Die Linke Baden-Württemberg will die Welt retten – nur nicht den jüdischen Teil davon

TL;DR: Die Linke BW will die Welt retten – nur nicht den jüdischen Teil davon. Antifaschistisch für alle, außer konkret für jüdisches Leben. Wer die Shoah nicht nennt, meint sie nicht. Und wer alle meint, aber Juden nur mitmeint – meint am Ende: sich selbst.

Kritische Kolumne über das Wahlprogramm der Linken BW 2026 – und die Leerstelle jüdischen Lebens, Antisemitismus und Erinnerungskultur im Parteidiskurs.


Die Linke Baden-Württemberg will die Welt retten – nur nicht den jüdischen Teil davon Autorenzeile: Sie gibt sich antifaschistisch – als Partei „für alle“. Nur nicht für jüdisches Leben.


Es gibt eine Stelle im Programm der Linken Baden-Württemberg zur Landtagswahl 2026, da ahnt man, was nicht gemeint ist. Es steht da harmlos und wohlmeinend: „Wir verteidigen die Rechte jüdischer Menschen, Muslim*innen und anderer Minderheiten, wenn sie wegen ihrer Religion oder Weltanschauung diskriminiert werden.“ (Z. 2031) Eine Zeile. Für eine Geschichte, die ganze Bibliotheken füllt.

Aber: Kein Zufall. Keine Auslassung. Kein Versehen. Es ist Methode – oder, um es im Stil der Partei zu sagen: intersektional inkonsequent.

Die Linke BW gibt sich in ihrem Programm als Gegenentwurf zur Gegenwart – ein moralisches Füllhorn voller „Forderungen“, „Kämpfe“ und „Feststellungen“. Sie will Bildung von unten, Frieden ohne Panzer, Arbeit ohne Ausbeutung, Kunst ohne Zensur, Polizei ohne Rassismus, Kapitalismus ohne Kapital. Nur ein Thema fällt zwischen all den „Rechten für alle“ auf durch demonstrative Stille: jüdisches Leben.

Man darf das als Fortschritt lesen. Früher wurde es bekämpft, heute nur noch ignoriert.

Zwischen Haltung und Haltungsersatz

Viermal taucht das Wort „jüdisch“ im Programm der Linken BW auf – sparsam, aber nicht zufällig. In Z. 2031 heißt es: Wir verteidigen die Rechte jüdischer Menschen, Musliminnen und anderer Minderheiten …“ – eine Gleichung auf Augenhöhe, wie man sie aus jedem intersektionalen Baukastensystem kennt. Ein Satz für viele – nicht falsch, aber bezeichnend.

In Z. 2037–2039 wird Yom Kippur als möglicher gesetzlicher Feiertag genannt. Sichtbarkeit, ja – Schutz, nein. Und in Z. 2040 folgt das gefällige Mantra: Der Islam und das Judentum gehören zu Deutschland. Schön gesagt. Nur: Wer gehört, kann auch ignoriert werden.

Was fehlt, ist das, was nicht einfach gesagt, sondern gewusst, bedacht, geschützt werden müsste: Jüdische Schulen, Synagogen, Gemeinden – mit realer Bedrohungslage, in diesem Land, in dieser Zeit.

Und was Israel betrifft? Kein Wort zu jüdischem Leben dort, kein Satz zur antisemitischen Gewalt hier – aber in Z. 2597 immerhin dies: Keinerlei Zusammenarbeit des Landes Baden-Württemberg mit der Netanjahu-Regierung …“

Nicht Russland. Nicht Iran. Nicht Türkei. Nur Israel – durch seinen Regierungschef personalisiert.
Das ist keine Analyse. Das ist Auswahl mit Subtext.

Was im Programm also konkret zu Israel gesagt wird, ist die Verweigerung der Zusammenarbeit. Haltung durch Distanz. Das ist nicht Position – das ist Pose. Und mehr: Es ist eine Obsession mit doppeltem Standard. Der Jüdische Staat wird namentlich ausgegrenzt – aber nicht der blutsaufende Gottesstaat in Teheran?

Das ist auch keine Kritik an der israelischen Regierung – wer will die nicht, zurecht, kritisieren? –, sondern ein reflexives Selbstversichern: Wir sind die Guten, weil wir gegen die Falschen sind.

Wer das 70-Seiten-Papier auf den Begriff Antisemitismus durchscannt, findet einiges – aber kaum etwas Erhellendes. Die Linke BW erklärt, was Antisemitismus nicht ist (Z. 1544–1558), nämlich Kritik an Israel. Und was er nicht sein darf: ein Problem muslimischer Herkunft. Damit wäre das geklärt – und auch schon abgehandelt.

Was fehlt?

