„Palästina statt Partei“ – Die Gründung der BAG Palästina-Solidarität und ihr Schatten
TL;DR: Bei der Gründung der BAG Palästinasolidarität wird Israel zum Feind, Antisemitismus zur Lüge und Solidarität zur Ideologie. Wer widerspricht, gilt als Verräter. Was bleibt, ist keine Debatte – sondern ein identitätspolitisches Tribunal. Ein Bericht aus dem Sumpf des Sektierertums.
Bei der Gründungskonferenz der BAG Palästina-Solidarität in Berlin
inszeniert sich ein Teil der LINKEN als moralische Avantgarde – und entlarvt
sich dabei selbst: als Bewegung der Projektion, nicht der Aufklärung.
Ein Bericht, basierend
auf dem Video „Gründung BAG Palästinasoli in der LINKEN - Eindrücke von der
Gründungskonferenz in Berlin“ von Fabian Lehr.
Im Nebel vor
dem Karl-Liebknecht-Haus formieren sich linke Gewissheiten neu. Genauer: Sie
treten in Wiederholungsschleife. Fabian Lehr, dokumentarischer Lotse durch die
Veranstaltung „Gründung BAG Palästina-Solidarität in der LINKEN“, steht
am Eingang eines Gebäudes, das wie kaum ein anderes Symbolort der deutschen
Linken ist. Innen: Aufbruch. Außen: Erinnerung. Dazwischen: Ein blinder Fleck –
so groß wie Auschwitz.
Die Versammlung,
organisiert von den Landesarbeitsgemeinschaften Palästina-Solidarität in der
Partei Die Linke, will sich zur BAG mausern – zur
Bundesarbeitsgemeinschaft. Struktur für Einfluss, Einfluss für Sichtbarkeit.
Der politische Gegner? Die Parteiführung. Der strategische Hebel? Palästina.
Das Ziel? Eine Partei, die sich bekennt: nicht zum Schutz jüdischen Lebens,
sondern zum Kampf gegen Zionismus. Doch der Preis dieser Eindeutigkeit ist hoch
– intellektuell, politisch, moralisch.
„Es ist ein
Genozid.“
Hannah, Sprecherin der Berliner LAG
Palästinasolidarität, liefert das Grundgerüst für das Narrativ der Konferenz.
Ihr Satz – „Der Krieg in Gaza ist ein Genozid“ – fällt beiläufig, fast
nebenbei. Doch er strukturiert den ganzen Diskurs. Nicht als Beschreibung, sondern
als politische Parole. Dass der Begriff in keiner juristischen oder
historischen Hinsicht gedeckt ist, wird nicht reflektiert. Es genügt, dass er
anschlussfähig ist – emotional, identitätspolitisch, agitierbar.
Doch wer ist
Hannah? Es handelt sich um Hannah Bruns – eine Aktivistin mit bewegter
linker Biografie. Bruns war bereits 2018 in Nordrhein-Westfalen aus der Partei
DIE LINKE ausgetreten – mit Parolen wie: „Für die Rekonstitution der KPD!“
und „Nieder mit der Linkspartei“. In einem auf YouTube dokumentierten
Auftritt verteidigte sie die maoistische Schlägertruppe „Jugendwiderstand“.
Heute ist sie zurück – als faktische Sprecherin der Berliner LAG
Palästinasolidarität. Ihre Rückkehr ist kein Widerspruch, sondern Ausdruck jener
Fraktionalisierung, die sich unter dem Banner „Solidarität“ versammelt, aber
eine radikale Abspaltung betreibt – ideologisch wie strategisch.
Ihre Positionen
sind programmatisch. In einem Interview mit VICE erklärte sie:
„Die Linken in
Deutschland sind in weiten Teilen weder kommunistisch noch revolutionär oder
antiimperialistisch. Viele sind Linksliberale, die sich für Geflüchtete und die
Homoehe einsetzen und Rassismus ablehnen. Die meisten von ihnen interessieren
sich nicht für die politischen Ökonomien, mit denen sich Marx und die
Arbeiterbewegung von Anfang an befasst haben. Sie schaffen sich ihre Szenen,
sind nett und sympathisch, aber sie kämpfen nicht. Sie sind zufrieden.“
Und weiter:
„Ich will eine
echte kommunistische Partei aufbauen, so wie in Indien und auf den Philippinen.
