Frieden schaffen mit Phrasen – Die „neue“ Deutsche Friedensbewegung und ihre alten Irrtümer

TL;DR: Der Aufruf „Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder!“ zur Bundesweiten Demonstration am 3. Oktober 2025 in Berlin und in Stuttgart klingt nach Moral, entlarvt sich aber als Ritual: Russland wird verharmlost, Israel dämonisiert, und die Bühne füllt sich mit selektiver Moral. Frieden? Nicht mit Phrasen, sondern mit Realitätssinn.

 

 


 

Der Krieg ist wieder da – und mit ihm die alten Reflexe: Die einen rufen nach Waffen, die anderen mit dem zum Aufruf „Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder!“ nach Frieden. Letztere wiederholen sich – und verraten, was sie nie begriffen haben.

 Nein zu Kriegspolitik und Militarisierung – Ja zu Frieden und Abrüstung.“ So beginnt der Aufruf zur Demonstration am 3. Oktober 2025 in Berlin und Stuttgart. 452 Friedensinitiativen unterstützen das Motto „Nie wieder kriegstüchtig. Stehen wir auf für Frieden“. Es klingt nach Brecht, riecht nach 80er-Jahre-Plakaten, und es liest sich wie das Glaubensbekenntnis einer Bewegung, die seit Jahrzehnten denselben Satz wiederholt – in der Hoffnung, er werde irgendwann Realität.

Doch was auf den ersten Blick als moralische Klarheit erscheint, offenbart bei näherer Betrachtung eine andere Wahrheit: ein Ritual der Selbstvergewisserung, das mehr über die Ohnmacht der deutschen Friedensbewegung erzählt als über die Weltlage, die es zu verändern vorgibt.

Die Phrasen des naiven Pazifismus

Der Aufruf behauptet: Die Situation in Europa entwickelt sich gefährlich in Richtung eines großen Krieges. Statt sich für Frieden einzusetzen, will die Bundesregierung Deutschland ‚kriegstüchtig‘ machen. Das klingt dramatisch, aber nur, weil ein entscheidendes Detail ausgeblendet wird: Der Krieg ist längst da. Er begann nicht mit Pistorius’ Schlagwort von der „Kriegstüchtigkeit“, sondern mit Putins Invasion in der Ukraine.

Wer die deutsche Aufrüstung kritisiert, ohne die russische Aggression zu benennen, betreibt nicht Aufklärung, sondern Illusion. Das ist der alte Fehler eines Pazifismus, der sich selbst genügt: Er sieht Waffen, aber nicht, wer sie zuerst ergriff.

Der Aufruf sagt: Mit massiver Hochrüstung soll das Land europäische Führungsmacht werden. Das Geld dafür fehlt bei Krankenhäusern und Pflege, Rente und Sozialleistungen. Das ist ein bekanntes Argument: Panzer gegen Kitas, Kanonen statt Butter. Aber so wahr die Umverteilungsfrage im Innern ist – sie erklärt nichts über die Bedrohungslage im Äußeren.

Wer Russland, China oder den Iran aus dem Bild schneidet, verharmlost die Kräfte, die diesen Krieg eskalieren. Kapitalismuskritik, die den globalen Zusammenhang unterschlägt, ist keine Analyse, sondern Selbstberuhigung.

Der vielleicht deutlichste ideologische Fehltritt des Aufrufs steckt in der Passage: „Durch Waffenlieferungen an Israel unterstützt [die Bundesregierung] den Völkermord an den Menschen in Gaza und Palästina.

Hier wird ein Wort benutzt, das in Deutschland keine Metapher sein darf: „Völkermord“. Indem der Aufruf Israel mit Auschwitz vergleicht, verrät er die eigene Geschichtsvergessenheit. Er delegitimiert nicht nur die Existenz eines Staates, der nach der Shoah gegründet wurde – er macht die Opfer von gestern zu Tätern von heute und relativiert damit den Zivilisationsbruch, den kein linker Aufruf relativieren darf.

Die Friedensbewegung verheddert sich hier in einer Regression: Antisemitismus im Gewand der Menschenrechte.

