Palmer stolpert mal wieder ins braune Fettnäpfchen
TL;DR: Palmer wollte Debatte, geliefert hat er eine Bühne für die AfD. Er gewinnt argumentativ, aber Frohnmaier triumphiert, Tübingen verliert. Ein Pyrrhussieg im Namen des Dialogs – und ein Geschenk an die Faschisten, das kein Demokrat gebraucht hätte.
Wie der Tübinger Oberbürgermeister der AfD ein Geschenk machte – und warum
das kein Versehen war
Markus
Frohnmaier lacht, als er „Nazi“ genannt wird – und Boris Palmer lässt ihn
gewähren. In der Hermann-Hepper-Halle sollte eigentlich diskutiert werden: über
Migration, Klima, Wohnungsnot. Heraus kam ein Polit-Spektakel, das dem
AfD-Spitzenkandidaten im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg den größten
Auftritt seiner Karriere bescherte – gesponsert vom Bürgermeister höchstselbst.
Was war
passiert?
Palmer,
parteiloser Ex-Grüner mit Hang zur politischen Selbstinszenierung, hatte sich
auf einen Deal mit der AfD eingelassen: Keine Demonstration der Partei
im Sommer – dafür eine öffentliche Debatte mit dem baden-württembergischen
Landeschef Frohnmaier. Die Rechnung: Mehr Ruhe für den Einzelhandel in der
Innenstadt. Der Preis: Eine Bühne für den Rechtsextremismus.
Das Publikum tobt – und
Frohnmaier triumphiert
Noch bevor
ein Thema angeschnitten wird, brüllen Störer fast eine Stunde lang den
AfD-Politiker nieder. „Ganz Tübingen hasst die AfD“, schallt es durch die
Halle. Frohnmaier, vom Podium aus: „Schauen Sie sich an, wie Linke mit
Meinungsfreiheit umgehen.“ Was als Skandal gedacht war, gerät zur Vorlage. Der
Mann weiß, wie man Empörung kapitalisiert.
Als es dann
doch zur Debatte kommt, gibt Palmer sich kämpferisch. Er zitiert aus dem
AfD-Milieu – „Das Pack erschießen oder nach Afrika prügeln“ –, fragt, ob das
noch Meinungsfreiheit sei. Frohnmaier kontert routiniert: Wer so etwas sage,
fliege aus seiner Partei. Natürlich. Und wenn nicht, sei das dann ein Versehen?
Palmer hakt
nach: „Was bedeutet Remigration in einer Stadt mit 200 ausreisepflichtigen
Ausländern?“ Frohnmaier räumt ein, dass der Begriff vielleicht „kommunikativ“ nicht
ideal sei. Man müsse ihn eben erklären. Die Strategie: Euphemismus statt
Inhalt.
Die Debatte
entwickelt sich zur Farce. Bürger danken Palmer, der AfD-Chef weicht aus, der
Moderator ruft zur Mäßigung auf – doch draußen pfeifen sie, drinnen johlen sie.
Eine Unterstützerin ruft zustimmend, man solle die Antifa „nach Buchenwald
abschieben“. Palmer bleibt ruhig. Man könnte auch sagen: zu ruhig.
Dabei wäre
genau jetzt der Moment gewesen, die Diskussion zu beenden. Stattdessen lässt
sich Palmer auf Argumentationsgymnastik ein, zitiert das AfD-Programm, warnt
vor dem EU-Austritt. Richtig. Wichtig. Und doch – zu spät.
Denn
Frohnmaier bekommt, was er braucht: Öffentlichkeit. Legitimation. Und das Bild
eines AfD-Politikers, der sich einer demokratischen Debatte stellt – auch wenn
er sie rhetorisch umschifft wie ein Kapitän mit Navigationsangst.
Warum Palmer
sich selbst entmachtet hat
Die Pointe
des Abends? Frohnmaiers bekannteste Rede – „Wenn wir kommen, wird ausgemistet“
– darf zitiert werden, ohne Konsequenz. Palmer fragt, ob dann Gerichte,
Bürgermeister, Institutionen noch unabhängig seien. Frohnmaier sagt: „Mir geht
es nur um den Politikstil.“ Das reicht, um durchzukommen.
Und Palmer?
Der sich sonst gerne als intellektuell unbestechlichen Solitär feiert, bleibt
zum Schluss nur die Rolle des demokratischen Mahners. Er hat die Bühne gebaut,
das Mikro eingeschaltet, die Polizei gebeten, Störer zu entfernen – und dann
zugesehen, wie die AfD ihren Wahlkampfstart in Szene setzt.
Ein
Missverständnis? Eine taktische Fehleinschätzung? Oder eine egozentrische
Grenzüberschreitung im Namen des Dialogs?
Tübingen ist
kein AfD-Hotspot. Bei der letzten Wahl bekam sie hier gerade einmal 6,51 % der
Zweitstimmen. Und doch wurde sie an diesem Abend auf Augenhöhe gestellt – von
einem Oberbürgermeister, der es besser wissen müsste. Denn das politische
Gewicht einer solchen Debatte bemisst sich nicht an den Stimmen von gestern,
sondern an der Bühne von heute.
Wenn
demokratische Verantwortungsträger aus falsch verstandener Dialogbereitschaft
rechtsextremen Akteuren Öffentlichkeit verschaffen, dann ist das kein Beitrag
zur politischen Kultur. Es ist Teil des Problems.
Frohnmaier,
bis dahin ein eher blasser Landesvorsitzender, verlässt die Halle als
prominentester AfD-Kandidat des Landes. Palmer geht mit einem
Talkshow-Termin-Kalender und dem Applaus seiner Fans. Die Demokratie? Muss
draußen warten, zwischen Sirenen, Trillerpfeifen und Polizeiketten.
Vielleicht
ist das die wahre Lehre des Abends: Nicht jeder Diskurs ist eine Sternstunde.
Manchmal ist er ein Pyrrhussieg. Vor allem dann, wenn man ihn mit dem Gegner
verwechselt.
Sie wollten
Debatte, Herr Palmer. Sie haben Inszenierung geliefert. Und den Preis dafür
zahlen andere.