Zwischen Antizionismus und Antisemitismus: Wie die Linke ihren Politische Kompass verliert

 TL;DR: In der Linkspartei und ihrer Jugendorganisation wird Israel als „Genozidstaat“ verurteilt, jüdische Selbstbestimmung als „rassistisch“ gebrandmarkt – und Hamas-nahe Gruppen verklärt. Was einst Sektierertum war, ist heute Beschlusslage mit Parteilogo.

Die Linke und die ’solid verschieben den Israel-Diskurs: Antizionismus wird zur Parteilinie, Kritik zur Dämonisierung, Solidarität zur Agitation.


In der Partei Die Linke und ihrer Jugendorganisation Solid formiert sich eine ideologische Front, die „Israelkritik“ zum Dogma erhebt – und sich damit in gefährlicher Nähe zu antisemitischer Rhetorik bewegt. Ein politischer Bericht aus dem Inneren einer postkolonial verklärten Linken.

Ungewöhnlich für die Entscheidungsfindung einer Partei begann es nicht mit Basisberatungen und nicht mit einem Beschluss auf einem Parteitag. Es begann mit einem Massaker. Am 7. Oktober 2023 drangen Hamas-Kämpfer, unterstützt von PIJ, PFLP, DFLP – Gruppen, deren Logos auf so mancher Berliner Demo und Linken Versammlungen heute auf Fahnen wehen, in israelisches Gebiet ein. Sie töteten über 1.200 Menschen, vergewaltigten Frauen, entführten Kinder. Für die einen war es der Schock ihres Lebens. Für andere: der Beginn einer neuen Lesart.

Während die Welt um Worte rang, rang ein Teil der Linken bereits um Bedeutungen. Der Blick auf das Verbrechen wich der Suche nach Kontext. Kolonialismus, Siedlerstaat, strukturelle Gewalt – die alten Wörter hatten Konjunktur. Auf dem Bundesparteitag vom 10. Mai 2025 wurde daraus Parteilinie: Solidarität mit Palästina, Genozidvorwürfe gegen Israel.

Wenig später wird Ramsis Kilani aus der Partei ausgeschlossen. Nicht wegen eines Verbrechens, sondern wegen eines Postings – bestes Statement zum 7. Oktober. Nicht der Terror, sondern dessen Interpretation wird zum Prüfstein. Wer das Massaker relativiert, verliert nicht unbedingt den Rückhalt – wer es kritisiert, schon eher.

Drei Stationen, ein Trend: Die ideologische Entgrenzung einer Partei, die Israels Existenzrecht nicht mehr als Voraussetzung, sondern als Verhandlungsmasse betrachtet.

Was als Streit über Nahost begann, ist längst zur Grundsatzfrage geworden: Wie viel Antisemitismus passt in eine Partei, die sich antifaschistisch nennt?

Die Antwort wird längst gegeben – nicht in Programmen, sondern in Resolutionen. In denen Israel ein „Genozid“ vorgeworfen wird, aber Geiselnamen fehlen. In denen jüdische Selbstbestimmung „rassistisch“ genannt wird – unter Berufung auf internationale Menschenrechte.

Wer da noch widerspricht, gilt als Störfaktor. Innerhalb der Parteijugend  Solid  wird von „Säuberungen“ gesprochen – Stalin lässt grüßen. Auf Parteitagen wird Israel nicht kritisiert, sondern dämonisiert. Nicht trotz Auschwitz, sondern in angeblicher Konsequenz daraus.

Antisemitismus, so heißt es, sei nicht die Absicht. Nein, er ist das Resultat.

Was sich hier zeigt, ist kein Ausrutscher – sondern ein Symptom. Sprache, Gedenken, politische Haltung: Sie folgen in Teilen der Partei keiner historischen Verantwortung mehr, sondern einer ideologischen Entgrenzung. Und die findet nicht am Rand statt – sondern auf Parteitagen.

Die Linke und die ’solid - die Shoah-Relativierung und selektive Solidarität

Das ist ein Völkermord. Das ist ein Holocaust. Das ist der Holocaust!“ – Drei Sätze, gesprochen von Martha Chiara Wüthrich, Sprecherin der Linksjugend ['solid], in einem TikTok-Video. Es wurde zwar schnell gelöscht, doch die politische Wirkung blieb. Nicht als Skandal, sondern als Lackmustest: für das Verhältnis der linken Bewegung zur Erinnerungskultur.

