The Times they are Changing – zum Statement Die Linke Frankfurt „Antisemitismus hat in der Linken keinen Platz!“

 TL;DR: „Es gibt bei uns keine Antisemiten!“, tönte Van Aken. Nach dem antisemitischen Tweet von Solid klingt es schon leiser: „Antisemitismus hat in der Linken keinen Platz.“ Vom stolzen Ausschluss zur beschwichtigenden Formel – das nennt man Fortschritt.


Beim Parteitag der Partei Die Linke in Halle erklärte der neue Parteivorsitzende Jan van Aken, keinen Widerspruch duldend: „Es gibt bei uns keine Antisemiten!“
Nachdem ein Mitglied des Parteijugendverbandes Solid nun mindestens einen klar antisemitischen Tweet abgesondert hat, ist aus dem forschen „gibt es bei uns nicht“ ein kleinlautes „hat in der Linken keinen Platz“ geworden.

Der Antisemitismus, erfahren wir von der Partei Die Linke in Frankfurt, hat in der Linken keinen Platz. Was für ein Trost. Offenbar ist es ihm trotzdem gelungen, kurz vorbeizuschauen – inkognito, versteht sich, eingeschleust von einer Einzelperson, die weder vorher noch nachher etwas mit dem Laden zu tun hatte. Ein Phantom, das Zugriff auf den offiziellen Account hatte, aber nie zur Familie gehörte. Vielleicht kam es durchs Fenster, während alle gerade mit dem Aufstellen der moralischen Leitplanken beschäftigt waren.

Die Partei legt Wert auf Präzision: Die Urheberin des Tweets – abscheulich, menschenverachtend, selbstverständlich – war nicht Mitglied. Nicht der Partei, nicht der Struktur, offenbar nicht einmal der Realität. Man kennt das: Antisemitismus ist stets ein Betriebsunfall, nie Betriebsphilosophie. Die Reaktion erfolgt prompt, entschlossen, reinigend wie eine Litanei. Nur leider ohne das Gebet für die konkret Geschändeten.

Denn was fehlt, ist nicht der moralische Duktus, sondern die einfache, konkrete Solidarität: mit den 52 jüdischen Jugendlichen, deren Entmenschlichung der Anlass dieses skandalösen Sprachversuchs war. Sie werden im Statement nicht einmal als das benannt, was sie waren – Opfer. Stattdessen: „alle Jüdinnen und Juden“, ein Kollektivsubjekt, das sich gut in Erklärungen macht, aber selten konkret Hilfe erfährt. Man solidarisiert sich, so scheint es, lieber mit einem Prinzip als mit Personen.

Das ist keine Entschuldigung, das ist der Versuch einer Reputationserhaltungskur – Kosmetik fürs Parteiimage, mit einem Hauch Betroffenheitsduft. Dass sich Antisemitismus auch links artikuliert – nicht trotz, sondern wegen der gesinnungsethischen Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen – wird nicht eingeräumt, sondern externalisiert. Der Feind ist immer der Andere, auch wenn er aus den eigenen Reihen twittert.

Natürlich gibt es nun technische Konsequenzen: Vier-Augen-Prinzip, Zugriffsbeschränkungen, vielleicht ein Passwort mit Sonderzeichen. Was fehlt, ist der politische Wille zur Selbstbefragung. Denn wer sich ernsthaft fragt, wie es sein kann, dass ein solcher Tweet aus dem Inneren des Jugendverbands kommt, müsste mehr tun als Accounts verwalten – er müsste sein politisches Milieu reflektieren. Aber das tut weh, und wo die Empörung überwiegt, wird selten analysiert.

So bleibt das Statement ein Spagat zwischen Selbstschutz und Selbstverleugnung – nicht ohne Wirkung, aber mit deutlicher Schlagseite. In der Sprache der Rechtfertigung liegt kein Fortschritt, sondern Stillstand mit sauberem Anstrich.

Und vielleicht ist das der eigentliche Skandal: Dass ein Akt antisemitischer Menschenverachtung auf offener Bühne geschieht – und die Reaktion derer, die sich als Gegenmacht zum strukturellen Hass verstehen, vor allem durch das Ausklammern der Realität glänzt. Eine Partei, die vorgibt, mit den Opfern zu stehen, muss sie auch sehen. Nicht nur als Vokabel im Satzbau, sondern als konkrete Menschen, verletzt, angegriffen, beschämt.

Ein Statement, das sich seiner moralischen Pflicht rühmt, aber die konkreten Opfer des Vorfalls im Passiv verschwinden lässt, ist bestenfalls eine Übung in Gesinnungskosmetik.
Und der Satz „Antisemitismus hat in der Linken keinen Platz“?
Er hat Platz. Er sitzt nur nicht ganz so offen wie anderswo.

 Statement "Antisemitismus hat in der Linken keinenPlatz!"


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