Kommunalwahl in NRW – Zwei Narrative, zwei Realitäten
TL;DR: Wenn Faschismus heute mit der Straßenbahn kommt, sitzt er im Ruhrgebiet am Steuer. Jungle World warnt, Apollo News wirbt – zwei Narrative, zwei Realitäten. Entscheiden muss man sich trotzdem. Denn: Es wird ernst.
Von einem, der angesichts der Faschisten nicht neutral bleibt
Zwei Texte,
zwei Weltdeutungen, ein Land im politischen Schwitzkasten. Da ist auf der einen
Seite die Jungle
World, die – dem antifaschistischen Imperativ folgend – den Aufstieg
der AfD nicht als Naturkatastrophe, sondern als Ergebnis menschlichen (sprich:
politischen) Versagens beschreibt. Und da ist auf der anderen Seite Apollo News,
das rechte Blasorchester aus der Echokammer, das die blaue Welle nicht als
Tsunami der Entdemokratisierung, sondern als reinigende Flut gegen das
„Altparteien“-Ungeziefer feiert.
Man lese,
staune und wähle:
„Der
Malocher wählt AfD, weil die SPD nur noch für Genderqueere und
Bürgergeldempfänger Politik macht“, heißt es sinngemäß im Apollo-Magazin. Als
wäre nicht der parlamentarische Faschismus das Problem, sondern der Mangel an
Stahlhelm und Kohlekumpel.
Die Jungle
World hingegen, in alter linker Manier dem Klassenbewusstsein verpflichtet,
zeigt, wie der autoritäre Backlash am offenen Herzen der Demokratie operiert:
im Ruhrgebiet, wo einst rote Fahnen wehten, schlägt heute der rechte Puls. Die
Ursachen? Sozialer Abstieg, kommunale Verelendung, entkernte Parteien – und
eine Gesellschaft, die sich aus der Verantwortung gestohlen hat, während die
AfD sich mit Parolen als vermeintliche Kümmerin geriert.
Die AfD, so Jungle
World, ist nicht die Lösung – sie ist das Symptom. Das Apollo-Magazin, sich
selber überschlagend im Bemühen, der AfD die narrative Stange zu halten,
verwechselt Ursachen mit Erregungszuständen: Dort, wo Integration scheitert,
wird nicht etwa hinterfragt, wer die Bedingungen für Scheitern schafft, sondern
direkt der Sündenbock geschlachtet – vorzugsweise in bulgarischem Akzent.
Die Jungle
World spricht von einem Vertrauensverlust in die SPD – zu Recht. Doch sie
bleibt nicht stehen beim moralischen Pathos, sondern benennt ökonomische
Dynamiken, strukturelle Defizite, politische Verschiebungen. Die AfD gewinnt
da, wo der Sozialstaat kapituliert, die Stadtwerke schließen und der letzte
Kulturtreff von einer Spielhalle ersetzt wurde.
Apollo News
dagegen betreibt die klassische Umwertung aller Werte: Der Rassist wird zum
Realisten, der Protest zum Programm, die AfD zur Notwehr. Wo die Jungle World
analysiert, stilisiert Apollo. Es fabuliert von einem Ruhrgebiet, das unter der
Last von Syrern, Gendersternchen und SPD-Karrieren kollabiert – als wäre der
Stahl nicht von den Märkten verschwunden, sondern vom Feminismus gestohlen
worden.
Die Wortwahl
bei Apollo ist bezeichnend: „Malocher“, „bürgergeldabhängig“,
„Clankriminalität“ – ein Milieufilm im Kopf, abgedreht in schwarz-weiß. Dass
die SPD in diesen Kulissen längst als Feigenblatt einer neoliberalen Realität
herumgeistert, ist die einzige Gemeinsamkeit mit der Jungle World – bloß, dass
letztere diesen Umstand zum Angriffspunkt auf die AfD macht, nicht zur Werbung
für sie.
Und so
bleibt der politische Befund zwiegespalten:
- Für die Jungle World ist die
AfD eine Bedrohung, die aus der Mitte des Elends erwächst – und bekämpft
werden muss, nicht umarmt.
- Für Apollo ist sie der
Notausgang aus einer Republik, die man so nie gewollt hat – und nun umso
heftiger ablehnt.
Der
demokratische Ernstfall hat viele Anzeichen. Wenn Faschismus wieder einmal mit
der Straßenbahn kommt, sitzt er heute im Ruhrgebiet auf dem Fahrersitz. Doch
während einige noch Tickets stempeln, verkaufen andere schon Gruppenkarten.
Wer sich
zwischen diesen Texten nicht entscheiden kann, möge sich wenigstens
entscheiden, auf welcher Seite er steht, wenn’s ernst wird. Spoiler: Es wird
ernst.