Was folgte? Keine Distanzierung. Keine Entschuldigung. Stattdessen: ein Solidaritätsaufruf – mit Wüthrich, mit Palästina-Flagge, ohne Kontext, ohne Kritik. Auf demselben Bundeskongress, auf dem sie gewählt wurde, verabschiedete die Linksjugend ['solid] die Resolution mit dem Titel „Nie wieder zu einem Völkermord schweigen. Wüterichs wahl und ihre Shoa-Relativirung passen zum Rhythmus diese Beschlusses: der Vorwurf einer Vernichtung des palästinensischen Volkes – unter bewusster Auslassung der Völkerrechtsverbrechen der Hamas und ihrer von der Linksjugend hofierten Bündnispartner von PLFP und DLFP am 7. Oktober und dem Negieren von 1.200 Massakrierten und über 200 EMP furten zumeist Jüdischen Opfer.

Besonders aufschlussreich: Ein Änderungsantrag, der wenigstens ein Minimum an Mitgefühl für jüdische Opfer enthielt, wurde mit 64,9 % der Stimmen abgelehnt.

Die Positionsbestimmung der Solid ist klar und Deutlich

  • Keine Erwähnung des 7. Oktober und der von der Hamas und ihrer von der Linksjugend hofierten Bündnispartner von PLFP und DLFP am 7. Oktober begannenen Völkerrechtsverbrechen
  • Kein Wort über die Geiseln
  • Keine Kritik an der Hamas
  • Keine Zustimmung zum „Kampf gegen Antisemitismus“
  • Wahl von Martha Chiara Wüthrich, die mit den Worten „Das ist ein Völkermord. Das ist ein Holocaust. Das ist der Holocaust!“  Holocaust-Relativierung betriben hat,  in den Vorstand

Was übrig bleibt, ist ein Antifaschismus, der den Antisemitismus weder benennt noch erkennt – und ein Gedenken, das die Shoah als historische Fußnote behandelt.

Diese Tendenz zeigt sich nicht nur in der Rhetorik jugendlicher Aktivist:innen, sondern auch in offiziellen Parteipapieren. In Baden-Württemberg, etwa, verabschiedete die Linke ein Landtagswahlprogramm mit einem Kapitel „Erinnerungskultur“. Der Satz: „Wir vergessen nicht.“ Doch vergessen wurde einiges – etwa, wen man nicht vergessen will. Das Kapitel „Erinnerungskultur“ im Wahlprogramm Die Linke Baden-Württemberg ist die Umsetzung der Parole ‚Free Palestine from German guilt‘. Weder Juden noch Shoah werden namentlich erwähnt. Stattdessen: Gedenkfahrten zu Orten „fortschrittlicher Bewegungen“, Demokratiewochen, Umweltbildung – alles im Namen des Antifaschismus. Aber ohne Auschwitz.  Damit ist dieser Programmteil nichts anderes als die linke Version der rechten Schlussstrich-Forderung. Dieser Umstand schlägt sich seit dem Terrorangriff vom 7.10.in zahlreichen antisemitischen Vorfällen nieder: Kundgebungen anlässlich des Erinnerns der Opfer des Nationalsozialismus wurden mit „Free Palestine“-Rufen gestört, Mahnmale mit „Fuck Israel, Free Palestine“ oder „Gaza?“ beschmiert.

Dieser erinnerungspolitische Drift trifft innerhalb der Partei auf Gegenwind – etwa von der Arbeitsgemeinschaft BAG Shalom, die sich gegen antisemitische Tendenzen positioniert. Doch anstatt gehört zu werden, wird sie zur Reizfigur erklärt. Ulrike Eifler, Mitglied im Parteivorstand Die Linke, erklärte öffentlich auf X: BAG Shalom ist eine innerparteiliche Kampfansage – und genauso wird sie auch beantwortet.“ Eine bemerkenswerte Aussage – nicht wegen ihres Inhalts, sondern wegen ihres Tonfalls: Wer Antisemitismus kritisiert, gilt in Teilen der Partei als Provokateur.

Der antifaschistische Selbstanspruch bleibt dabei unangetastet. Doch was bedeutet Antifaschismus, wenn er dort schweigt, wo er am lautesten sprechen müsste? Wenn Israel zum Täter erklärt wird, Auschwitz als rhetorisches Werkzeug dient, und „Nie wieder“ nur dann gilt, wenn es ins Weltbild passt?

Die neue Orthodoxie der „Palästinasolidarität“

Auf dem Bundeskongress der Jugendorganisation – Solid  wurde ein Antrag verabschiedet, der jüdische Selbstbestimmung als „rassistisch“ bezeichnet. Die Gründung Israels? Ein „Projekt mit kolonialem Charakter“. Die politische Konsequenz: Unterstützung für „revolutionäre Bewegungen“ – was in Teilen der Partei DFLP und PFLP  bedeutet, also Explizit am Massaker vom 7. Oktober beeidigte Gruppen verherrlicht aber implizit auch die Hamas einschließt, wenn auch nur zwischen den Zeilen. Ein Teilnehmer des Kongresses, zitiert in der Tagesspiegel-Recherche, spricht von einem Klima des „Psychoterrors“ gegen innerparteiliche Kritiker, die sich nicht scharf genug von Israel distanzieren.

