Zerrissene Solidarität: Wie sich die Linke beim Thema Israel selbst entkernt

 

TL;DR: Die Gründung der BAG Shalom zeigt: Wer in der Linkspartei Antisemitismus bekämpft, gilt schnell als „zionistisches U-Boot“. Der eigentliche Skandal? Nicht der Hass, sondern der Widerstand gegen ihn wird zum Problem erklärt.


Die Gründung der BAG Shalom spaltet die Linkspartei: Antisemitismuskritik trifft auf innerparteilichen Hass – und legt ideologische Abgründe offen.


In der Partei Die Linke wächst der Widerstand gegen israelfeindliche Positionen aus den eigenen Reihen. Die Gründung der BAG Shalom markiert eine innerparteiliche Zäsur – und offenbart einen ideologischen Abgrund, der lange gepflegt wurde.

Eine Hand hält ein Megafon, darüber prangt der Schriftzug „BAG Shalom – Wir haben uns gegründet“. So nüchtern beginnt ein Tweet, der eine Welle losgetreten hat, wie sie in der Partei Die Linke seit Jahren gärte – und von vielen gefürchtet, von einigen herbeigesehnt wurde. Die Gründung der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Shalom, die sich dem Kampf gegen Antisemitismus in Partei und Gesellschaft verschreibt, hat nicht nur Zustimmung erfahren. Sie hat vielmehr ein Ventil geöffnet für das, was sich im Inneren der Partei seit Langem staut: eine grundlegende Uneinigkeit darüber, ob und wie Solidarität mit Palästina mit Solidarität mit Jüdinnen und Juden vereinbar ist.

Was ist passiert? Wer ist beteiligt? Und warum jetzt?

Am 22. November wurde die BAG Shalom offiziell gegründet – mit dem erklärten Ziel, antisemitischen Tendenzen innerhalb der Linkspartei entgegenzutreten. Thomas Dudzak, einer der Sprecher der neuen Struktur, nennt es einen „dringend benötigten Aufbruch“. Im Gespräch betont er: „Was dieses Land auf keinen Fall braucht, ist eine antisemitische Linke.

Der Widerstand gegen diese Initiative folgte prompt – nicht nur im Parteivorstand oder in einschlägigen Telegram-Kanälen, sondern öffentlich, ungeniert, aggressiv: auf Twitter/X. Dort wurde die neue BAG als „zionistische Sekte“, als „Völkermord-Lobby“, als „orwellsches Friedensprojekt“ beschimpft. Eine Auswahl der Reaktionen liest sich wie ein Leitfaden zur israelbezogenen Radikalisierung: BAGenozidleugner“, „Pro Völkermord? Frage für einen Freund“, „Kein Platz für Israel in Deutschland“.

Dass diese Stimmen nicht aus anonymen AfD Telegram-Gruppen, sondern aus dem weiteren Umfeld der Partei stammen, sollte zu denken geben. Es handelt sich um Parteimitglieder, Jugendfunktionäre, frühere Solid-Aktive. Einer der harmloseren Kommentatoren – ein gewisser Janis Stieger, Parteimitglied in Baden-Württemberg – schreibt: Es gibt keinen Antisemitismus in der Linken.“ Man wünschte, es wäre Ignoranz. Es ist Verdrängung.

Dass Antizionismus innerhalb der deutschen Linken zunehmend als Ersatzreligion für Weltdeutung dient, ist kein Novum. Neu ist allerdings die Hemmungslosigkeit, mit der dieser Antizionismus artikuliert wird – oft in einer Sprache, die noch nicht einmal die Mühe aufbringt, sich vom Antisemitismus zu distanzieren.

So wurde etwa in einem Social-Media-Beitrag der Frankfurter Linksjugend [’solid] der Ausschluss einer jüdischen Schülergruppe aus einer Palästina-Demo mit Bedauern kommentiert – nicht, weil Ausschluss diskriminierend sei, sondern weil man sie lieber aus einem Flugzeug geworfen hätte. 14 Tage dauerte es, bis dieser Beitrag gelöscht wurde – und das auch nur unter öffentlichem Druck. Niemand aus der Parteiführung oder dem Jugendverband sah zuvor Anlass zur Korrektur. Wenn man der Logik von Janis Stieger folgt, ist das kein Antisemitismus, sondern antifaschistisches Empowerment. Wer braucht da noch Satire?

Die Gründung der BAG Shalom ist kein Ausdruck einer neuen Strömung. Sie ist ein spätes Aufbäumen – gegen eine Entwicklung, die lange verharmlost wurde. Seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 hat sich der Ton innerhalb der Partei weiter verschärft. Dudzak beschreibt es so: „Es gibt Hardcore-Leute, die antisemitische Propaganda betreiben, aber auch viele, die glauben, für das Gute zu kämpfen – ohne historisches Wissen.“

In der Öffentlichkeit inszeniert man sich gerne als einzige Politische und moralische Instanz gegen Krieg und Besatzung – doch sobald es um jüdisches Leben geht, wird es auffällig still. Oder laut, aber in eine andere Richtung. Die Hamas? Wird in Beschlüssen nicht erwähnt. Ihre Raketen auf Tel Aviv und andere Städte in Israel? Für die Linke kein Wort der Kritik wert, für Sie anscheinend ein Kollateralschaden des Kolonialismus. Die israelischen Geiseln? Eine PR-Inszenierung.