Die Parteien dort führen schon jetzt den Volkskrieg.“
Diese
Äußerungen geben der Konferenz einen Rahmen: Es geht nicht um Palästina allein
– es geht um eine ideologische Grundsatzschlacht. Bruns inszeniert sich dabei
nicht nur als Beobachterin, sondern als Avantgarde. Vor dem
Karl-Liebknecht-Haus skandiert sie bei der Foyerbesetzung: „Der Ausschluss
Ramsis Kilanis ist ein Verbrechen an der palästinensischen Bevölkerung.“
Bruns
beschreibt die Partei als Terrain der Repression. Ramsis Kilanis Ausschluss –
ein „Säuberungsakt“. Die Gründung der LG Shalom – ein „Rückzugsgefecht der
Zionisten“. Wer widerspricht, wird zur Systemkraft erklärt. Wer zustimmt,
gehört zum „Volk“. Die politische Sprache bewegt sich auf jenem Terrain, auf
dem die Analyse längst zugunsten der Empörung suspendiert ist. Die einzige
relevante Kategorie: Solidarität.
Doch
Solidarität wofür? Für ein real existierendes Staatswesen? Für Menschenrechte?
Oder für die Projektion eines Kampfes, in dem sich linke Identität bewähren
soll? Die Antwort bleibt offen – weil die Frage nie gestellt wird. Denn wer
Palästina ruft, hat immer auch eine andere Sehnsucht im Blick: die nach dem
ideologischen Reinheitsversprechen einer Linken, die keine Komplexität mehr
kennt.
Sarah
Vollath,
Bundestagsabgeordnete der LINKEN, steht nicht für Analyse, sondern für
Affirmation. Ihre Rede formuliert das parlamentarische Pendant zur Basiswut:
„Menschenrechte sind universell.“ Eine Phrase, in der jede Bedeutung gleich
wichtig ist – und damit keine bleibt. Der Vorwurf, Kritik an Israel werde
„diffamiert“, steht als Nebelwand im Raum. Die Bundestagsresolution gegen BDS –
ein „Maulkorb“. Die IHRA-Definition – ein „Repressionsinstrument“. Beweise?
Nicht nötig. Die Diskurshoheit liegt auf der Straße.
„Internationale
Solidarität lässt sich nicht verbieten“, sagt Vollath. Aber was, wenn sie sich
selbst verbietet, historisch zu denken? Auschwitz kommt in ihrer Rede nicht
vor. Israel – nur als Täter. Die jüdische Stimme? Willkommen, solange sie sich
von Zionismus distanziert. Was bleibt, ist ein Parlamentarismus im Dienst der
Pose: universalistisch, solange es gegen Israel geht.
Vollath
versucht eine Brücke zwischen Bewegung und Bundestag – doch sie wird zur
Einbahnstraße. Wer sich selbst als „Sprachrohr der Marginalisierten“
stilisiert, aber zentrale Mahnmale des 20. Jahrhunderts ausblendet, verkehrt
Repräsentation in Relativierung.
Jimmy
Breiding, Sprecher der
LAG Saarland, erzählt vom „täglichen Kampf gegen den eigenen Landesverband“.
Was klingt wie innerparteiliche Reibung, meint in Wahrheit ideologische
Grenzziehung. Sein Erfolg: 60 Mitglieder bei der Gründung. Seine Analyse: „Das
System arbeitet nicht für uns.“ Wer repressiv agiert? Die Polizei, die Partei,
der Staat. Und implizit – wie stets – Israel. Breidings Sprache kennt keine
Vermittlung. Nur Freund oder Feind. Opfer oder Täter. Solidarisch oder
zionistisch.
Diese Rhetorik
ist nicht zufällig. Sie ist Struktur. Wer sich der Welt als
Palästinasolidarischer zeigt, braucht keine Analyse mehr. Moral genügt.
