Die Dialektik der Selbstzerstörung
TL;DR: BAG Shalom will Antisemitismus in der Linken bekämpfen – Parteivorstandsmitglied Eifler nennt das eine „Kampfansage“. Wer den Schutz jüdischen Lebens als Provokation sieht, hat nicht mit dem Stalinismus gebrochen. Er hat ihn neu eingekleidet.
„BAG Shalom ist
eine innerparteiliche Kampfansage – und genauso wird sie auch beantwortet.“
Das ist kein Satz, das ist ein Geständnis. Wer so spricht, hat kein Interesse
am Diskurs, sondern an Disziplinierung. Der Tweet von Ulrike Eifler (Mitglied
im Parteivorstand Die Linke, ), ihres Zeichens Parteivorständin und
Berufssprecherin für Betriebsfragen, liest sich wie das Protokoll einer bereits
angekündigten politischen Säuberung. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Der Anlass? Eine Gruppe von Genoss:innen gründet eine
„Bundesarbeitsgemeinschaft Shalom“, um, man höre und staune, Antisemitismus
und Antizionismus in der Partei Die Linke zu bekämpfen. Was in jeder
demokratischen Organisation mit einem Mindestmaß an geschichtlichem Bewusstsein
als Gebot der Stunde gelten müsste, wird von Eifler zur „Kampfansage“
umgedeutet – als wäre der Schutz jüdischen Lebens eine Provokation, die einer
parteiinternen Vergeltung bedürfte.
Statt Applaus: Anklage.
Statt Gespräch: Kampf.
Statt Differenz: Feind.
Und dann fällt der Satz, der in seiner schlichten Gewalt
mehr über den Zustand der Partei verrät als jedes Grundsatzprogramm: „… und
genauso wird sie auch beantwortet.“ Das ist keine Analyse, das ist eine
Ankündigung. Und sie klingt nicht nach Debatte, sondern nach parteiinternem
Krieg.
„Nie wieder“ – es sei denn, es stört den Frieden
Wer behauptet, Kritik an einem „Genozid in Gaza“ werde „als
Antisemitismus diffamiert“, führt nicht Sprache, sondern Krieg mit ihr. Der
inflationäre Gebrauch des Wortes „Genozid“ ist kein Zufall. Er ist Methode. Er
nivelliert historisch Einzigartiges und projiziert das Grauen von Auschwitz auf
einen Staat, dessen Existenzgrundlage eben jene Einzigartigkeit ist. Wer das
tut, macht sich nicht zum Kritiker – sondern zum Revisionisten im Tarnanzug der
Moral.
Der Trick ist alt: Man ummantelt antisemitische
Implikationen mit einem humanistischen Vokabular, bastelt sich eine
Empörungsethik, die ausgerechnet dort das Menschenrecht entdeckt, wo die Hamas
es im Sekundentakt verletzt. Das Ergebnis ist ein linker Antizionismus, der
sich selbst für friedensbewegte Aufklärung hält – und jede Erinnerung an
jüdische Selbstverteidigung für Propaganda.
In Wahrheit ist es ein regressiver Reflex. Eine politische
Autoimmunerkrankung, bei der der Körper Linke sich gegen seine historische
Verantwortung wendet.
Dass ausgerechnet BAG Shalom als Angriff empfunden
wird, sagt mehr über die Verfasstheit der Partei Die Linke als über die
Initiative selbst. Denn was ist diese „Kampfansage“, die Ulrike Eifler
diagnostiziert? Eine Arbeitsgemeinschaft, die sich gegen das stellt, was in
Teilen der Partei längst Alltag ist: Antisemitismus mit Marx-Lektüre,
Israelhass als Menschenrecht und Hamas-Terror als „militante
Selbstverteidigung“.
Die Eskalationen
der letzten Monate sprechen eine klare Sprache. Auf dem Bundeskongress der
Linksjugend ['solid'] wurden Delegierte bedroht, weil sie sich nicht
radikal genug gegen Israel positionierten. In Chatgruppen wurde zu
„Säuberungsaktionen“ gegen sogenannte „Zionisten“ aufgerufen – ein Wort, das
hier nicht mehr analytisch, sondern inquisitorisch gebraucht wird. Genossen
kündigten an, andere nachts in ihren Hotelzimmern „besuchen“ zu wollen. Ein
Teilnehmer spricht von „Psychoterror aus den eigenen Reihen“.
Nicht etwa gegen Rechte. Sondern gegen jene, die sich für
die Zwei-Staaten-Lösung aussprechen. Man ist längst über die Linie hinaus, wo
Solidarität zur Exklusion wird, wo Kritik zur Feindmarkierung dient, und wo
Antizionismus als ideologische Nagelpistole eingesetzt wird.
Stalinismus – Reloaded?
Und damit zur Frage, die sich unausweichlich stellt: War
der Bruch mit dem Stalinismus von 1989 ein historischer Meilenstein – oder ein
hübsch gerahmter Irrtum mit Halbwertszeit?
„Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System“,
sagte Michael Schumann damals. Es war der symbolische Urknall einer politischen
Läuterung. Und doch wirkt dieser Satz heute wie aus einer anderen Galaxie. Denn
was ist Stalinismus, wenn nicht das hier:
- die
Ersetzung des Arguments durch das Verdikt,
- die
moralische Auslöschung des Anderen,
- die
Einengung des Sagbaren entlang ideologischer Maximen,
- und
der strukturelle Antisemitismus, der sich als Antikolonialismus tarnt?
Wenn Mitglieder der Linksjugend Israel als „koloniales und
rassistisches Staatsprojekt“ verurteilen, wenn eine Sprecherin behauptet, in
Gaza finde „der Holocaust“ statt, und wenn die Rückkehr eines
Hamas-Glorifizierers wie Ramsis Kilani in die Partei nicht mehr undenkbar ist,
dann braucht es keine Parteidoktrin mehr – der Stalinismus ist längst wieder
da. Nicht als Theorie. Sondern als Praxis.
Als informelle Parteilinie, in der Dissens nicht
argumentativ beantwortet, sondern exkommuniziert wird.
Das Tragische ist nicht, dass es in der Linken Antizionismus
gibt. Den gibt es seit der Sowjetunion. Das Tragische ist, dass der Versuch,
ihn zu bekämpfen, heute als Angriff verstanden wird. BAG Shalom ist keine
Kampfansage, sondern eine Erinnerung: an die politische Aufklärung, an die
historische Verantwortung, an den Satz „Nie wieder“ – und daran, dass dieser
Satz auch dann gilt, wenn es unpopulär ist.
Wer diesen Satz als Diffamierung versteht, diffamiert nicht BAG
Shalom – sondern die Idee, aus der sie spricht.
Sie steht, wieder einmal, an einem Scheideweg. Sie muss sich
entscheiden: Will sie das Banner von 1989 weitertragen – oder es endgültig als
historisches Souvenir ins Parteimuseum hängen?
Denn wer Antizionismus als Friedenssehnsucht romantisiert
und innerparteiliche Gegner als „Zionisten“ denunziert, praktiziert keinen
Bruch mit dem Stalinismus. Er aktualisiert ihn.
Mit neuen Feindbildern. Und alten Methoden.