Und wer diesen moralischen Bankrott nicht mehr mitträgt, fliegt raus – oder wird niedergebrüllt. Ramsis Kilani, einst Hoffnungsträger der linken Palästinasolidarität, lobte die Hamas-Terroristen hielten „heldenhaft selbstaufopfernd die letzte Linie (für) Gazas Selbstverteidigung“ – der Parteiausschluss folgte spät, aber immerhin. Doch wer ist lauter: Die Mehrheit, die den Ausschluss begrüßt? Oder jene, die das Karl-Liebknecht-Haus stürmen und den Rauswurf als „Verbrechen an der palästinensischen Bevölkerung“ bezeichnen?

Nicht der Antisemitismus, sondern der Widerstand gegen ihn wird zum Problem erklärt

Wer sich gegen diesen Irrsinn stellt, steht unter Rechtfertigungsdruck. Die BAG Shalom betont, dass sie keine unkritische Israelsolidarität vertritt – im Gegenteil: Die aktuelle Regierung Netanjahus ist ihr erklärter Gegner. Muss man noch erklären, dass Kritik an der Regierung Netanjahu Antifaschismus und damit legitim, wichtig und richtig ist – aber nicht identisch mit der Leugnung des Existenzrechts des einzigen Staates Weltweit, der frei von Antisemitismus ist?

Ihr Fokus als liegt nicht auf Nahostpolitik, sondern auf dem Schutz jüdischen Lebens in Deutschland und dem Zurückdrängen antisemitischer Tendenzen – auch innerhalb der eigenen Partei.  

In den Sozialen Netzwerken begegnet der BAG eine bemerkenswerte Logik: Wer sich gegen Antisemitismus engagiert, betreibe eine „zionistische Agenda“, sei ein „U-Boot der israelischen Rechten“. Eine Frau aus Bayern, die bei der Gründungsveranstaltung der BAG sprach, formulierte es so: „Ich mache das nicht, weil es mir Freude bereitet, mich mit Antisemiten herumzuärgern. Aber es ist höchste Zeit.“ Ein anderer Teilnehmer berichtete von Genossen, die die Vergewaltigung israelischer Frauen als „legitimen Widerstand“ bezeichneten. Wer diesen Zustand nicht für einen Skandal hält, hat sich längst mit ihm arrangiert.

Die Gründung der BAG Shalom ist ein Zeichen – und ein Test. Innerhalb weniger Stunden erklärten über 300 Mitglieder ihre Unterstützung. Doch der Gegenwind ist stark. In Berlin geben Israelfeinde inzwischen in mehreren Bezirksverbänden den Ton an, aus Anträgen wird beantragt Selbstverständlichkeiten wie „Wir nehmen keine Bedrohung jüdischen Lebens in diesem Land oder sonst irgendwo hin. Es gilt, alles zu tun, damit Auschwitz nie wieder sei.“ zu streichen. Manch einer befürchtet, dass die kommenden Landeslisten zur Bühne für antiisraelische Mobilisierung werden. Die Spitzenkandidatin Elif Eralp will Berlin in eine „rote Metropole“ verwandeln – doch wenn „rot“ am Ende vor allem „grün-weiß-schwarz“ bedeutet, wird kein Koalitionspartner mehr mitspielen.

Andreas Büttner, Antisemitismusbeauftragter Brandenburgs, nannte die Gründung der BAG ein Zeichen gegen den „schleichenden Verlust des moralischen Koordinatensystems“. Eine linke Politik, so Büttner, müsse „niemals solidarisch mit Terroristen“ sein. Auch nicht im Namen der Unterdrückten.

Antisemitismus ist nicht das Privileg der Rechten. In linken Kontexten kommt er meist verkleidet – als Antizionismus, Antikolonialismus, Menschenrechtsrhetorik. Man empört sich über Besatzung, nicht über Bomben auf Schulbusse. Über Checkpoints, nicht über Kindermord. Über Israels Existenz, nicht über deren Bedrohung.

Die Gründung der BAG Shalom zeigt: Noch gibt es Kräfte, die diesem Verschleierungsdiskurs etwas entgegensetzen. Doch sie kämpfen gegen eine Sprachgemeinschaft, in der „Zionismus“ ein Schimpfwort und „Widerstand“ ein Euphemismus für Terror ist.

Das Problem ist nicht, dass sich die Linke mit Palästina solidarisiert. Das Problem ist, dass viele von ihr glauben, jüdisches Leben sei der Preis dafür.

 

 

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