Der Tod von Charlie Kirk als MAGA & AfD - PR-Kampagne

TL;DR: Der Tod von Charlie Kirk wird von MAGA und AfD zur PR-Kampagne gemacht: Aus einem unaufgeklärten Gewaltakt wird Märtyrerkult. Was bleibt, ist kein Ruf nach Aufklärung, sondern nach Autorität, Ausnahmezustand – und der Rehabilitierung der Gewalt.




Die politische Rechte in den USA hat die Kunst der Umdeutung perfektioniert. Charlie Kirk war nicht der harmlose „Konservative“, als den ihn, nach  taz und NIUS nun auch öffentlich-rechtliche Nachrufe verharmlosen – er war ein religiös verbrämter, ethnonationalistischer Mobilisator, ein ideologischer Feldwebel auf Kulturkriegsmission, der im Wahljahr 2024 stolz verkündete, dass gebürtige Amerikaner von Ausländerhorden „ersetzt“ würden – eine Formulierung, für die man anderswo einen Hausbesuch vom Verfassungsschutz riskiert.

Doch anstatt Kirks Tod für das zu halten, was er im Moment ist – ein noch unaufgeklärter Gewaltakt – stilisieren seine Weggefährten ihn zum Märtyrer einer ideologischen Christenverfolgung. Dass der Täter bisher nicht identifiziert ist, stört nicht, im Gegenteil: Die Lücke füllt sich rasch mit Projektionen. Ein nicht verifizierter Polizeibericht mit angeblich „transgenderfreundlicher“ Symbolik auf Patronenhülsen reicht aus, um kollektive Bestrafung zu fordern. Trans Personen, Ausländer, Liberale – sie alle stehen nun unter Generalverdacht. Und damit sind wir wieder im Terrain der politischen Theologie.

Was folgt, ist ein Lehrstück darüber, wie sich rechter Opferkult als autoritäres Machtmittel instrumentalisieren lässt. Der stellvertretende Außenminister Landau empfiehlt nun, Visa nach Grad der Trauer um Charlie Kirk zu vergeben – als hätte Trauerpflicht nicht bereits im zaristischen Russland Konjunktur gehabt. Joey Mannarino, ein rechter Influencer im TikTok-Westen, nennt Transpersonen „Kreaturen“ und fordert Lager – eine Sprache, die nicht mehr polemisiert, sondern bereits praktiziert.

Doch wer war dieser Mann, der nun als Prophet des Patriarchats heiliggesprochen wird? Kirk hat Martin Luther King Jr. erst als T-Shirt-Ikone verkauft, dann als "schrecklichen Menschen" denunziert. Er behauptete, Frauen sollten früh heiraten, die Schule meiden und „den Haushalt nicht auslagern“. Seine Organisation TPUSA inszeniert das Christentum als Bollwerk gegen „dämonische“ Erziehung, LGBTQ-Literatur und soziale Empathie. Bildung wird als „spirituelle Gefahr“ dargestellt, weil sie Kinder angeblich von Gott und Gebärpflicht entfremdet. Was war das nochmal gleich: Werte? Oder nur Vormundschaft?

Die Ironie ist vollständig: Der Mann, der für die Wiedereinführung einer vormodernen Geschlechterordnung stritt, stirbt inmitten der liberalen Demokratie, die er verachtete – und seine Anhänger rufen nach dem Ende jener Freiheit, die ihnen überhaupt erlaubt, ihre Mythen zu verbreiten.

Die rhetorische Asymmetrie ist das eigentlich Bedrohliche: Linke Gewalt wird – zu Recht – geahndet und kritisiert. Rechte Gewalt aber wird vorbereitet, verklärt, rationalisiert. Der Mord an Kirk (sofern es ein solcher war) wird nicht als Einzelakt betrauert, sondern als Kriegsgrund verwertet. Die Rhetorik von „Rache“, „Zerstörung der Linken“, „Zwangsmaßnahmen gegen Transpersonen“ zielt auf Mobilisierung – nicht auf Aufklärung. So wird die extreme Rechte nicht Opfer, sondern Vollstrecker ihres eigenen Programms.

Kirk hat nie ein Geheimnis aus seinen Absichten gemacht: Er wollte eine Gesellschaft ohne säkulare Gleichheit, ohne queere Sichtbarkeit, ohne akademische Selbstreflexion. Ein Gottesstaat, weiß und bewaffnet. Dass dieser Mann in Talkshows auftreten durfte, auf Wahlveranstaltungen redete und an staatlich privilegierten Steuerkonstrukten partizipierte, ist kein Zufall – sondern strukturelle Beihilfe.

Man kann das nicht oft genug sagen: Wer gegen die Grundlagen der Demokratie arbeitet, sollte nicht durch ihren moralischen Kredit geadelt werden. Die Tragödie liegt nicht in Kirks Tod, sondern darin, was nun aus ihm gemacht wird.
Ein Ruf nach Autorität. Ein Ruf nach Ausnahmezustand. Ein Ruf nach der Rehabilitierung der Gewalt.

Während in den USA begnadigte Aufständische des 6. Januar 2021 den Tod von Charlie Kirk nutzen, um zum Bürgerkrieg aufzurufen und die Rechtsextreme Abgeordnete Anna Paulina Luna Unterschriften für einen Brief,  in dem  fordert, im Kapitol eine Statue von Charlie Kirk aufzustellen sammelt, wollen ihre deutschen Geschwister im Geiste natürlich nicht abseits stehen. Beatrix von Storch erklärte auf Englisch, Kirk habe „sterben müssen, weil er die Wahrheit aussprach“, und setzte mit einem „Santo Subito!“ gleich noch die Forderung nach seiner Heiligsprechung drauf. Die AfD versammelte sich zur Mahnwache vor der US-Botschaft, als handle es sich um den Tod eines Dissidenten und nicht eines Antisemiten. Parteichefin Weidel stilisierte Kirk zum „Kämpfer für die Meinungsfreiheit“ – so, wie andere einst Franco als Verteidiger des Abendlands verkauften. Man möchte lachen, wäre es nicht so durchsichtig: Auch in Deutschland lebt die Rechte von der Einbildung, ihre Gegner planten die „Vernichtung“ – und was in Amerika als Märtyrerposse beginnt, endet hierzulande als Vorwand für neue autoritäre Gelüste.

Nicht die Tat, sondern die Sprache ist der eigentliche Terrorismus.

 

Beliebte Posts aus diesem Blog

Auf die Straße für Gaza? Eine Antwort an die Linken-Vorsitzenden

Säuberungsphantasien per offenem Brief – Stalinistische Nostalgie in der Linken

Erinnerungskultur als Streitfall – Alan Posener contra Bodo Ramelow