Geschichte? Überflüssig. Die Frage, warum gerade Israel – und nicht Syrien,
Iran, China – zum Prüfstein linker Ethik wird, stellt sich niemand. Der Fokus
auf Israel ist nicht rational erklärbar. Er ist identitär verankert.
Martin
Suchanek (Gruppe
ArbeiterInnenmacht) erklärt die BAG zur Vorhut eines revolutionären
Neuaufbruchs. Palästina sei „Kristallisationspunkt“ des antikapitalistischen
Kampfes. Das ist die Dialektik des Dogmas: Israel wird nicht kritisiert,
sondern systematisch zum Inbegriff des imperialistischen Systems stilisiert.
Die linke Sprache dafür: „Klassenkampf“, „Antiimperialismus“, „Solidarität“.
Suchanek steht
in einer Tradition, die das „internationale Proletariat“ nie konkretisieren
konnte, aber stets wusste, wo die Feinde saßen: In Israel. Im Westen. Im
Zionismus. Die Shoah – ein Einschnitt ohne Wirkung. Ihre Konsequenz – ein
jüdischer Staat – bleibt für diese Linke ein historischer Fehler. Ihre Lösung:
Delegitimierung durch Dekontextualisierung.
Wer für
Palästina ist, muss gegen Israel sein
Die Reden der
Kandidierenden zum Sprecher:innenrat dokumentieren einen erstaunlichen Konsens.
Unterschiedlich in Alter, Herkunft, Dialektik – vereint im Inhalt. Alle
sprechen von „Apartheid“, „Genozid“, „Repression“. Alle wollen das „bürgerliche
Antifaschismusverständnis“ hinter sich lassen. Die IHRA-Definition – kein
Schutz vor Antisemitismus, sondern „strategische Entwertung“. Israel? Ein
Apartheidstaat. Zionismus? Ein kolonial-rassistisches Projekt.
Susanne, eine ältere Genossin mit
„Hausbesetzervergangenheit“, bringt den Frust der Altlinken auf den Punkt: „Damals
war ich in der Vorgängerorganisation der IL, und die Reaktion war immer: Uh, es
ist kompliziert... Das hat dann zu Frust geführt, und das Thema ist
weggerutscht.“ Doch jetzt, wo „Palästina wieder auf der Tagesordnung“
steht, sei klar: „Niemand kann sich mehr rausziehen mit 'es ist komplex'.
Wir haben einen Auftrag aus unserer Geschichte – und das bedeutet: 'Nie wieder'
gilt für alle.“ Diese Gleichsetzung von NS-Geschichte und Nahostkonflikt –
ohne Differenz, ohne Kontext – ist keine Randposition. Sie ist Grundtenor.
Kim, Schülerin aus Bayern, formuliert ihren
Eintritt in die Partei als gezielten Akt gegen „Antideutsche“. Sie sagt: „Ich
bin vor einem knappen halben Jahr eingetreten – mit dem Ziel, diesen Streit zu
führen.“ Ihr Ziel: eine Partei, die „Solidarität mit Palästina auch
gegen Kriegsverbrechen, Vertreibung, Völkermord“ benennt – und sich „endlich
an die Seite der Arbeiter im und gegen den Staat stellt.“ In ihrer Rede
kulminiert sich die ideologische Achse der Konferenz: Antizionismus wird als
revolutionäre Pflicht verkauft – nicht als eine Perspektive, sondern als
Ausschlussprinzip. Wer nicht mitgeht, steht auf der falschen Seite.
