AfD auf dem Vormarsch: Kommunalwahlen in NRW werden zur Nagelprobe für die Demokratie

 TL;DR: Am 14. Sept. wird in NRW nicht nur gewählt – es wird gezittert. Die AfD könnte in Rathäuser einziehen, Fraktionen bilden, Geld und Einfluss gewinnen. Nicht aus eigener Stärke, sondern weil die Demokratie schwächelt. Wer geht wählen – bevor es zu spät ist?



AfD auf dem Vormarsch: Kommunalwahlen in NRW werden zur Nagelprobe für die Demokratie
Im bevölkerungsreichsten Bundesland könnten rechte Kräfte erstmals in entscheidende Ämter vordringen – auch ohne absolute Mehrheiten.

Von wegen kommunal und klein: Wenn am 14. September in Nordrhein-Westfalen gewählt wird, entscheidet sich weit mehr als nur, wer Bürgermeister oder Stadtrat wird. Es geht um den ersten großen politischen Stimmungstest seit der Bundestagswahl – und um die Frage, wie nah die AfD dem Machthebel vor Ort tatsächlich kommt.

Mehr als 18 Millionen Menschen leben in Nordrhein-Westfalen – mehr als in ganz Ostdeutschland zusammen. Hier, im Westen der Republik, wo einst die SPD mit 40 Prozent die Luft dominierte und ein CDU-Wahlsieg in einer Großstadt als Naturkatastrophe galt, klopfen heute jene an die Türen der Rathäuser, die laut Verfassungsschutz als rechtsextrem gelten. Ein „blaues Beben“ ist in Städten wie Gelsenkirchen, Duisburg oder Essen nicht mehr ausgeschlossen.

Faschismus im Anzug

Die AfD – juristisch Partei, ideologisch Projekt – hat in NRW zuletzt massiv an Boden gewonnen. In einer aktuellen Forsa-Umfrage liegt sie bei 14 Prozent – ein Plus von neun Prozentpunkten gegenüber der letzten Kommunalwahl 2020. Zahlen, die nicht nur auf dem Papier bedrohlich wirken: „Wir sehen hier keine demokratische Alternative, sondern eine Bedrohung für die Verfassung“, warnt SPD-Politiker Markus Töns aus Gelsenkirchen.

Zwar ist ein flächendeckender Wahlsieg der AfD in NRW unwahrscheinlich. Aber: Kommunalpolitik ist keine Bundestagstribüne – mit bereits wenigen Prozentpunkten lässt sich in Stadtparlamenten Macht organisieren. Fraktionen erhalten Mittel, Stellen, Einfluss. Und genau das droht jetzt.

Gelsenkirchen, Duisburg, Essen und auch Dortmund: Wo die Republik bröckelt

In Gelsenkirchen, einst sichere Bastion der SPD, wurde bei der Bundestagswahl 2025 ein politisches Beben registriert: Zwar gewann SPD-Mann Markus Töns das Direktmandat – doch bei den Zweitstimmen lag erstmals die AfD vorne, mit 24,7 Prozent. Für die anstehende Oberbürgermeisterwahl tritt Norbert Emmerich für die AfD an. Sollte die Wahlbeteiligung – wie bereits 2020 mit nur 51,9 Prozent – niedrig bleiben, könnte Emmerich tatsächlich in die Stichwahl kommen. Die amtierende SPD-Oberbürgermeisterin Karin Welge steht unter Druck.

In Duisburg II erzielte die AfD bei der letzten Bundestagswahl 26,7 Prozent der Erststimmen und 24,8 Prozent der Zweitstimmen – ein hauchdünner Rückstand von 0,5 Prozentpunkten hinter der SPD. In Duisburg I lag sie mit rund 17 Prozent ebenfalls deutlich über früheren Ergebnissen. Die CDU erreichte in beiden Wahlkreisen nur abgeschlagene dritte Plätze. Angesichts der verbreiteten Unzufriedenheit mit der Bundesregierung droht der AfD hier ein kommunalpolitischer Durchbruch.

Auch in EssenII verschieben sich die politischen Gewichte dramatisch. Die SPD kam bei den Zweitstimmen auf 23,2 Prozent, dicht gefolgt von der CDU mit 22,3 Prozent – und der AfD mit 22 Prozent. Der Unterschied: kaum messbar, das Risiko einer Machtverschiebung real.