  • Kein Konzept zur Sicherheit jüdischer Einrichtungen.
  • Kein Wort zur Zunahme antisemitischer Gewalt in Baden-Württemberg und in Deutschland (siehe „Zahl antisemitischer Straftaten in Baden-Württemberg verdreifacht“ und „Fast 24 antisemitische Vorfälle pro Tag“).
  • Kein Satz zu jüdischen Gemeinden in Baden-Württemberg.
  • Kein Bewusstsein dafür, dass Antisemitismus eine eigene Ideologie ist – nicht bloß eine Unterkategorie des Rassismus.
  • Kein Gedanke an jüdisches Leben heute – nur Erinnerungsfloskeln von gestern.

Wer behauptet, Antisemitismus sei nur eine Form von Rassismus, hat den Antisemitismus nicht verstanden – und den Rassismus auch nur teilweise.

Im Kapitel „Erinnerungskultur stärken“ (ab Z. 2965) drängt sich der Eindruck auf, man habe aus den Fehlern der Vergangenheit viel gelernt – nur nicht, wessen Fehler es waren und wessen Geschichte hier gemeint ist.

Es geht um Gedenkstätten, Bildungsfahrten, koloniale Straßennamen, antifaschistische Lernzentren. Die Shoah wird nicht erwähnt. Nicht als Wort, nicht als Tat, nicht als Geschichte. Es ist eine Erinnerungskultur ohne Subjekt – wie eine Stolperstein-Initiative ohne Namen.

Ein Programmpunkt zur Erinnerungspolitik, der weder jüdische Opfer benennt, noch Roma oder Sinti, keinen Porajmos, keine spezifischen Täter, keine historischen Kontexte – das ist wie ein Theaterstück über „den Faschismus“, bei dem die Darsteller die Bühne nie betreten.

 Erinnern sich alle, aber an nichts Konkretes. Nur ans eigene gute Gewissen.

Die Linke BW redet nicht über jüdisches Leben – weil sie über alles reden will. Intersektionalität, so scheint es, heißt hier: alles gleichzeitig. Also nichts konkret. Der Universalismus der Partei ist ein Wimmelbild der Gerechtigkeit – aber das Judentum findet darauf nicht statt.

Einige werden sagen: Aber ist das nicht gerade das Gute daran? Keine Sonderbehandlung, keine Identitätspolitik nur für eine Gruppe?

Nun, das Problem ist nicht die fehlende Exklusivität – es ist die fehlende Sensibilität.

Man kann Antisemitismus nicht wegintegralisieren. Er ist kein Kapitel in der Diskriminierungsbibel. Er ist ein Sonderfall der Geschichte, der eine Sonderform der Aufmerksamkeit braucht.

Gerade als Linke, die sich antifaschistisch nennt, müsste man das wissen. Oder wenigstens: ahnen.

Die Leerstelle ist kein Versäumnis – sie ist Programm

Das Erstaunlichste ist: Diese Lücke im Programm wirkt nicht wie ein Versehen. Sie wirkt wie ein stilles Einverständnis.

Die Partei verteidigt die Freiheit palästinasolidarischer Künstlerinnen (Z. 1341), aber kein Wort über antisemitische Übergriffe auf jüdische Künstlerinnen. Sie fordert Schutzräume für Migrant*innen, aber kein Sicherheitskonzept für Synagogen. Sie warnt vor strukturellem Rassismus, aber schweigt zu strukturellem Antisemitismus. Sie erkennt Islamfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit, Ableismus – aber lässt die Spezifik des Judenhasses unter den Tisch fallen.

Ein Teil der Linken scheint zu glauben, dass man Antisemitismus schon dadurch bekämpft, dass man Israel kritisiert.

Das ist nicht nur moralisch schief – es ist historisch gefährlich.

Das Parteiprogramm der Linken BW liest sich, als hätte man ein Alphabet der Gerechtigkeit geschrieben – aber ein paar Buchstaben weggelassen. Es spricht von einem „gerechten Baden-Württemberg“ (Z. 1551) und „Frieden für alle“ (Z. 2527). Aber wenn man genau hinsieht, sieht man, wer im „alle“ nicht vorkommt.

Dabei wäre es so einfach:

  • Die Shoah klar benennen.
  • Jüdisches Leben schützen – nicht nur erwähnen.
  • Antisemitismus bekämpfen – nicht relativieren.
  • Israel einordnen – nicht nur ablehnen.

Doch man will zu viel – und sagt zu wenig.

Vielleicht ist es Zeit, dass Die Linke sich fragt: Wessen Geschichte verteidigen wir eigentlich, wenn wir „nie wieder“ sagen?

Vielleicht ist es auch Zeit, dass wir als Leser*innen Programme nicht nur auf das prüfen, was sie sagen – sondern auf das, was sie verschweigen.

Und vielleicht ist das eigentliche Problem nicht das, was Die Linke schreibt – sondern das, was sie für selbstverständlich hält.

Denn wer die Shoah nicht nennt, meint sie nicht. Und wer meint, alle Minderheiten zu vertreten, aber die jüdische nur mitmeint – der meint am Ende: sich selbst.

 

 

 


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