Von Solidarität zu Schweigen – Die autoritäre deutsche Linke und das Nicht-Ereignis des 7. Oktober

TL;DR: „Von Solidarität zu Schweigen“ – Große Teile der autoritären Linken haben den 7. Oktober nicht als Zäsur erkannt, sondern als Störung. Wer Antisemitismus nicht benennen kann, verliert das Vertrauen derer, die ihn am meisten fürchten.

„Von Solidarität zu Schweigen“ – Große Teile der autoritären Linken haben den 7. Oktober nicht als Zäsur erkannt, sondern als Störung.


Die Linke als Ganzes verliert wegen ihrer unklaren Haltung zum Antisemitismus das Vertrauen jüdischer Menschen in Deutschland. Wenn sie Befreiung meint, muss sie auch Jüdische Menschen meinen. Man hat das Gefühl: Genau das tut sie – in der Mehrheit – nicht.

Die Nachricht ist alt, aber ihre Pointe bleibt tödlich aktuell: Wenn das Massaker vom 7. Oktober 2023 – das schlimmste antisemitische Verbrechen seit der Shoah – nicht als Skandal, sondern als „Kontext“ erkannt wird, dann ist die Erklärung selten politisch, meist ideologisch. Seit jenem Tag ist vieles ans Licht gekommen – allerdings nicht in den Kreisen, die von sich behaupten, für Gerechtigkeit zu sprechen. Dort ist das Licht erloschen. Dort herrscht das große Schweigen. Ein Schweigen, das weniger aus Unwissen, als aus Überzeugung spricht.

Denn wer glaubt, der Pogrom sei eine moralische Zäsur gewesen, unterschätzt die Standfestigkeit des autoritär-linken Weltbildes – und seine selektive Wahrnehmung. Die barbarische Ermordung, Vergewaltigung und Verschleppung Hunderter israelischer Zivilisten wurde nicht verdrängt, sondern eingepreist. Nicht trotz, sondern wegen dieser Tat blieb das solidarische Klatschen aus. Die Täter? „Widerstandskämpfer“. Die Opfer? „Kolonialisten“. Der Reflex war so automatisiert, dass man sich fragt, ob nicht längst die Software den Diskurs übernommen hat – aus der Fakultät direkt ins Rechenzentrum des moralischen Fundamentalismus.

Die autoritäre Linke: Vom Antifaschismus zum Antizionismus

Die Professoren, Postdocs und Publizisten, die heute Israels „Völkermord“ anklagen, sind keine Unwissenden. Sie sind Wiederholungstäter. Ihre geistige Haltung wurde in Jahrzehnten eingeübt – in Seminaren über Whiteness, Postcolonial Studies und Critical Zionism. Wer dort lernte, dass Macht immer weiß, Unterdrückung immer kolonial, und Juden immer „weiß“ und „privilegiert“ sind, braucht keinen Faktencheck mehr – er hat die Wahrheit verinnerlicht. Im Zweifel gegen die Anklage, sofern der Angeklagte ein Jude ist.

Dass sich der Antizionismus als neues Opium der Intellektuellen erwiesen hat, ist keine Laune, sondern die logische Konsequenz einer Theorie, die alles erklärt – außer sich selbst. Die Toten vom Supernova-Festival? Bedauerlich, aber kein Ereignis. Die sexuellen Übergriffe an israelischen Geiseln? „Unbelegt“, „kontextualisierungsbedürftig“, bestenfalls „instrumentalisiert“. Der Empörungsreflex, sonst sekundenschnell abrufbar, streikt – offenbar aus Prinzip – wenn es um jüdische Menschen geht, die nicht der Shoah, sondern der Hamas zum Opfer fielen.

Besonders grotesk wird es in der Bundesrepublik, wo man sich noch gestern im Hochamt des Antifaschismus wähnte. „Nie wieder ist jetzt“ – es sei denn, es betrifft Juden. Dann ist „jetzt“ relativ, „Nie wieder“ ein PR-Slogan, den antiautoritäre Linke am 9. November und 27. Januar inbrünstig rezitieren, aber nicht auf lebende Juden beziehen. Dieselben Universitätsleitungen, die bei jedem polizeilichen Fehltritt binnen Stunden ein Diversity-Statement veröffentlichen, verstummen plötzlich, wenn jüdische Studierende auf dem Campus angegriffen werden. „Zu komplex“, heißt es dann – als ob Massenmord eine Meinungsfrage wäre.

