Galgenhumor aus der Knesset

TL;DR: Ben-Gvir trägt Schlingen, nicht aus Solidarität, sondern als Symbol einer Politik, die lieber auf Galgen statt Gerechtigkeit setzt. Wenn Gesetze selektiv töten, stirbt nicht nur der Täter – sondern der Anspruch auf Demokratie gleich mit.

Ben-Gvir trägt Schlingen, nicht aus Solidarität, sondern als Symbol einer Politik, die lieber auf Galgen statt Gerechtigkeit setzt. Wenn Gesetze selektiv töten, stirbt nicht nur der Täter – sondern der Anspruch auf Demokratie gleich mit.


Wenn die Schlinge zum Symbol der Gesetzgebung wird, ist das kein schlechter Witz, sondern israelische Innenpolitik unter Itamar Ben-Gvir.

Itamar Ben-Gvir trägt jetzt Schleifen. Nicht zur Feier des Friedens, nicht zur Mahnung an Solidarität. Seine Anstecknadel, golden glänzend und schlingenförmig, ist nicht Symbol, sondern Drohung. Während regierungskritische Israelis gelbe Bänder für die Geiseln im Gazastreifen tragen, setzt der Minister für nationale Sicherheit auf einen anderen Ton: Henkergold am Revers. Das ist kein Zufall, sondern Kalkül – und ein Satzzeichen in eigener Sache. Man darf vermuten, dass es ein Ausrufezeichen sein soll.

Der Anlass: Am 1. November 2025 hat der Sicherheitsausschuss der Knesset einen Gesetzesentwurf zur Einführung der Todesstrafe vorangebracht. Nur zehn Tage später – am 10. November – wurde er in erster Lesung verabschiedet. Danach verteilte Ben-Gvir Baklava. Es war sein Zuckerbrot nach dem politischen Stock. Und der trug Schlaufe.

Vom Galgen zur Gesetzesgrundlage

Der Gesetzentwurf stammt aus dem Stall der Kahanistischen Partei Otzma Yehudit, ideologischer Nachlassverwalterin des Rabbi Meir Kahane, dessen „Kach“-Bewegung einst wegen Rassismus verboten wurde – heute aber wieder Platz nimmt im Gesetzgebungsgremium. Die Schlinge also nicht nur als modisches Statement, sondern als Zeichen der ideologischen Klammer. 

Das Gesetz zielt auf palästinensische Täter, ohne sie namentlich zu nennen – und auf israelische Opfer, sehr wohl mit Staatsbürgerschaftsvoraussetzung. Wer also einen ständigen Einwohner oder Touristen tötet, wird nicht mit dem Tod bestraft. Mord ist offenbar nicht gleich Mord. Es zählt, wen man tötet – und wer man ist.

Damit nicht genug: Das Gesetz macht die Todesstrafe zur zwingenden Folge, sofern bestimmte nationalistische Motive nachgewiesen werden. Kein Ermessen. Kein Abwägen. Kein Spielraum. Nur noch Galgenlogik.

In Israel existiert die Todesstrafe bereits – theoretisch. Seit der Hinrichtung von Adolf Eichmann im Jahr 1962 blieb sie „law in the books“. Kein Staat, der sich als Demokratie versteht, wollte die symbolische Waffe in die Handlungen überführen. Bisher.

Jetzt soll die Theorie zur Praxis werden. Der neue Entwurf ändert Paragraf 301A des israelischen Strafgesetzes: Wer einen Israeli aus Hass gegen das Volk oder den Staat ermordet, muss sterben – „mit dieser Strafe allein“. Diese Formulierung eliminiert richterliches Ermessen. Nicht einmal für Nazis und ihre Helfer war die Todesstrafe in Israel je verpflichtend.

Dass der Gesetzentwurf gleichzeitig vorschlägt, Militärgerichte im Westjordanland könnten Todesurteile künftig mit einfacher Mehrheit fällen, macht die Sache nicht rechtstaatlicher. Diese Gerichte bestehen oft aus Offizieren im Reservedienst, nicht aus ausgebildeten Juristen – und sie operieren nach Besatzungsrecht, mit stark reduzierten Garantien.

