Die eiskalte Faust von Amerikas ICE im Nacken der Kinder

TL;DR: „Ich sollte nicht so leben mit 16.“ – sagte ein US-Bürger, der Täglich Angst hat, seine Eltern nie wiederzusehen. Während ICE maskiert durch Wohnviertel zieht, bleibt der Rechtsstaat stumm. Wenn Kinder so sprechen müssen – was ist dann noch frei in „Land of the Free“?

Ein 16-jähriger US-Bürger schildert die Angst vor ICE-Razzien. Was bleibt vom „Land of the Free“, wenn staatliche Gewalt Alltag wird?



Prolog Emmanuel „Manny“ Chavez darüber, wie sich die Durchsetzung der Einwanderungsgesetze auf seine eigene Familie und Gemeinde auswirkt:


Ein Teenager spricht über Angst. Und die United States Immigration and Customs Enforcement (ICE)? Ziehen weiter maskiert ihre Kreise. Wenn Kinder sich von ihren Eltern verabschieden müssen, als zögen sie in den Krieg, ist das keine Sicherheit – das ist Trumps Kalkül: Angst als Waffe.

Es ist einer dieser Sätze, die haften bleiben wie der Geruch von Pfefferspray auf Schulkleidung: Ich sollte nicht so leben mit 16. Ich sollte mich auf die Schule konzentrieren. Es sind nicht die Worte eines Flüchtlings aus einem autoritären Regime, nicht die Aufzeichnungen eines Kindes in einem Lager in El Paso oder Laredo. Es ist die Stimme eines geborenen Amerikaners, eines Schülers aus Hillsboro, Oregon. Emmanuel Chavez, 16 Jahre alt. US-Bürger. Fußballer. Teenager mit Träumen – und mit Angst im Nacken, dass seine Eltern beim Weg zur Arbeit verschwinden könnten wie Socken in der Waschmaschine: erst banal, dann endgültig.

Dass diese Aussage viral ging, ist ein Zeichen der Zeit. In einem Land, in dem sich Empathie ihren Weg über Likes bahnen muss, bevor Behörden auch nur die Augenbrauen heben. 3,4 Millionen Klicks auf ein Weinen. Willkommen im Amerika der Bildschirm-Solidarität.

Doch was wie ein rührender Einzelfall wirkt – ein junger Mensch erhebt seine Stimme gegen die Unmenschlichkeit – ist in Wahrheit ein trauriger Chor: Ein Viertel von Hillsboro hat lateinamerikanische Wurzeln. Und für viele dort sind ICE-Kontrollen kein Fernsehbild, sondern morgendlicher Pulsbeschleuniger. Auf dem Schulweg, vor dem Supermarkt, bei Verkehrskontrollen, beim Kinderarzt. Behörden in Zivil, in unmarkierten Wagen, ohne Namen, oft ohne Legales Mandat, aber mit Handschellen.

Die Maske der Demokratie sitzt locker dieser Tage. Sie verrutscht dort, wo sich staatliche Gewalt mit moralischer Immunität tarnt.

Ein anderes Beispiel. Gresham, ebenfalls Oregon. Eine junge Frau sieht in den sozialen Medien eine Warnung: ICE-Agenten bei Chick-fil-A. Sie fährt hin, fotografiert unmarkierte Fahrzeuge – ein Akt staatsbürgerlicher Aufmerksamkeit, so sollte man meinen. Das Heimatschutzministerium sieht das anders. Berenice Garcia-Hernandez, 25, US-Bürgerin, wird verfolgt, festgenommen, sieben Stunden festgehalten. Angeblich aggressiv, gefährlich, ein Risiko – für wen genau, bleibt offen. Ihre Verlobungsringe blieben bei ICE, ihre Geschichte dafür in der Zeitung. Der Vorwurf: Fotografieren. Die Begründung: Widersetzen. Die Wahrheit: unbequem.