Was hier geschieht, ist kein Randphänomen, sondern Ausdruck einer ideologischen Konvergenz: Postkoloniale Theorien, Critical Race-Raster, identitätspolitischer Moralismus – zusammen ergeben sie ein Weltbild, in dem Israel als imperiales, rassistisches Gebilde erscheint, dem man strukturell die Existenzberechtigung abspricht. Israel begeht einen Genozid, sagte die Linken-Abgeordnete Lea Reisner am 24. September 2025 im Bundestag – Das sagt eine unabhängige UN-Kommission, das sagen internationale Völkerrechtler/-innen, das sagen Menschenrechtsorganisationen.“

Die Berufung auf sogenannte Kronzeugen – ein Begriff aus der Justiz, hier eingesetzt zur Veredelung radikaler Positionen – dient nicht der Erkenntnis, sondern der Immunisierung. Die Aussagen der UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese aus dem März 2024, in denen Israel ein Genozid unterstellt wird, gelten in Teilen der Linkspartei als unantastbar – zitiert wie einst heilige Schriften, bloß mit Fußnote zur Völkerrechtskonvention.

Dass Albanese für ihre Reisen 20.000 Dollar von Hamas-nahen Organisationen erhielt? Dass sie die Hamas ausdrücklich nicht als „Halsabschneider“ oder „bewaffnete Kämpfer“ bezeichnet wissen wollte – „so ist es nicht“, sagte sie –, und dass sie zuletzt den Angriff eines pro-palästinensischen Mobs auf eine Redaktion verteidigte? Alles dokumentiert.

Dass ihre Berichte umstritten, parteiisch, teils faktenwidrig sind? Sekundär. Entscheidend ist ihre Funktion: als moralischer Freifahrtschein für die diskursive Umwidmung Israels – vom Überlebenden der Geschichte zum letzten verbliebenen kolonialen Täter.

Ramsis Kilani und die Moralphilosophie der Parteischiedsgerichte

Es wäre fast tragikomisch, wenn es nicht so ernst wäre: Der Parteiausschluss von Ramsis Kilani wurde u.a. damit begründet, dass er ein Sharepic der Organisation Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden verbreitete, versehen mit dem Kommentar: „Mit Abstand bestes Statement zum Jahrestag des 7. Oktobers“. Gemeint ist der Tag, an dem die Hamas und ihre Verbündeten mehr als 1.200, mehrheitlich  Jüdische, Menschen, ermordete, Frauen vergewaltigte, Kinder entführte.

Hannah Bruns, Aktivistin der LAG Palästinasolidarität und ideologische Verteidigerin Kilanis, erklärte, diese Aussage beinhalte keine Dämonisierung Israels, sei von der Jerusalem Declaration on Antisemitism gedeckt, und bezeuge lediglich den Wunsch nach „gleichen Rechten für alle Menschen zwischen Jordanfluss und Mittelmeer“. Dass diese Formel in Teilen der palästinensischen Solidarszene synonym ist für die Ein-Staat-Lösung und damit das Ende Israels in seiner heutigen Form, bleibt dabei bewusst unerwähnt.

Bruns, die die maoistische Schlägertruppe „Jugendwiderstand“ verteidigte und sich 2018 mit maoistischer Nostalgie aus der Partei „Die Linke“ verabschiedete – inklusive dem Wunsch nach einer Partei, die den „langandauernden Volkskrieg“ zur einzig realistischen Strategie erklärt und die Revolution nicht länger „vor sich herschiebt“ –, stilisiert sich heute zur Verteidigerin eines neuen Internationalismus. Gegen wen? Gegen den „Maulkorb“, den sie im Antisemitismusvorwurf wittert.

Ihre Argumentation folgt dabei dem Handbuch der identitätspolitischen Immunisierungslehre: Schuldumkehr, Opferlogik, moralische Lizenz zum Verdrehen. Dass diese Methode in ihrer Fraktion nicht nur geduldet, sondern als neue Diskursethik hofiert wird, überrascht niemanden mehr – außer vielleicht jene, die noch wissen, was Kritik einmal bedeutete.

Die Solid fordert in einem Beschluss, den Begriff „Genozid“ künftig „konsequent in öffentlichen Äußerungen, Interviews und Kundgebungen“ zu verwenden – wohlgemerkt nicht für das Massaker der Hamas, sondern für die Reaktion Israels.