Die Gefahr von Fehlurteilen? Offenkundig. Die Abschaffung der Einstimmigkeit? Ein weiterer Schlag gegen ein ohnehin poröses Verfahren. Dass sich das israelische Strafrecht damit von der Idee der Gerechtigkeit verabschiedet, liegt nicht nur nahe – es ist Programm.

Offiziell dient die Gesetzesänderung der Abschreckung. Doch es gibt keine belastbare Evidenz, dass die Todesstrafe Anschläge verhindert. Stattdessen taucht in der Gesetzesbegründung ein Begriff auf, der die Richtung markiert: „dieWiederbelebung des jüdischen Volkes in seinem Land. Das ist nicht Rechtsprechung, das ist Heilsgeschichte. Und sie richtet sich, erneut, nicht nach Taten – sondern nach Identitäten.

Ben-Gvirs Lieblingsargument, dass Terroristen sich auf Freilassung im Gefangenenaustausch freuen könnten, wirkt wie das Echo eines YouTube-Kommentars, nicht wie ein rechtsstaatliches Motiv. Aber vielleicht geht es auch nie um mehr gewesen als um eine neue Rhetorik der Härte: Israel zeigt Zähne, solange es nicht beißt.

Der Staat hat dabei Erfahrung. Der Soziologe Ron Dudai zeigte, dass der politische Nutzen der Todesstrafe meist in ihrer bloßen Existenz lag – nicht in ihrer Anwendung. Sie droht – sie handelt nicht. Macht ohne Ausführung, Gewalt ohne Blut. Eine symbolische Drohgebärde, die sich nicht die Hände schmutzig macht.

Und wenn doch?

Denn was geschieht, wenn die Drohung zur Realität wird? Auch das weiß Israel: Shalom Nagar, der Mann, der 1962 Eichmann hinrichtete, sprach später von tiefem Trauma, religiösem Rückzug – und davon, dass man ihn nicht gewählt hätte, wäre er europäisch gewesen. Ein jemenitischer Jude als Henker – nicht aus Zufall. Auch das war Teil der Geschichte. Auch das war Symbolpolitik.

Heute bleibt offen, wer die Rolle des Henkers übernehmen wird. Die Frage ist nicht juristisch, sondern moralisch: Wer setzt ein Urteil um, das aus ideologischen Gründen gefällt wurde? Wer kann es? Wer will es?

Und: Was geschieht mit einer Gesellschaft, die sich angewöhnt, ihre Feinde nicht mehr zu inhaftieren, sondern zu eliminieren – per Gesetz, mit Mehrheitsbeschluss?

Ben-Gvirs Galgenbrosche mag wie eine geschmacklose Randnotiz wirken. Doch das Gesetz, das sie begleitet, ist keine Fußnote. Es ist eine gefährliche Wegmarke in einer Demokratie, die zunehmend bereit scheint, sich von universellen Prinzipien zu verabschieden – und sie durch nationale Rache zu ersetzen.

Vielleicht ist es die Logik eines Systems, das sich in der Dauerbelagerung eingerichtet hat. Vielleicht ist es auch nur Zynismus in legislativer Form. Sicher aber ist: Wer Recht nur noch für das eigene Kollektiv denkt, macht den Staat zur Waffe. Und verliert ihn dabei an sich selbst.

Ob dieser Gesetzentwurf zur Hinrichtung von Menschen führen wird, weiß niemand. Vielleicht bleibt es bei der Drohung. Vielleicht endet alles im symbolischen Theater. Vielleicht bleibt die Schlinge nur eine Brosche.

Aber vielleicht ist das genau die Frage, die man sich jetzt stellen muss, bevor es zu spät ist:

Was stirbt zuerst, wenn der Rechtsstaat zu hängen beginnt – der Mörder oder die Demokratie?

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