist völlig inakzeptabel!“ – eine politische Grenzziehung, rhetorisch ebenso wie moralisch.

Was war los? Eine Partei, die sich einst als Anwältin der Schwachen verstand, sieht sich selbst unter Verdacht – nicht nur von außen. Der Vorwurf: mangelnde Klarheit beim Thema Israel, diffuse Solidaritäten mit islamistischen Gruppen, ein laxes Verhältnis zur Geschichte.

Die Aufklärung beginnt mit den Frauen

Ich habe im Bundestag für die Jesiden gesprochen“, beginnt Ramelow. Was folgt, ist keine Feier der interreligiösen Vielfalt, sondern eine Anklage: gegen die Täter des IS, gegen jene, die sexualisierte Gewalt zur Kriegswaffe machen, und gegen diejenigen, die das „noch für eine Form vonBefreiung halten“.

Ramelow stellt die Vergewaltigung jesidischer Frauen neben die Gewalt auf dem Nova-Festival. Es geht um Muster, nicht um Einzelfälle: „Esging gar nicht darum, politisch einen Befreiungsschlag zu führen… es gingdarum, Frauen zu zerstören.“ Gegen diese Art des „schovinistischen Terrors“ zieht er eine klare Linie: Wer das als Widerstand begreife, habe „mitFeminismus überhaupt nichts zu tun.

Er bringt auch die kurdischen Selbstverwaltungsprojekte ins Spiel – nicht als Romantisierung, sondern als Kontrastfolie. Dort, wo Frauen gleichberechtigt sind, könne man nicht von Islamismus sprechen. Diese Argumentation ist nicht neu, aber gut platziert: Sie zwingt zur Differenzierung.

Gysi, erfahrener Rhetor unter Widersprüchen, verlagert den Fokus. Für ihn ist das zentrale Argument: Schutz durch Staatlichkeit. „Deshalbhatten die Juden über Jahrtausende Schwierigkeiten, weil sie keinen Staathatten.“ Wer heute das Existenzrecht Israels infrage stelle, so Gysi weiter, wolle letztlich auch den Schutz jüdischen Lebens abschaffen.

Und er wird deutlich – fast so, als wäre ihm endlich der Kragen geplatzt: Die Forderung des Jugendverbandes, die Staatsgründung Israels rückgängig zu denken, sei „pervers“.

Gleichzeitig bleibt Gysi bei einer problematischen Figur: der moralischen Äquidistanz. Wenn Hamas sich hinter Zivilisten verstecke, sei das ein Kriegsverbrechen. Wenn Israel zurückschlage – auch. Dieser Satz ist grammatisch korrekt, politisch aber heikel. Denn er nivelliert Unterschiedliches: planmäßigen Mord und militärische Reaktion.

Dass Gysi diesen Vergleich zieht, ohne eine historische Einordnung der Shoah oder des Antisemitismus im Nahen Osten zu liefern, ist nicht nur eine rhetorische Leerstelle. Es ist – im Lichte seines sonstigen Scharfsinns – eine bemerkenswerte Abwesenheit von Begriffsklarheit.

Wer „links“ sagt, darf „Antisemitismus“ nicht relativieren

Dietmar Bartsch hält sich – wie so oft – an das Skript der Verantwortung. Sein zentraler Satz: „Jegliche Form von Antisemitismus ist undbleibt inakzeptabel.“ Das klingt nach Parteitagsbeschluss, ist aber in dieser Deutlichkeit nicht selbstverständlich.

Er liefert das, was die Partei derzeit braucht: klare Abgrenzung, keine semantischen Grauzonen. Wer sich in der Linken antisemitisch äußert, so Bartsch, „ist nicht mehr links“. Punkt.

Doch auch Bartsch weiß: In der Öffentlichkeit ist das Bild ein anderes. „Nach außen machen wir nicht den Eindruck von Ramelow, Gysi undBartsch.“ Der Satz wirkt wie eine Selbstbeschreibung mit politischem Gruß an das restliche Spitzenpersonal.

Was bedeuten diese Aussagen? Zunächst: Die LINKE bewegt sich – endlich. Sie benennt, was lange beschwiegen wurde. Der Verweis auf das Existenzrecht Israels, die Ablehnung islamistischer Bündnisse, die Kritik an regressiven Narrativen innerhalb der eigenen Jugend – das sind keine Nebensätze mehr. Sie werden zum Prüfstein.

Zugleich aber: Der Diskurs bleibt nicht frei von Ambivalenz. Gysis Versuch, Gleichheit im Unrecht herzustellen, riskiert eine Relativierung, die den Blick auf den Antisemitismus als Struktur verstellt. Und Ramelows empathischer Blick auf die Jesiden – so berechtigt er ist – ersetzt keine Analyse darüber, warum Teile der Linken sich mit islamistischen Akteuren überhaupt identifizieren konnten.

Der Reflex, sich gegen die „Zentralratslogik“ (man erinnere sich an frühere Grabenkämpfe) abzugrenzen, war einmal Standard. Nun wird daraus ein Bekenntnis: Wer links ist, schützt jüdisches Leben – und zwar zuerst.

Die Veranstaltung war ein Wendepunkt – oder will einer sein. Ob diese Klarheit Bestand hat, wird sich nicht an einem Abend in Rostock entscheiden. Sondern an den kommenden programmatischen Entscheidungen, der Arbeit in den Jugendstrukturen – und der Frage, wie die Partei mit der eigenen Vergangenheit umgeht.

Denn Antisemitismus beginnt nicht erst beim Schuss. Er beginnt beim Applaus für die falschen Befreier.

 

 

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