Die Jugendorganisation Solid beschließt nicht nur, den BegriffGenozid“ künftig konsequent zu verwenden gemeint ist dabei nicht das Massaker der Hamas und ihrer Verbündeten, sondern die israelische Reaktion darauf. Der Beschluss bleibt nicht bei Rhetorik. Er erklärt dieBefreiung Palästinaszum Teil einerbreiteren demokratischen und sozialistischen Revolution“, deren Ziel es sei, „Imperialismus und Kapitalismus aus der Region herauszuwerfen“. Wer dagegen sei, so die Lesart, stehe nicht gegen Terror, sondern gegen Emanzipation.

Es sei, heißt es weiter, „unsere Pflicht als sozialistischer und internationalistischer Jugendverband“, diese Linie zu vertreten –" verbindlich für „Sprecher:innen, Mandatsträger:innen“, Funktionäre. Die Revolution soll nicht nur im Nahen Osten beginnen, sondern durch Bundestagsabgeordnete aus Friedrichshain-Kreuzberg kommuniziert werden. Was früher als Fußnote sektiererischer Zirkel galt – ob maoistisch oder trotzkistisch –, steht heute als Beschlusslage auf Verbandspapier.

Nie wieder schweigen zu einem Völkermord lautet eine der neuen Parolen – ein Satz, der ausgerechnet dort zur Anwendung kommt, wo das ursprüngliche Nie wieder offenbar seinen Adressaten verloren hat.

Dass dieser Ruf von einer Organisation kommt, die es nicht bei semantischer Entgrenzung belässt, sondern gelegentlich in offen antisemitische Ausfälle kippt, zeigte zuletzt ein Social-Media-Beitrag der Frankfurter Linksjugend [’solid]: Dort wurde bedauert, eine jüdische Schülergruppe aus Frankreich sei nicht aus einem Flugzeug gestoßen worden – ironisch gemeint, versteht sich. Wie immer, wenn es ernst wird.

Es ist der semantische Trick, der perfide funktioniert: Wenn Israel einen Genozid begeht, dann ist die Hamas kein Täter mehr, sondern Widerstandsbewegung. Wenn Israel kolonial ist, dann ist jüdische Selbstbestimmung kein Recht, sondern ein rassistisches Projekt. Und wenn jüdische Opfer nicht eindeutig als Opfer anerkannt werden, sondern nur in Relation zu palästinensischem Leid, dann ist das nicht Ausgewogenheit – es ist historische Blindheit.

Die Parteiführung der Linken distanziert sich halbherzig: „Die Position der Linksjugend ist nicht die unsere“, so Sabine Ritter, stellvertretende Bundesvorsitzende. Aber die gleiche Partei organisiert in Berlin eigene Aufmärsche unter dem Label „Zusammen für Gaza“, unmittelbar bevor sich dieselben Teilnehmer in die „All Eyes on Gaza“-Demo einreihen – eine Veranstaltung, mitorganisiert von Hamas-nahen Strukturen.

Die Co-Vorsitzende Ines Schwerdtner erklärte dort öffentlich: Ich habe zu lange geschwiegen. Es ist ein Genozid.“ Beifall. Dass solche Sätze nicht nur empirisch unhaltbar, sondern politisch brandgefährlich sind, scheint innerparteilich niemand mehr auszusprechen – aus Angst, selbst als Zionist, Verräter oder Antideutscher markiert zu werden.

Was sich in der Partei Die Linke und ihrer Jugendorganisation Solid vollzieht, ist keine programmatische Marotte. Es ist die ideologische Selbstpreisgabe eines Teils der deutschen Linken, der sich unter dem Deckmantel postkolonialer Kritik in ein antiemanzipatorisches Projekt verrannt hat. Der jüdische Staat wird darin nicht als historische Notwendigkeit nach Auschwitz verstanden, sondern als weißer Unterdrücker in einem racialisierten Weltbild.

Dass Kritik an der Politik von Israels derzeitiger Regierung notwendig und legitim sein muss, steht für mich als Antifaschist außer Frage. Doch wenn Kritik zu Dämonisierung wird, wenn Solidarisierung mit Palästina zur Leugnung jüdischer Leidensgeschichte mutiert, wenn Völkermordvorwürfe mit Berufung auf selektive Quellen zur neuen Parteidoktrin erhoben werden, dann endet die Kritik und beginnt die Agitation.

Der Fehler ist kein neuer. Schon einmal irrte sich ein Teil der deutschen Linken an der Seite der Falschen – aus Antikapitalismus wurde Antiamerikanismus, aus Antizionismus Antisemitismus. Was sich heute wiederholt, ist eine alte Geschichte in neuen Gewändern. Doch diesmal geschieht es nicht aus Unwissen, sondern im Namen moralischer Überlegenheit. Und das macht es unendlich viel gefährlicher.

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