Ties, 20 Jahre, Solid-Mitglied aus
Niedersachsen, bringt es auf den Punkt: „An kaum einem Thema wird die
Spaltung zwischen staatstragender Politik und revolutionärer Bestrebung so
deutlich wie am Genozid in Palästina.“ In seinem Redebeitrag heißt es
weiter: „Diese strategische Entwertung des Antisemitismusbegriffs [...]
verfolgt das Ziel, jede Opposition gegen den Westen zu diskreditieren.“ Und
weiter: „Antikolonialistische Positionen sind kein Skandal, sondern Kern
linker Politik.“
Diese Reden sind keine pluralistische Willensbildung. Sie sind ritualisierte Selbstvergewisserung. Susanne, Kim, Ties – ihre Namen markieren keine Pluralität, sondern Repetition. Die Wiederholung der These: Kritik an Israel ist keine Option, sondern Pflicht. Wer differenziert, verrät. Wer schweigt, kollaboriert. Es ist der Monolog der moralischen Überlegenheit – gegen die Partei, gegen den Staat, gegen jede Erinnerungspolitik, die nicht zur eigenen passt.
Nach der Wahl
erklärt der neue Sprecher:innenrat seine Ziele: alternative Medien, Schutz
vor Repression, Bildungsarbeit gegen „zionistische Missbildungsarbeit“.
Der Feind hat viele Gesichter – Presse, Partei, IHRA, Israel. Der eigene
Anspruch: hegemonial. Die eigene Position: marginalisiert. Es ist die doppelte
Figur des modernen Opferpopulismus: dominant im Ton, aber verfolgt im Inhalt.
Jimmy
Breiding bilanziert: „Wir
haben es tatsächlich geschafft, Deutschland sehen zu lassen, was
Palästinasolidarität ist.“ Rolf ergänzt, man habe „eine Struktur
geschaffen, die uns hilft, Palästinasolidarität in der LINKEN zu vertreten“. Kemer,
19 Jahre, spricht von „einer revolutionären Sprecher:innenwahl“ und betont die
Bedeutung der Anträge – darunter die Solidarisierung mit Ramsis Kilani und
Mataha, beides Personen, die mit Ausschlussverfahren der Partei
konfrontiert sind. Die Framingstrategie ist klar: Jede innerparteiliche
Sanktion wird als Verrat an der Sache gelesen – nicht als Reaktion auf
problematische Inhalte.
Die
Argumentation verkehrt sich ins Paradoxe: „Wir müssen insbesondere der
Partei Aufklärungsarbeit leisten – über die Menschenrechtsverbrechen, die dort
begangen worden sind.“ Gemeint ist: Nicht Israel, sondern die Partei selbst
steht unter Anklage. Der Vorwurf richtet sich nicht mehr nur nach außen,
sondern trifft das eigene Gefüge – wenn es nicht die Linie der BAG übernimmt.
Ein Sprecher
bringt es drastisch auf den Punkt:
„Die wichtigste Rolle ist, der politischen Führung der Linkspartei
klarzumachen, dass Palästinasolidarität in der Basis großen Zuspruch hat – und
sich das im zukünftigen Inhalt niederschlagen muss.“ Demokratischer
Pluralismus wird hier umgekehrt: Nicht Ausdruck innerer Vielfalt, sondern als
Durchsetzungsstrategie ideologischer Homogenität.
In einem der
radikalsten Sätze des Abends heißt es: „Was der zionistische Flügel in der
Partei an Missbildungsarbeit betreibt, dem müssen wir Wahrheit entgegensetzen.“
Wahrheit gegen Bildung, ideologischer Furor gegen Diskussionskultur. Der
Begriff „Schutzraum“ ist hier nicht mehr Ausdruck von Fürsorge, sondern Waffe.
Wer Israel kritisiert, beansprucht nicht nur Legitimität, sondern Immunität.
Jede Kritik an antisemitischen Motiven? Eine neue Repression. Jede Verteidigung
Israels? Staatsrationaler Reflex. Die BAG wird so zur Projektionsfläche einer
Linken, die sich selbst das Versprechen gegeben hat, nie mehr Täter sein zu
wollen – und doch jede Verantwortung von sich weist.
Die O-Töne
entlarven die Diskurslage der Konferenz. Man muss sie nicht karikieren,
sondern nur transkribieren. Was als „Solidarität“ inszeniert wird,
erweist sich im Wortlaut als ideologische Abrüstung – nicht gegenüber dem
Staat, sondern gegenüber der eigenen kritischen Tradition.
