Marx21: Antiimperialismus als Persilschein für Gotteskrieger

TL;DR: „Es gibt nichts Sektiererisches als den Hass auf Amerika – außer vielleicht die Liebe zu seinen Feinden.“ Wer, wie Marx21 die Huthis als antiimperialistische Helden feiert, weil sie Israel beschießen, verkennt: Fanatismus bleibt Fanatismus – auch wenn er sich als Solidarität tarnt.

Kritische Analyse eines Marx21-Artikels: Wie Antiimperialismus zur Entlastung reaktionärer, antisemitischer Bewegungen wie Ansar Allah missbraucht wird.
„Es gibt nichts Sektirerisches als den Hass auf Amerika – außer vielleicht die Liebe zu seinen Feinden.“

- Hermann L. Gremliza -

Es gehört zu den tragisch-komischen Paradoxien linker Medien, dass dort, wo die Kritik an westlicher Macht am lautesten tönt, das Urteil über ihre Feinde am leisesten flüstert – oder gleich ganz verstummt. Der Text „Jemen: Kriegsschauplatz imperialer Interessen und humanitärer Katastrophen“ von Maximilian Krippner auf Marx21 liefert ein Musterbeispiel jener politischen Optik, in der der Blick nach Washington scharf wie ein Scharfschützenvisier ist, während im Rückspiegel von Saʿda das Schattenspiel theokratischer Herrschaftsformen verschwimmt – bis zur Unkenntlichkeit.

Krippner schreibt:

„Der Tod von Hunderttausenden, und der Hunger von Millionen, scheint hier von wenig Belang zu sein. Zumindest solange er nicht gegen die Interessen des Westens und dessen Verbündeten im Nahen-Osten steht.“

Der Satz ist gut gemeint, und genau das ist das Problem. Denn dass dieser Tod auch dann von Belang sein müsste, wenn er von einer anti-westlich drapierten Miliz orchestriert oder zumindest mitkalibriert wird – diese Einsicht bleibt aus. Die moralische Matrix von Maximilian Krippner bzw. Marx21 ist einfach gestrickt: Wenn es gegen den Westen geht, kann es nicht ganz falsch sein. Und so wird aus Ansar Allah eine Art bewaffneter Robin-Hood-Verschnitt, aus Raketen auf Handelsschiffe ein „Zeichen der Solidarität mit Palästina“, und aus einer zutiefst reaktionären Bewegung ein „legitimer Widerstand“ gegen neoliberale Verelendung. Da wünschte man sich fast, Edward Said hätte doch einmal etwas zur Zaiditischen Ideologie geschrieben.

Dass Ansar Allah „durch soziale Marginalisierung entstanden“ sei, ist analytisch nicht falsch, aber analytisch zu Ende gedacht auch kein Freibrief für Raketenpolitik, Kindersoldaten und Scharia-Repression. Ein historisch-materialistisches Feigenblatt, unter dem sich der Reaktionismus wie selbstverständlich einnistet. Wer der Huthi-Bewegung mit Begriffen wie „Eigenbezeichnung“ („die Eigenbezeichnung der Huthi-Rebellen“) ein sprachpolitisches Wohlfühlkissen baut, hat die semantische Seite des Autoritarismus schon verinnerlicht.

Denn was ist Ansar Allah? Eine Miliz mit einem Gottesstaat im Sinn, ein Konglomerat aus religiösem Dogma, antisemitischer Ideologie und patriarchalischer Machtpolitik. Krippner dagegen inszeniert sie als Retter in der Not, „unterstützt von weiten Teilen der Bevölkerung“ – ein Argument, das in anderer geografischer Lage längst als Populismus gebrandmarkt würde. Dass die Huthis „ihre Kontrolle im Norden weiter ausbauten“, wird fast bewundernd notiert – als ginge es um den Fortschritt einer fortschrittlichen Sache und nicht um die Ausweitung eines Gottesstaatsmodells, in dem die Scharia nicht etwa droht, sondern bereits regiert.

Wenig überraschend ist auch der Tenor zur Gegenwehr: „Die USA und Großbritannien [...] begannen mit massiven Luftschlägen gegen jemenitische Ziele – eine neue Phase der direkten imperialistischen Einmischung.“ Mag sein. Aber was bleibt unausgesprochen? Dass der Raketenhagel der Huthis nicht der Völkerfreundschaft gilt, sondern als billiger Vorwand dient, um innere Dissidenz zu neutralisieren und externe Schlagkraft in interne Legitimationskraft zu verwandeln. Dass die „Solidarität mit Palästina“ der Huthis eine Solidarität auf Kosten der Jemenit*innen ist – davon keine Spur.

Was fehlt, ist die politische Ökonomie des Fanatismus. Der antisemitische Code, das Verschwörungsnarrativ, die Weltuntergangsrhetorik – all das ist kein Nebengeräusch, sondern Grundton ihrer Herrschaft. Die Rakete auf Israel ersetzt im Inneren das staatliche Gehalt, und wer protestiert, wird zum „Märtyrer“ an die nächste Front geschickt. Was hier betrieben wird, ist keine Außenpolitik, sondern – wie es Gremliza formulieren würde – „Innenpolitik mit Raketen“.

Wenn also Krippner schreibt:

„Die Wahrheit, selbst Verantwortung am Leid und Tod zu tragen, darf nicht zu erkennen sein“,

dann möchte man antworten: Doch, genau. Nur eben nicht nur beim Westen.

Ein Antimperialismus, der jede Kritik an den Verbündeten des Widerstands scheut wie der Teufel das Weihwasser, ist nicht progressiv, sondern regressiv. Er verwechselt Kritik mit Komplizenschaft. Der Text von Maximilian Krippner auf Marx21 entlarvt sich letztlich selbst – man muss ihn nur beim Wort nehmen. Oder, um es in Gremlizas Stil zu sagen:

Wer ausgerechnet die Huthis zur Avantgarde der Gerechtigkeit verklärt, weil sie gegen Israel schießen, hat das Problem mit Antisemitismus nicht verstanden – sondern internalisiert.

 

 

Beliebte Posts aus diesem Blog

Auf die Straße für Gaza? Eine Antwort an die Linken-Vorsitzenden

Säuberungsphantasien per offenem Brief – Stalinistische Nostalgie in der Linken

Der Genosse als Ketzer: Bodo Ramelow und das Insta Inquisitionstribunal der ['solid] Magdeburg