Wenn der Antisemitismusvorwurf zum autoritären Werkzeug erklärt wird

TL;DR: „Israelkritik“ wird im Text „Linker Antisemitismus“ wird zum zionistischen und rechten Kampfbegriff!  als Freiheitsakt inszeniert – doch wer Dämonisierung, Doppelstandards und Delegitimierung nicht reflektiert, verteidigt nicht Aufklärung, sondern projiziert Ressentiment als Haltung. Kritik? Ja. Nebel? Nein.


Rezension eines Textes zur „Israelkritik“ als Machtinstrument: Analyse ideologischer Projektion, Antisemitismusdebatte und linker Diskursverengung.


Am 13. November 2025 erschien auf dem Blog
„Forum gewerkschaftliche Linke Berlin“ unter dem Titel „Linker Antisemitismus“ wird zum zionistischen und rechten Kampfbegriff! ein Text, der den Vorwurf des „linken Antisemitismus“ als politisches Instrument entlarven will. Der anonyme Autor argumentiert, dass in Deutschland zunehmend ein autoritäres Klima entstehe, in dem jede Kritik an Israel reflexhaft als antisemitisch diffamiert werde. Diese Strategie diene dem Machterhalt, lenke von Menschenrechtsverletzungen in Gaza ab und delegitimiere linke, migrantische und menschenrechtlich engagierte Stimmen. Die politische Mitte – von CDU bis zur Linkspartei – mache sich damit, bewusst oder naiv, zur Komplizin einer repressiven Rhetorik. „Israelkritik“* werde systematisch kriminalisiert, selbst progressive jüdische Positionen marginalisiert. Die eigentliche politische Gewinnerin dieser Diskursverschiebung sei die AfD, die sich als Israel-Freund inszeniere, um sich gegen linke Kritik zu immunisieren – obwohl viele ihrer Funktionäre selbst judenfeindlich seien. Die Botschaft: Nicht mehr Israel steht zur Debatte, sondern das Recht, überhaupt noch Kritik zu üben.

Die politische Instrumentalisierung des Antisemitismusbegriffs?

Dieser Text will mehr sein als ein Kommentar zum deutschen Diskurs. Er ist Manifest, Abrechnung und Gegenrede in einem – gegen die politische Instrumentalisierung des Antisemitismusbegriffs, gegen die deutsche Staatsräson, gegen die Verflechtung zwischen israelischer Außenpolitik und deutschem Meinungsklima. Der Autor, anonym bleibend, spricht von einer autoritären Wende, bei der „Israelkritik“* zum Lackmustest der Meinungsfreiheit wird. Doch ist das Aufbegehren auch Aufklärung? Oder nur ein Spiegel des ideologischen Unvermögens, Ambivalenz zu ertragen?

Was dieser Text will, ist klar: Er möchte den Diskurs öffnen – und verriegelt ihn dabei selbst. Er beschwört kritisches Denken – und immunisiert sich zugleich gegen jede Kritik. Die rhetorische Finte: Wer den Begriff „linker Antisemitismus“ verwendet, sei nicht nur ein Gegner, sondern Teil eines autoritären Projekts. Die Ironie: Der Text, der vor Repression warnt, verteidigt sich mit dem Verdacht – und ersetzt Analyse durch Abwehrhaltung.

Die Grundannahme – dass „Israelkritik“* kriminalisiert werde – ist nicht neu. Neu ist nur, mit welcher Chuzpe hier die Kategorien verdreht werden: Wer Israel verteidigt, ist verdächtig. Wer Antisemitismus benennt, betreibt Repression. Wer Widerspruch äußert, muss sich rechtfertigen – aber nicht der Text selbst. So funktioniert ideologische Selbstvergewisserung: durch Projektion, nicht durch Argument.

Dabei wäre Kritik an der israelischen Regierung – an Siedlungspolitik, Gewalt in Gaza, ethnonationalistischer Rhetorik – legitim, notwendig, richtig. Aber der Text verweigert diese Unterscheidung. „Israelkritik“* bleibt ein Leerbegriff, der alles umfassen darf – auch das Ressentiment. Und wenn jüdische Institutionen oder der Zentralrat sich äußern, gelten sie nicht als Gesprächspartner, sondern als Verdächtige.

Der Text behauptet, Diskursräume würden schrumpfen – und macht sich zugleich die Welt klein: Ahmad Mansour, Muriel Asseburg, die Bundesregierung, der Verfassungsschutz, die Medien – alle Teil einer Strategie, die Wahrheit zu unterdrücken. Die Methode ist vertraut: strukturelle Verschwörung ohne Verschwörungstheorie, Diskurskritik als ideologischer Tunnelblick.

Die entscheidende Schwäche liegt darin, dass die Anklage umfassender ist als die Analyse. Dass die Opferrolle größer ist als der Realitätssinn. Dass „Israelkritik“* als Freiheitsakt deklariert wird, ohne ihre Implikationen zu reflektieren. Die Frage, wann Kritik zur Dämonisierung wird, bleibt ausgespart – vermutlich, weil sie das ganze Gebäude ins Wanken bringen würde.


Ein Text, der sich für Widerspruch rüstet, indem er ihn zur Bestätigung erklärt. Der Aufklärung verspricht, aber im Alarmismus endet. Der linke Selbstschutz mit linker Kritik verwechselt. Und der am Ende nicht die Instrumentalisierung des Antisemitismus kritisiert, sondern selbst instrumentalisiert – unter einem anderen Vorzeichen.

 

* Zur Begriffsklärung „Israelkritik“

Der Unterschied zwischen den Begriffen „Israelkritik“ und Kritik an Israel ist nicht bloß semantisch, sondern politisch. Kritik an Israel – genauer: an der israelischen Regierung oder deren Politik – ist so legitim wie die Kritik an jeder anderen Regierung. Sie richtet sich gegen konkrete Entscheidungen, Handlungen oder Programme und geschieht mit dem Anspruch auf Gleichbehandlung.

„Israelkritik“ hingegen ist ein rhetorisches Konstrukt. Es benennt keine bestimmte Politik, sondern ein diffuses, oft ressentimentgeladenes Verhältnis zu Israel als Staat, Symbol oder Chiffre. Diese Form der „Kritik“ verfehlt nicht nur die Sachebene, sondern arbeitet häufig mit Dämonisierung, Doppelstandards und Delegitimierung – den sogenannten „3 D“ des israelbezogenen Antisemitismus.

Wer also über „Israelkritik“ spricht, sollte präzisieren, ob er Israel meint – oder den Begriff benutzt, um antisemitische Tropen in den Mantel moralischer Empörung zu kleiden.

 

 

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