Notizen aus dem Müllschlucker linker Gesinnungsethik
TL;DR: „Die Küfa entfällt“ – mit diesen Worten sagt eine Berliner Hausgemeinschaft das Gedenken an jüdischen Widerstand ab. Grund: „zionistische Ausrichtung“. Neben dem Aushang: das Banner der VVN-BdA. Mehr Selbstoffenbarung war selten.
Zur Hausmitteilung der Groni50 vom 05.10.2025
„Die für
heute Abend geplante Veranstaltung hat innerhalb der Groni 50 zu verschiedenen
Diskussionen geführt, vor allem bezüglich der zionistischen Ausrichtung der
jüdischen Widerstandsgruppe, die sich hier im Haus während der Nazizeit
versteckt und organisiert hat.
Wir haben als Hausgemeinschaft beschlossen, dass wir dieses Thema an einem
anderen Datum und mit mehr Vorbereitungszeit öffentlich diskutieren wollen.
Heute zeigen wir uns solidarisch mit dem Streik für Palästina, und die Küfa
entfällt.“
Mit dieser
Notiz aus dem Treppenhaus der moralhygienischen Avantgarde erklärt eine
Berliner Hausgemeinschaft am Vorabend des 7. Oktober 2025 das Gedenken an
jüdischen Widerstand im Nationalsozialismus für unvereinbar mit dem eigenen
Weltbild – und zwar nicht trotz, sondern wegen dessen zionistischer
Ausrichtung. Zionistisch, das meint hier: jüdisch mit Fluchtperspektive.
Mit der Hoffnung auf Rettung, auf ein Leben nach dem deutschen Tod. Auf ein
Land, in dem man nicht in Hinterzimmern beten muss, bevor man deportiert wird.
Die Küfa
entfällt – das Gedenken gleich mit.
Es ist dies
kein Missverständnis, keine unglückliche Verkettung der Umstände, keine
Kollision der Kalender. Es ist ein Statement. Die Absage an die angekündigte
Veranstaltung über die jüdisch-zionistische Widerstandsgruppe Chug Chaluzi
und den schwulen jüdischen Freiheitskämpfer Gad Beck ist nicht beiläufig
– sie ist gewollt. Der Name des Feindes ist genannt: Zionismus. Das Verbrechen:
Überlebt zu haben und sich an das Überleben zu erinnern.
Der
historische Schauplatz: Berlin-Friedenau.
Im selben Haus, in dem sich während der „Fabrikaktion“ 1943 jüdische
Jugendliche trafen, um unter Leitung von Jizchak Schwersenz Fluchtwege zu
organisieren, Verstecke zu finden und falsche Papiere zu beschaffen, sitzt
heute ein Kollektiv, das diese Geschichte nicht absagen kann, ohne sich selbst
zu entlarven. Der Satz – „die zionistische Ausrichtung der jüdischen
Widerstandsgruppe, die sich hier im Haus während der Nazizeit versteckt und
organisiert hat“ – genügt. Mehr Selbstoffenbarung war selten.
Denn: Wer
Gedenken verschiebt, weil Zionismus stört, will gar nicht erinnern – er will
selektieren. Gute Juden (antizionistisch, vielleicht marxistisch, möglichst
tot) darf man feiern. Die anderen? Diskussionsbedarf.
Wer waren diese anderen?Die Chug Chaluzi, hebräisch: „Pionierkreis“, war keine politische Postkarte, kein linkes Lesekreisobjekt – sondern eine Gruppe gläubiger jüdischer Jugendlicher, die sich mitten im mörderischen Berlin 1943 organisierten. Sie feierten Schabbat, Pessach, Schawuot – mit Gedichten, Gebeten, Flüstern im Park, heimlichen Treffen im Haus der Familie Beck, in genau jenem Haus, das heute vorgibt, ihre Motive „zu einem späteren Zeitpunkt mit mehr Vorbereitungszeit“ klären zu müssen.
Ihr Ziel war
klar: Überleben – und nach Palästina gelangen.
Nicht, um zu siedeln, sondern um zu leben. Nicht, um zu unterdrücken, sondern
um sich der Vernichtung zu entziehen. Zionismus bedeutete für sie nicht
Ben-Gurion, sondern: ein Ziel, das nicht Auschwitz hieß.
Und Gad
Beck?
Er war der Beweis, dass jüdischer Widerstand nicht nur existierte, sondern
auch: kämpfte, liebte, rettete. Als „Mischling“ galt er den Nazis nicht als
vollwertiger Jude – ein Privileg, das er nutzte, um andere zu schützen. 1942
marschierte er in der Uniform der Hitlerjugend in ein Deportationslager, um
seinen Geliebten Manfred Lewin herauszuholen. Es gelang. Manfred kehrte dennoch
freiwillig zurück zur Familie – und wurde ermordet.
Beck
überlebte, wurde verhaftet, floh, kehrte zurück, leitete später die Jüdische
Volkshochschule, arbeitete mit Heinz Galinski und dem Zentralrat der Juden,
lebte mit seinem Lebensgefährten Julius Laufer. Ein schwuler Jude, ein Zionist,
ein Überlebender. Und damit: der Albtraum einer deutschen Linken, die
jüdisches Gedenken nur in Gänsefüßchen aushält.
Dass
ausgerechnet er heute aus dem Gedenkkalender einer linken
Hausgemeinschaft gestrichen wird – nicht trotz, sondern wegen seiner
Geschichte –, ist keine Ironie. Es ist eine Pointe. Eine von der Sorte, die
einem im Hals stecken bleibt.
Und
neben der Mitteilung – das Banner der VVN-BdA.
Nicht metaphorisch, sondern
ganz konkret: Der Aushang, mit dem das Gedenken an eine jüdische
Widerstandsgruppe abgesagt wird, weil ihre „zionistische Ausrichtung“ angeblich
Klärungsbedarf habe, hängt direkt neben dem Transparent des
„Vereins der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist:innen“.
Es
ist dies nicht einfach Ironie, sondern: Paradoxie in Reinform.
Man muss nicht einmal polemisieren. Man muss nur hinschauen.
Links
das Banner, das an die Opfer des Faschismus erinnern soll. Rechts der Text, der
ihr Andenken kassiert, weil es nicht ins eigene Weltbild
passt. Was bleibt, ist ein Wandbild des politischen Selbstbetrugs: Erinnerung
ja – aber bitte nicht zionistisch. Solidarität ja – aber bitte nicht jüdisch.
Es ist das Schweigen derer, die das Andenken an jüdischen Widerstand der
Palästina-Solidarität opfern – und dabei nicht einmal merken, dass sie die
Kategorien der Täter von damals übernehmen, um die Opfer von heute zu
delegitimieren.
Ich mag nur
noch kotzen.
Und nicht wegen des Essens, das ausgefallen ist. Sondern wegen jener, die
entschieden haben, dass ein Film über Gad Beck nicht gezeigt werden kann, weil
der Mann, der Leben rettete, dabei auch an Palästina dachte. Die, die das
Andenken der Chug Chaluzi in den Müll werfen, hätten diesen Menschen
nicht einmal das Wasser reichen dürfen.
Jetzt gießen
sie es weg. Weil die Küfa entfällt.