Die Verschmelzung von Antizionismus und Antisemitismus ist kein Betriebsunfall, sondern systemkonform. Die jüdische Figur – einst Projektionsfläche für Gier, Geld und Macht – wurde recycelt: Nun heißt sie „Zionist“, kontrolliert angeblich Medien, Waffenlieferungen, Diskurse – oder „die jüdische Lobby“, die Amerika und Europa im Würgegriff hält. Aus dem „ewigen Juden“ wurde der „ewige Besatzer“. Und wer diesen als letztes Hindernis auf dem Weg zur Weltrevolution identifiziert, darf, ja muss, schweigen, wenn er abgeschlachtet wird.

Die moralische Dialektik funktioniert wie ein Uhrwerk: Wer tötet, weil er angeblich unterdrückt wird, ist kein Täter, sondern ein Ausdruck des Widerstands. Dass die Hamas ihr vernichtungsantisemitisches Massaker angekündigt, geplant und zelebriert hat, stört das Narrativ nicht. Im Gegenteil: Es verstärkt die Überzeugung, dass Israel das eigentliche Problem sei – nicht, weil es sich verteidigt, sondern weil es existiert.

Autoritäre Linke, die sich als Anwälte der Schwachen versteht, ertragen nicht, dass Juden nicht in ihre Schablone passen. Zu mächtig, zu westlich, zu wenig Opfer. Wer sich wehrt, ist nicht solidaritätsfähig. Der jüdische Staat sprengt die Kategorien modischen Widerstandsdenkens: demokratisch, militarisiert, widersprüchlich – und deshalb unerträglich.

Vom ewigen Juden zum ewigen Besatzer

So kommt es, dass dieselben Kreise, die sonst feministische Solidarität einfordern, bei der systematischen Vergewaltigung israelischer Frauen durch Hamas-Terroristen verstummen. „Me Too – unless you’re a Jew“ wurde zur bittern Realität. Während queere Palästinenser*innen im Westjordanland verfolgt, verprügelt oder ermordet werden, marschieren ihre deutschen Sympathisanten mit dem Ruf: „From the river to the sea“.

Was sich hier zeigt, ist kein politischer Fehltritt, sondern ein kategorialer Bankrott. Begriffe wie „Apartheid“, „Genozid“, „Kolonialismus“ sind keine analytischen Werkzeuge mehr, sondern religiöse Etiketten. Sie werden auf Israel geklebt wie einst das Judenzeichen – unabhängig davon, ob sie juristisch, historisch oder empirisch haltbar sind.

Aus Kritik wird Mythos, aus Analyse Moral, aus Moral Dogma. Dasselbe Verfahren, das einst Klassenfeinde stigmatisierte, funktioniert heute mit „Zionist*innen“. Der Reflex ist derselbe: Wer widerspricht, wird exkommuniziert – als „Komplize“, „weiß“ oder „faschistisch“.

Während linke Gruppen, teilweise zu Recht, das Vorgehen der Polizei gegen Unibesetzungen kritisieren, schweigen sie, wenn jüdische Studierende ihre Meinung nicht mehr äußern, ihre Identität verstecken oder aus Angst dem Campus fernbleiben. Dass dies geschieht, ist dokumentiert. Dass es die meisten Linken nicht interessiert, ist das eigentliche Skandalon.

Für große Teile der akademischen Linken in Deutschland fand der 7. Oktober nicht statt – zumindest nicht als moralisch relevantes Ereignis. Es war keine Zäsur, kein Bruch, kein Aufschrei. Es war eine Störung im ideologischen Betriebssystem, das die Hamas weiter als Befreiungsbewegung verwaltet. Die Gräueltaten wurden nicht verleugnet, sondern umdefiniert: als „Kontext“, als „Reaktion“, als „irgendwie verständlich“. Die Worte fehlten nicht – sie waren nur falsch.

Wenn die Linke den Anspruch erheben will, für Befreiung zu kämpfen, muss sie sich nicht nur von der Hamas, sondern auch von ihren eigenen Denkgewohnheiten befreien. Sie muss aufhören, Juden als Metaphern zu behandeln – und anfangen, sie als Menschen zu begreifen. Das ist keine kleine Forderung. Es ist ein intellektueller Kulturbruch.

Doch danach sieht es nicht aus. Zu bequem ist der alte Glaube, zu funktional das neue Schweigen. Und so bleibt die bittere Diagnose: Große Teile der Linken, die einst „Nie wieder“ meinten, hat sich auf halbem Weg verirrt. Sie sind nicht gegen Antisemitismus – sie sind gegen seine Anerkennung.

 

 

 

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