Wieder die Ein-Punkt-Partei „Die Linke“
TL;DR: Wer Ramsis Kilani Ausschluss
aus der Linken für einen Skandal hält, weil schon die Debatte darüber empörend
sei, verwechselt Solidarität mit Dogma. Eine Partei, die Widerspruch ächtet,
verliert ihre Genossen – und gewinnt nur noch Glaubensgemeinschaften.
Zu Peter Vlattes Solidaritätsaufruf für Ramsis Kilani - „Der Erhalt der Mitgliedschaft von Ramsis Kilani in der Linken ist eine Grundsatzfrage – kommt und solidarisiert Euch!“ (Forum gewerkschaftliche Linke Berlin, 19.11.2025) – Skizze einer Ein-Punkt-Partei in Aktion
Was Peter
Vlatte unter dem Titel „Der Erhalt der Mitgliedschaft von Ramsis Kilani in
der Linken ist eine Grundsatzfrage – kommt und solidarisiert Euch!“ auf dem
Blog der „Forum gewerkschaftlichen Linken Berlin“ als Solidaritätsaufruf tarnt,
ist in Wahrheit ein ideologisches Ultimatum. Unter dem Titel „Der Erhalt der
Mitgliedschaft von Ramsis Kilani in der Linken ist eine Grundsatzfrage – kommt
und solidarisiert Euch!“ wird nicht weniger behauptet als dies: Wer die
Partei Die Linke nicht hinter Ramsis Kilani schart, stellt sich außerhalb des
Antirassismus, des Internationalismus und der Menschlichkeit. Der Ausschluss
des Genossen aus der Partei, so Vlatte, sei ein „Skandal“, ja ein „Angriff auf
alle Parteilinken“. Nicht, weil sich Kilani problematisch geäußert habe,
sondern weil überhaupt zur Debatte steht, ob er sich problematisch geäußert
haben könnte.
Der Text erhebt
damit nicht nur eine Person zum Maß aller politischen Dinge, sondern erklärt
die bloße Möglichkeit innerparteilicher Kritik zur moralischen Verfehlung. Was
als Verteidigung einer Stimme beginnt, endet als Aufruf zur Einstellung des
Diskurses. Kein Verfahren, keine Anhörung – stattdessen ein Appell zur
sofortigen Rehabilitierung. Die Partei wird hier nicht als pluraler Raum
gedacht, sondern als Gremienkollektiv der Unfehlbaren. Wer anderer Meinung ist,
hat sie offenbar nicht verdient.
Inhaltlich
stützt sich Vlattes Text auf eine Rhetorik des Schwarz-Weiß. Ramsis Kilani, so
heißt es, fordere nichts als die universelle Geltung der Menschenrechte – nicht
nur für Israelis, sondern auch für Palästinenser. Das klingt nach
Ausgewogenheit, dient aber nur als Deckformel für eine politische
Einseitigkeit, die jede Ambivalenz verweigert. Der israelische Staat wird
durchgängig mit Begriffen wie „Apartheid“, „ethnische Säuberung“, „Genozid“,
„neokoloniale Politik“ und „rechtsradikales Regime“ belegt. Wer das anders
sieht, wer differenziert, abwägt oder auch nur fragt, wird mit einem Etikett
versehen: Rassist, Unterdrücker, Verteidiger der Herrenrasse.
Das Problem ist
nicht die Kritik an der israelischen Regierung. Die ist legitim, notwendig, oft
zu leise. Das Problem ist, wenn diese Kritik in ein moralisches Totalurteil
übergeht, das jede Gegenposition nicht als falsch, sondern als verräterisch
markiert. Der Vorwurf „Antisemitismus“ wird von Vlatte nicht ernst genommen,
sondern als bloße Waffe im innerparteilichen Machtkampf delegitimiert. Die
Unterstellung: Er könne gar nicht antisemitisch sein, denn er ist ja
solidarisch. Ein klassisches Argument der Immunität – und gerade deshalb
unpolitisch.
Diese Immunität
schützt jedoch nicht nur Kilani, sondern vor allem die politische Konstruktion,
die Vlatte um ihn herum aufbaut: den Internationalisten als einzigen wahren
Linken. Ihm gegenüber stehen innerparteiliche Gegner, die – so der Text – „vom
Zionismus beeinflusst“ seien, eine „undemokratische“ Agenda verfolgten und die
Staatsräson verteidigten. Hier schließt sich der Kreis: Was als
innerparteilicher Konflikt begann, wird zum Weltkonflikt stilisiert, bei dem es
nicht um Satzungen und Grenzen der Debatte geht, sondern um Gut und Böse. Das
ist keine Analyse, das ist Manichäismus im Parteijargon.
Auffällig ist
dabei die doppelte Sprache. Einerseits wird auf internationale
Menschenrechtsorganisationen verwiesen, um die eigene Position zu legitimieren
– etwa B’Tselem oder Physicians for Human Rights. Andererseits wird jede
Position, die sich nicht auf diese Lesart verpflichtet, als neokolonial oder
rassistisch gebrandmarkt. Es bleibt dabei: Das Zitierte darf sprechen, das
Abweichende nicht. Wer widerspricht, gehört nicht zur Linken, sondern zu ihren
Feinden.
Dabei wäre
genau das die eigentliche Grundsatzfrage: Ob eine linke Partei aushält, dass in
ihren Reihen auch Positionen zirkulieren, die nicht dem neuesten Stand
moralischer Aufwallung entsprechen. Ob Differenz ein Zeichen von Reife ist –
oder ein Kündigungsgrund. Vlatte entscheidet sich für Letzteres. Für ihn ist
die Partei kein Ort des Streits, sondern eine Bühne der Bekenntnisse. Und wer
das falsche spricht, wird gestrichen.
Der Text
kulminiert in einer bemerkenswerten Wendung: „Solidarität mit den
Unterdrückten, nicht mit den Unterdrückern!“ Dieser Satz meint sich selbst –
und verschließt sich jeder Prüfung. Denn er legt nicht offen, wer wann wie
unterdrückt – sondern dekretiert, wer es zu sein hat. Damit kehrt sich die
Logik linker Politik ins Autoritäre: Nicht wer am meisten kämpft, sondern wer
am meisten leidet, hat recht. Und wer das Leid anderer benennt, ist – solange
er auf der richtigen Seite steht – von aller Kritik freigestellt.
Vlatte fordert
keine Diskussion, sondern Gefolgschaft. Kein Raum für Differenz, sondern Linie.
Kein Prozess, sondern Resultat. Was er einfordert, ist keine Verteidigung von
Kilani – sondern die Unterwerfung der Partei unter eine Haltung, die sich
selbst zur Wahrheit erklärt. Die Linke wäre schlecht beraten, diesem Ruf zu
folgen. Nicht, weil Ramsis Kilani ein falscher Genosse wäre. Sondern weil die
Partei, die sich solcher Methoden bedient, bald keine Genossen mehr kennt –
sondern nur noch Identitäten.
