„Sozialismus der dummen Kerls“ – jetzt mit Warnung vor Mahnwachen
Der
Fortschritt marschiert – diesmal nicht durch die Institutionen, sondern an
ihnen vorbei: in Richtung Twitter, wo das proletarische Klassenbewusstsein in
280 Zeichen passt und der Antisemitismus nicht mehr geleugnet, sondern als
Antizionismus emanzipiert wird. Janis Stieger, ein „Sozialist“ aus dem Ländle, bewaffnet mit
Profilbild und Gesinnung, bedankt sich artig: „Danke für die Warnung!“ –
gemeint ist nicht die Warnung vor Antisemitismus, sondern gegen
jene, die vor ihm warnen.
Das nennt
man Fortschritt, allerdings rückwärts.
Wo früher
die internationale Solidarität geübt wurde – außer natürlich mit Juden, die es
wagten, sich selbst zu verteidigen – reicht heute ein Zitat-Tweet, um zu markieren,
dass man sich im falschen Lager wähnt. Israel solidarisch? Jüdische Menschen,
Jüdisches Leben sichtbar? Antisemitismus benennen, ohne sich dabei die Kehle an
der eigenen antiimperialistischen Phrase zu verschlucken? Danke für die Warnung!“
– ruft der deutsche Linke, der gelernt hat, dass „Nie wieder“ nur am 27. Januar
und am 9. November gut klingt – aber nur, wenn es nicht auf Hebräisch gesagt
wird.
Die
Mahnwachen, um die es geht, erinnern nicht an irgendein abstraktes Prinzip,
sondern an konkrete Menschen: an Entführte, an Ermordete, an lebendige Geschichte.
Das scheint zu stören. Wer
im deutschen Partei-Linken Diskurs „Antisemitismus“ sagt, muss heute damit
rechnen, als „Zionist“, als Agent einer fremden Macht gebrandmarkt zu werden.
Wer Gedenken fordert, ohne antiisraelische Fußnoten, gilt bereits als
Provokateur im Dienste der „rechten Regierung Israels“. Und wer Juden nicht als
Mahnmal, sondern als Nachbarn versteht – gar als Bürger eines jüdischen Staates
–, der braucht offenbar Sicherheitsvorkehrungen.
Dass der
deutsche Linke sich dabei auf der richtigen Seite der Geschichte wähnt, ist
keine Überraschung, sondern Tradition. Schon immer fand man Wege, gegen
den Faschismus zu sein, ohne je mit seinen Opfern zu sympathisieren. Bebels
„Sozialismus der dummen Kerls“ – das ist jener, der alles kritisch sieht, nur
nicht sich selbst. Und der, wenn man ihm den Antisemitismus zeigt, zurückzwitschert:
Danke für die Warnung!
Man wird sich erinnern.