„Verantwortung übernehmen“ – das klingt nach Koalitionsvertrag, meint bei der Initiative „Die Erneuerung der Linken organisieren“ aber Haltung
TL;DR: „Verantwortung übernehmen“ klingt nach Koalitionsvertrag, meint hier aber Haltung: Der Aufruf zur Erneuerung der Linken verzichtet auf Revolutionskitsch und Selbstmitleid – und setzt auf Analyse, Strategie und Demokratie. Endlich.
Zur
strategischen Initiative „Die Erneuerung der Linken organisieren“ von Forum
Demokratischer Sozialismus und Netzwerk Progressive Linke
Es kommt selten vor, dass in
einem linken Aufruf zur Erneuerung mehr steht als die gewohnte Beschwörung der
eigenen Reinheit und die Warnung vor allem, was nicht mindestens den Kommunard*innen
von 1871 gefallen hätte. Der Diskussionsaufruf des Forums Demokratischer
Sozialismus und des Netzwerks Progressive Linke ist hier eine wohltuende
Ausnahme. Kein revolutionäres Pathos, sondern strategische Klarheit, keine
Floskeln vom „Volksverrat“, sondern nüchterne Sätze wie:
„Die Welt droht in die Hände der
radikalen Rechten zu fallen. Das ist keine rhetorische Figur, sondern es
passiert bereits.“
Und
tatsächlich: Während Faschisten mit orchestrierten Kampagnen gegen
progressive Juristinnen wie Brigitte J. Brosius-Gersdorf demokratische
Institutionen delegitimieren – sekundiert von CDU-Abgeordneten, die das rechte
Spiel längst mitspielen –, beschäftigt sich die Linke noch immer mit sich
selbst. Man streitet über Symbole, während die Rechten längst
an der Architektur sägen.
Die
Autor*innen des Aufrufs jedoch machen nicht den Fehler, diesen Irrsinn zu
ignorieren. Sie benennen präzise die Verschiebung der politischen Hegemonie,
den autoritären
Backlash, den globalen Kapitalismus, der sich heute nicht
mehr im Fabrikdunst, sondern in den Serverparks des digitalen Monopolismus
abspielt. Und das mit einer analytischen Tiefe, die überrascht.
„Je mehr wir digital konsumieren,
produzieren und interagieren, desto ohnmächtiger werden wir.“
Solche
Sätze lesen sich nicht wie Parteitagsprosa, sondern wie der seltene Versuch,
Denken über Schlagwörter hinaus zu retten. Dass der Kapitalismus heute weniger
durch Ausbeutung als durch Kontrollmacht und algorithmische
Vorkonditionierung regiert wird, scheint man in der Redaktion
verstanden zu haben.
Auch
der Umgang mit der Eigentumsfrage zeugt von Realismus. Statt verstaatlichter
Träumereien heißt es:
„Private, öffentliche und
gesellschaftliche Eigentumsformen sollen nebeneinander existieren, wenngleich
insgesamt ein Übergewicht des öffentlich-gesellschaftlichen Eigentums
erforderlich ist.“
Zugegeben:
Das klingt wie ein aus dem Soziologie-Proseminar entlaufener Satz, aber er ist wenigstens
ehrlich: Kein ideologischer Rückgriff auf die DDR-Relikte,
sondern ein Versuch, Systemkritik mit Realpolitik zu versöhnen. Das
mag nicht sexy sein – aber es ist notwendig.
Was
der Text allerdings nicht beantwortet, ist die Frage: Wie mobilisiert man
jenseits der Parlamentsarithmetik? Die Plattform, die hier als
innerparteiliche Reform- und Strategierampe beschrieben wird, bleibt strukturpolitisch
unterfüttert, aber soziologisch unterbestimmt.
Wer soll dort sprechen? Wer hört zu? Wie entstehen aus Ideen Mehrheiten?
Und
noch ein Risiko: In dem berechtigten Bemühen, die Reformfähigkeit der Linken zu
stärken, bleibt der revolutionäre Impuls so kontrolliert, dass er an
manchen Stellen fast wie abgewählt wirkt. Die Verhältnisse
sollen geändert werden, gewiss, aber vor allem so, dass sich niemand
verschluckt.
Dabei
geht der Aufruf – und das ist seine große Stärke – mit der eigenen
Tradition kritisch ins Gericht.
„Wir wollen keinen Sozialismus ohne
Demokratie.“
„Der
Staatssozialismus ist keine Lösung.“
Das
liest sich wie eine späte Antwort auf all die Apologeten des autoritären
Sozialismus, die im 21. Jahrhundert noch immer an Kuba, Venezuela oder anderen
Projektionen ihrer Sehnsucht nach Klarheit festhalten. Wer heute als Linke*r
nicht mit diesem Teil der Geschichte bricht, sondern ihn
relativiert, hat nichts verstanden – weder von der Krise der Demokratie noch
von der Zukunft des Sozialismus.
Und
dennoch: Die
Hoffnung, die dieser Aufruf ausstrahlt, ist kein leeres Pathos, sondern eine
politische Orientierung. Er stellt die Machtfrage – nicht als
radikales Ornament, sondern als strategischen Imperativ.
„Es braucht auf Bundesebene eine
handlungsfähige Regierungsmehrheit ohne CDU und FDP und unter Einschluss der
Linken.“
Das
ist keine Revolution, das ist Zivilisationsschutz. Wer
glaubt, man könne die Rechten in Schach halten, indem man in
fundamentalistischer Verweigerungshaltung auf der Oppositionsbank sitzt und
Klassenkampf deklamiert, während das Land brennt, hat von Geschichte wenig
verstanden. Die Autor*innen dagegen scheinen begriffen zu haben: Die
AfD wird nicht durch moralische Entrüstung gestoppt, sondern durch politische
Mehrheiten.
Kritisch
bleibt zu vermerken: Die Digitalisierung wird nur angedeutet,
nicht durchdrungen. Die Frage, wie linke Politik unter
Bedingungen algorithmischer Öffentlichkeit und Künstlicher Intelligenz
überhaupt noch kommunizieren, mobilisieren und gestalten kann, bleibt offen.
Auch konkrete Vorschläge zur Reorganisation von Eigentum, Arbeit und
Klimaordnung fehlen weitgehend. Hier wäre mehr Mut nötig gewesen.
Doch
im Kontrast zu den „Regressiven Linken“, die noch immer glauben, der
Sozialismus komme per Telegram-Kanal und Relitätsverweigerung, zeigt dieser
Aufruf: Es
geht auch anders.
Mit
Strategie statt Sakralrhetorik.
Mit Analyse statt Empörung.
Mit Verantwortung statt Revolutionskitsch.
Oder,
um es in einem Satz zu sagen: Wer
immer nur dagegen ist, hat am Ende genau das – nämlich nichts