Israel, die Palästinenser*innen und die sektiererische, autoritäre Linke

 TL;DR: „Israelkritik“ ist selten Kritik, meist das alte Geschäft: Judenfeindschaft mit neuem Etikett. Linke, die beim G20 Kapitalismus und Nationen bekämpfen, kneifen bei Hamas & Scharia. Emanzipation heißt: Befreiung von Besatzung und Klerikern – nicht Applaus für "Blut und Boden".Israel, die Palästinenser*innen und die sektiererische, autoritäre Linke.



Wer „Israelkritik“ betreibt, meint selten Kritik, sondern das uralte Geschäft: der „Jude als Brunnenvergifter, Pestverbreiter, Kindermörder“, nur heute eben mit Pass und Parlament. Kein Volk der Erde, so will es die Logik der „Israelkritik“, hat Anspruch auf einen Staat – außer allen, nur nicht den Jüdischen Menschen. Belgienkritiker, Ghana-Skeptiker, Korea-Gegner? Gibt es nicht. Aber Israelkritiker*innen stehen Schlange.

Zur Klarstellung: Kritik an der israelischen Regierung, ihren Parteien oder der Armee – insbesondere, wenn sie sich auf Menschenrechte, Völkerrecht und demokratische Prinzipien beruft – ist legitim und notwendig. Antisemitismus beginnt dort, wo solche Kritik in pauschalen, ethnisierenden oder delegitimierenden Angriffen auf Jüdinnen und Juden oder den Staat Israel als jüdisches Gemeinwesen mündet.

Die Palästinenser*innen gelten in diesem Diskurs wahlweise als „Volk mit Bodenrecht“ oder als Projektionsfläche der eigenen Revolutionsromantik. Befreit werden soll nicht der Mensch, sondern das Land – von Juden, versteht sich. Dass dieselben, die den Juden die Eigenschaft „Volk“ absprechen, beim „palästinensischen Volk“ plötzlich marxistische Volkstümelei betreiben, stört niemanden.

Die linke Solidarität, die sonst Klassenkampf murmelt, fällt hier in andächtiges Schweigen. Statt Kapitalverhältnisse zu kritisieren, wird „Palästina“ beschworen – und was bleibt, ist die Apologie der klerikalen Diktatur. Männergewalt? Schwulenmord? Frauenverachtung? Geschenkt. Hauptsache, der Feind heißt Israel.

 

Israel, das einzige Land zwischen Marokko und Afghanistan, in dem Frauen wählen, Schwule überleben und Journalisten nicht wegen eines Satzes verschwinden, wird von seinen linken Feinden verdächtigt, die „glitzernde Hülle linksliberaler Werte“ übergestreift zu haben. Wenn Schwule leben dürfen, nennt man das „Pinkwashing“. Das ist ungefähr so, als würde man sauberes Trinkwasser als „Brunnenmarketing“ diffamieren.

Die Nachbarschaft Israels liefert derweil das Inventar regressiver Barbarei: Scharia-Gesetze, Zwangsehen, Kinder mit Sprengstoffgürtel. Linke, die sonst beim G20 gegen Patriarchat und Kapitalismus marschieren, schauen hier großzügig weg. Die Regression des aufgeklärten Bewusstseins stört nur, wenn sie in Tel Aviv einen Ministerposten bekleidet.

Die Hamas, deren Kämpfer ihre Hakenkreuzfahnen nicht aus Versehen im Keller gefunden haben, und der Ayatollah, der Israel in 25 Jahren von der Landkarte tilgen will, sind für die Autoritären und Antiimperialistischen Linke kaum eine Pressemeldung Wert (was sie von z.B. Jan van Aken unterscheidet, dem im Gegensatz zu ihnen der Satz „Die Hamas ist eine faschistische Organisation." ohne Relativierung  oder Ausflüchte über die Lippen kommt). Aber wenn in Tel Aviv ein Investor die Mieten erhöht, ist das der „Faschismus des Kapitals“.

Wer wirklich internationalistisch wäre, müsste den Palästinenser*innen nicht den nächsten „nationalen Befreiungskrieg“ predigen, sondern ihre doppelte Befreiung: von der israelischen Besatzung – und von Hamas, PLO, patriarchalen Clans und klerikaler Diktatur. Befreiung heißt nicht, den Boden zu „reinigen“, sondern die Menschen zu emanzipieren.

Eine Linke, die Emanzipatorisch und antiautoritär sein will sektiererisch und Dogmatisch, sollte aufhören, nationale Befreiungsfronten zu verklären, und anfangen, auf universelle Befreiung in Palästina und Israel zu bestehen. Alles andere ist nichts als das alte Lied: Die Juden sind schuld. Nur heißt der Jude heute Israel.

 


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