Säuberungsphantasien per offenem Brief – Stalinistische Nostalgie in der Linken
TL;DR: In der Partei Die Linke und der Linksjugend ['solid] kursiert ein offener Brief, der „eine klare Positionierung gegen den Völkermord in Gaza“ und den Ausschluss „antideutscher Strömungen“ fordert – andernfalls Rücktritt, Frist bis 31.08. Moral als Waffe, Unterschriften als Knüppel: ein deutscher Traum von der Säuberung, diesmal mit Friedensfahne. Wer nicht bereit ist, Israels Vernichtung still zu dulden, fliegt raus – das ist die neue Solidarität. „Völkermord“ dient als moralischer Freibrief für alten deutschen Judenhass im revolutionären Kostüm. Stalin hätte für weniger Parteiverfahren eröffnet, die deutsche Linke regelt das per PDF. Sie drohen mit Rücktritt. Leider nicht sofort.
In den Kreisen der Partei Die Linke und der Linksjugend ['solid] kursiert derzeit ein „Offener Brief an die Parteiführung“ zur Mitzeichnung, der sich selbst als Rettungsschirm für die Grundwerte der Linken inszeniert. Darin fordern die Unterzeichner*innen eine „klare Positionierung gegen den Völkermord in Gaza“, den „Ausschluss antideutscher Strömungen“ wie BAK Shalom und eine „konsequente Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung“. Andernfalls, so das ultimative Versprechen, werden die die Unterzeichner*innen ihre Ämter niederlegen und über ihre Mitgliedschaft in der Partei nachdenken – Fristende: 31. August.
Mit
moralischer Wucht, großen Worten und der altbekannten deutschen Gabe, das
Gewissen zur Waffe zu machen, richten sich die Verfasser gegen jene Strömungen
in der Linken, die nach Auschwitz der Versuchung widerstehen, Juden wieder zur
Disposition zu stellen – diesmal nicht im Namen der Nation, sondern im Namen
der Solidarität.
Die
Unterzeichner*innen dieses offenen Briefes wollen, wie sie schreiben, „eine
klare Positionierung gegen den Völkermord in Gaza“, „den Ausschluss
antideutscher Strömungen“ und „konsequente Solidarität mit der
palästinensischen Bevölkerung“. Das klingt, als hätte der Geist des Stalinismus
über Luxemburgs Geist der Freiheit und der Aufklärung einmal mehr die besseren
Karten – und der nächste Rücktritt soll das Siegel darunter setzen.
Man kennt
diesen Gestus: moralische Ultimaten, abzugeben bis 31.08., unterschrieben von
denen, die „die Stimme der Unterdrückten“ sein wollen, aber vor allem die
Stimme all jener sind, die keine anderen Töne mehr hören mögen. Die deutsche
Linke träumt wieder vom großen Kehraus – diesmal nicht gegen „Trotzkisten“ oder
„Sozialfaschisten“, sondern gegen den BAK Shalom, den letzten Rest linker
Erinnerung daran, dass Antisemitismus nicht nur ein kapitalistisches, sondern vor
allem ein deutsches Problem ist.
„Antideutsche
Strömungen entfernen sich von den Grundwerten der Linken“, schreiben sie, und
was sie meinen, ist: Wer nach Auschwitz nicht bereit ist, den nächsten
jüdischen Staat zur Schlachtbank freizugeben, hat in dieser Partei nichts
verloren. Der Begriff „Völkermord“ wird zur neuen Eintrittskarte in den Kreis
der Anständigen – ein großes deutsches Wort für den alten deutschen Traum vom
sauberen Judenmord, diesmal im Gewand der Solidarität.
Man
könnte lachen, wäre es nicht so erbärmlich: ein innerparteiliches
Erpressungsmanöver, das unter der Fahne der Moral die Pluralität der Linken
liquidieren will. Stalin hätte für weniger ein Parteiverfahren eröffnet; die
deutsche Linke tut es mit „offenem Brief“ und Unterschriftenliste. Die
Säuberung ist sanfter geworden, das Denken dahinter nicht besser.
„Ihr habt Zeit bis zum 31.08.“, schreiben sie. Ultimaten sind hierzulande
Tradition: Früher ging es um die historische Mission, heute genügt die Fristsetzung
per PDF. Leider ist ihr Rücktritt nur angedroht. Einmal mehr hätte man den Satz
„Wir werden gezwungen sein, unsere Ämter niederzulegen“ gerne gelesen – ohne
„gezwungen“. Und sofort.