Selbst in Dortmund, der inoffiziellen „Hauptstadt des Ruhrgebiets“, liefern sich SPD und CDU laut aktueller Sonntagsfrage ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit jeweils 24 Prozent. Die Grünen folgen mit 17 Prozent, während die AfD mit 15 Prozent bereits vor den Linken liegt (10 Prozent). Auch hier könnten lokale Dynamiken für Überraschungen sorgen – besonders bei niedriger Wahlbeteiligung.

Die AfD – juristisch Partei, ideologisch Projekt – hat in NRW zuletzt massiv an Boden gewonnen. In einer aktuellen Forsa-Umfrage liegt sie bei 14 Prozent – ein Plus von neun Prozentpunkten gegenüber der letzten Kommunalwahl 2020. Zahlen, die nicht nur auf dem Papier bedrohlich wirken:

Die AfD profitiert nicht wegen eigener Stärke, sondern weil die Demokratie sich selbst schwächtWenn die etablierten Parteien ihren Kompass verlieren, übernehmen andere die Richtung“

Es geht nicht nur um Sitze – es geht um Geld. Schon mit einer kleinen Fraktion erhält die AfD Mittel für bezahlte Mitarbeiter, Geschäftsstellen, Öffentlichkeitsarbeit. Das öffnet Tür und Tor für den Ausbau rechtsextremer Netzwerke vor Ort. Die kommunale Infrastruktur wird zur Drehscheibe – mit Steuermitteln bezahlt.

„Wer glaubt, Faschismus komme mit Stiefeln, sollte sich den Haushaltsplan von Duisburg anschauen“, so eine Kommunalbeamtin, die anonym bleiben möchte.

Kandidaturen auf wackligem Boden

In Lippetal kandidiert ein vorbestrafter AfD-Mann – obwohl er laut Gesetz nicht zugelassen werden dürfte. Die Wahlbehörde übersah das, der Einspruch kam zu spät. In Wickede wurde ein Bewerber abgelehnt, weil er gar nicht in der Gemeinde wohnt. In Lage durfte der Kandidat Uwe Detert wegen verfassungsfeindlicher Äußerungen nicht antreten – das Wahlgremium hatte ernste Zweifel an seiner demokratischen Gesinnung. Auch in Leverkusen wurde Markus Beisicht, ein einschlägig bekannter Jurist mit Verbindungen in pro-russische und rechtsextreme Kreise, nicht zugelassen.

Köln, Düsseldorf, Hamm: Keine Mehrheit, aber viel Bewegung

In Köln (10 Prozent laut Umfrage) und Düsseldorf (7 Prozent) bleibt die AfD auf Distanz zur Mehrheit, könnte aber Fraktionen bilden. In Hamm hingegen erzielte sie bei der Bundestagswahl über 21 Prozent der Zweitstimmen – ein Plus von fast 12 Prozentpunkten im Vergleich zu 2021. Auch in Hagen wird es eng: Dort könnte Michael Eiche für die AfD in die Stichwahl einziehen, wenn CDU oder SPD weiter verlieren.

Nicht nur die AfD gewinnt – auch die Großen verlieren. Laut Forsa stürzen SPD und CDU ab, die Grünen stagnieren. Die einstige Herzkammer der SPD schlägt nur noch schwach. „Die Enttäuschung über Berlin ist in jeder Fußgängerzone spürbar“, sagt Andrea Henze, SPD-Kandidatin in Gelsenkirchen. Eine schwarz-rote Bundesregierung, die sich in Krisen weggeduckt hat, hinterlässt verbrannte Erde – und Leerräume, die andere füllen.

Noch ist nichts entschieden. Kommunalwahlen sind nicht Bundestag, ihre Dynamiken anders – lokal, volatil, stimmungsgetrieben. Aber das Risiko, dass die AfD sich in Rathäusern verankert, war nie größer. NRW könnte zum Musterfall dessen werden, was es heißt, wenn eine Partei, deren Vertreter Hitler für einen „großen Staatsmann“ halten, nicht nur mitredet – sondern mitregiert.

Die Frage ist: Wer geht am 14. September überhaupt wählen?

 


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