Noch deutlicher wird die Schieflage, wenn es um die Ukraine geht. „Es heißt, wir müssen kriegsfähig sein, weil behauptet wird, Russland wolle uns angreifen. Mit dieser Bedrohungslüge wollen die Kriegstreiber in Politik und Medien… – so der Text.

Eine „Bedrohungslüge“? Russland führt seit Februar 2022 einen Angriffskrieg in Europa. Städte wie Mariupol und Butscha sind Synonyme für Massaker, nicht für Propaganda. Wer hier von Lüge spricht, macht sich blind für die Realität und taub für die Opfer.

Das ist kein Pazifismus. Das ist Komplizenschaft mit dem Aggressor.

Ideologischer Moralismus

Die Forderungen des Aufrufs wirken wie ein politisches Wunschkonzert:

·        Keine Waffenlieferungen und Rüstungsexporte an die Ukraine, Israel und in alle Welt!

·        Stopp der Militarisierung der Gesellschaft!

·        Den Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag!

So edel die Worte klingen: Sie ignorieren die Frage nach Macht, Interessen, Sicherheit. Diplomatie ohne Stärke ist eine Einladung an den nächsten Aggressor. Abrüstung ohne Gegenseite ist keine Friedenspolitik, sondern ein Selbstexperiment mit offenem Ausgang.

Die „neue“ Friedensbewegung ist damit nicht neu, sondern altbekannt: Sie verwechselt Haltung mit Politik, Gesinnung mit Wirkung.

Die Organisatoren schreiben: „Wir wollen ein selbstbestimmtes Leben ohne Hunger und Krieg für alle Menschen!“ Das will jeder. Aber Politik beginnt dort, wo man die Bedingungen benennt, die ein solches Leben verhindern.

Und man könnte hinzufügen: auch dort, wo die Glaubwürdigkeit derer geprüft wird, die diesen Satz auf der Bühne verkünden. Als Rednerinnen und Redner sind angekündigt: Jeffrey Sachs, ein Ökonom, der die UN beriet – und zugleich in Interviews Putins Krieg als „Reaktion auf westliche Provokationen“ relativierte. Ghassan Abu-Sittah, Chirurg und Aktivist, der unbestritten humanitäre Arbeit leistet, aber politisch durch einseitige Parteinahme für die palästinensische Sache auffällt. In Berlin treten Özlem Demirel (Linke) und Christian Leye (BSW) auf – Parteien, die den Ukrainekrieg konsequent durch die Antiamerikanische NATO-Brille deuten, aber russische Kriegsziele ausblenden. Dazu Basem Said aus der palästinensischen Community und zwei Kriegsdienstverweigerer, einer russisch, einer ukrainisch – deren Stimmen ein glaubwürdiges Moment einbringen könnten, aber im Reigen der „Friedensfreunde“ eher dekorativ wirken.

In Stuttgart wiederum: Margot Käßmann, bekannt für ihren moralischen Rigorismus, und Sevim Dağdelen (BSW), deren Verständnis für Moskaus Perspektive basierend auf ihren Fanatischen Antiamerikanismus notorisch ist. Dazu SPD-Altvordere wie Lothar Binding oder Gewerkschafterinnen, die den sozialen Flügel markieren.

Die Frage liegt auf der Hand: Stehen all diese Stimmen tatsächlich für das Postulat des selbstbestimmten Lebens – oder nur für die Lesart, die ihnen ins eigene ideologische Konzept passt? Wer Selbstbestimmung für Palästinenser fordert, aber die Selbstbestimmung der Ukrainer im Schatten russischer Panzer übersieht, betreibt nicht Universalismus, sondern selektive Moral.

Am 3. Oktober werden Tausende durch Berlin und Stuttgart ziehen. Sie werden Transparente hochhalten, auf denen „Abrüstung jetzt!“ steht. Sie werden Reden hören, in denen „Bedrohungslügen“ entlarvt und „Völkermorde“ beklagt werden. Sie werden sich bestärkt fühlen in dem Glauben, dass die Welt friedlicher wäre, wenn Deutschland keine Waffen mehr schickte.

Doch der Irrtum bleibt: Frieden ist nicht die Abwesenheit deutscher Panzer, sondern die Abwesenheit russischer. Wer das nicht begreift, wiederholt die Fehler der Vergangenheit – und nennt sie Bewegung.

 

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