Und nun stellen wir uns kurz vor, es wäre Russland. Oder China. Oder Ungarn. Maskierte Staatsbeamte, die Bürger in Zivilfahrzeugen verfolgen, Kinder einschüchtern, Aktivisten festnehmen. Die New York Times würde es einen Angriff auf die Zivilgesellschaft nennen. In Oregon nennt man es „Durchsetzung der Einwanderungsgesetze“.

Ironie? Nein. Realismus. Man muss sich den amerikanischen Autoritarismus heute als einen Mann in Turnschuhen vorstellen – still, effizient, kaum zu greifen. Er kommt ohne Uniform, aber mit Bundesrecht.

Die Stadt Hillsboro ringt mit ihrer Ohnmacht. Sie will helfen, darf aber nicht stören. 400.000 Dollar Soforthilfe – für Anwaltskosten, Brot, ein bisschen psychologische Beratung. Politisch ist das ungefähr so radikal wie ein Spendenlauf gegen Husten. Man tut, was man kann, heißt es. Nur: Wer stellt die Systemfrage?

Denn das Problem ist kein Missverständnis im Amtsdeutsch. Es ist ein Designfehler im Machtgefüge. Das Bundesrecht ermächtigt ICE zum Zugriff, während Sanctuary Cities wie Hillsboro dazu verdammt sind, dekorative Entrüstung zu äußern. Der rechtliche Spielraum entspricht dem eines Fahrradklingelträgers in einem Panzerbataillon.

Die Reaktion des Publikums? Ovationen für Emmanuel, Solidaritätsbekundungen für Berenice, Applaus für Empathie. Alles schön. Alles nichts. Denn nichts davon ändert die Mechanik, die ein Kind dazu bringt, sich jeden Tag von seinen Eltern zu verabschieden, als wäre es das letzte Mal.

Wer so lebt, lebt nicht. Er wartet auf den nächsten Fehler im System.

Und was machen die Behörden? ICE schweigt – oder gibt Pressemeldungen mit Sprachcodes aus, die man auch auf Staubsaugerverpackungen abdrucken könnte. „Nicht identifizierte Einzelperson“, „Verdacht auf Widerstand“, „unkooperative Körpersprache“. Bürokratie auf Betäubungsmittel. Dazwischen druckt sich das Wort „Terrorismus“ in die Protokolle – aber nicht wegen IS, sondern wegen Washington D.C.

Kommissar Snider aus Washington County nennt es beim Namen: „Das ist die wörtliche Definition von Terrorismus.“ Doch dieser Satz bleibt folgenlos, weil Definitionen keine Gesetze sind. Und in Amerika gilt: Wer das Gesetz vollstreckt, schreibt es nicht – er wendet es an. Auch wenn dabei Kinder weinen.

Natürlich gibt es Regeln. Natürlich hat auch ein Staat ein legitimes Interesse an Ordnung. Doch wenn diese Ordnung blind ist für Herkunft, Kontext und Menschlichkeit, ist sie keine Ordnung, sondern ein Automatismus mit Waffenschein.

Man muss nicht naiv sein, um zu fordern, dass ein demokratischer Staat sich an seinen eigenen Anspruch erinnert: Schutz für die Schwachen, nicht Verfolgung der Falschen. Kontrolle, ja – aber bitte mit Hirn und Ausweis. Nicht mit Sturmhaube und ohne Namen.

Und wenn man schon dabei ist: Vielleicht sollte man Emmanuel Chavez das Mikrofon dauerhaft überlassen. Er ist immerhin einer der wenigen, die noch wissen, wie sich Verantwortung anfühlt, bevor sie im Justizsystem verhallt.

Denn am Ende bleibt die Frage:
Wenn ein 16-Jähriger in Tränen erklären muss, warum seine Familie nicht wie Tiere behandelt werden will – was genau ist dann noch die „Land of the Free“?


 


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