Frieden schaffen mit Phrasen – Die „neue“ Deutsche Friedensbewegung und ihre alten Irrtümer
TL;DR: Der Aufruf „Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder!“ zur Bundesweiten Demonstration am 3. Oktober 2025 in Berlin und in Stuttgart klingt nach Moral, entlarvt sich aber als Ritual: Russland wird verharmlost, Israel dämonisiert, und die Bühne füllt sich mit selektiver Moral. Frieden? Nicht mit Phrasen, sondern mit Realitätssinn.
Der Krieg ist wieder da – und mit
ihm die alten Reflexe: Die einen rufen nach Waffen, die anderen mit dem zum
Aufruf „Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder!“ nach Frieden. Letztere
wiederholen sich – und verraten, was sie nie begriffen haben.
Doch
was auf den ersten Blick als moralische Klarheit erscheint, offenbart bei näherer
Betrachtung eine andere Wahrheit: ein Ritual der Selbstvergewisserung, das mehr
über die Ohnmacht der deutschen Friedensbewegung erzählt als über die Weltlage,
die es zu verändern vorgibt.
Die Phrasen
des naiven Pazifismus
Der
Aufruf behauptet: „Die Situation in Europa
entwickelt sich gefährlich in Richtung eines großen Krieges. Statt sich für
Frieden einzusetzen, will die Bundesregierung Deutschland ‚kriegstüchtig‘
machen.“ Das klingt
dramatisch, aber nur, weil ein entscheidendes Detail ausgeblendet wird: Der
Krieg ist längst da. Er begann nicht mit Pistorius’ Schlagwort von der
„Kriegstüchtigkeit“, sondern mit Putins Invasion in der Ukraine.
Wer
die deutsche Aufrüstung kritisiert, ohne die russische Aggression zu benennen,
betreibt nicht Aufklärung, sondern Illusion. Das ist der alte Fehler eines
Pazifismus, der sich selbst genügt: Er sieht Waffen, aber nicht, wer sie zuerst
ergriff.
Der Aufruf sagt: „Mit massiver Hochrüstung soll das Land europäische Führungsmacht werden.
Das Geld dafür fehlt bei Krankenhäusern und Pflege, Rente und Sozialleistungen.“ Das ist ein bekanntes Argument:
Panzer gegen Kitas, Kanonen statt Butter. Aber so wahr die Umverteilungsfrage
im Innern ist – sie erklärt nichts über die Bedrohungslage im Äußeren.
Wer
Russland, China oder den Iran aus dem Bild schneidet, verharmlost die Kräfte,
die diesen Krieg eskalieren. Kapitalismuskritik, die den globalen Zusammenhang
unterschlägt, ist keine Analyse, sondern Selbstberuhigung.
Der vielleicht deutlichste
ideologische Fehltritt des Aufrufs steckt in der Passage: „Durch Waffenlieferungen an Israel
unterstützt [die Bundesregierung] den Völkermord an den Menschen in Gaza und
Palästina.“
Hier
wird ein Wort benutzt, das in Deutschland keine Metapher sein darf:
„Völkermord“. Indem der Aufruf Israel mit Auschwitz vergleicht, verrät er die
eigene Geschichtsvergessenheit. Er delegitimiert nicht nur die Existenz eines
Staates, der nach der Shoah gegründet wurde – er macht die Opfer von gestern zu
Tätern von heute und relativiert damit den Zivilisationsbruch, den kein linker
Aufruf relativieren darf.
Die
Friedensbewegung verheddert sich hier in einer Regression: Antisemitismus im
Gewand der Menschenrechte.
Noch deutlicher wird die
Schieflage, wenn es um die Ukraine geht. „Es heißt, wir müssen kriegsfähig sein, weil
behauptet wird, Russland wolle uns angreifen. Mit dieser Bedrohungslüge wollen
die Kriegstreiber in Politik und Medien…“ – so der Text.
Eine
„Bedrohungslüge“? Russland führt seit Februar 2022 einen Angriffskrieg in
Europa. Städte wie Mariupol und Butscha sind Synonyme für Massaker, nicht für
Propaganda. Wer hier von Lüge spricht, macht sich blind für die Realität und
taub für die Opfer.
Das
ist kein Pazifismus. Das ist Komplizenschaft mit dem Aggressor.
Ideologischer
Moralismus
Die
Forderungen des Aufrufs wirken wie ein politisches Wunschkonzert:
·
„Keine
Waffenlieferungen und Rüstungsexporte an die Ukraine, Israel und in alle Welt!“
·
„Stopp
der Militarisierung der Gesellschaft!“
·
„Den
Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag!“
So
edel die Worte klingen: Sie ignorieren die Frage nach Macht, Interessen,
Sicherheit. Diplomatie ohne Stärke ist eine Einladung an den nächsten
Aggressor. Abrüstung ohne Gegenseite ist keine Friedenspolitik, sondern ein
Selbstexperiment mit offenem Ausgang.
Die
„neue“ Friedensbewegung ist damit nicht neu, sondern altbekannt: Sie
verwechselt Haltung mit Politik, Gesinnung mit Wirkung.
Die Organisatoren schreiben: „Wir
wollen ein selbstbestimmtes Leben ohne Hunger und Krieg für alle Menschen!“
Das will jeder. Aber Politik beginnt dort, wo man die Bedingungen benennt, die
ein solches Leben verhindern.
Und
man könnte hinzufügen: auch dort, wo die Glaubwürdigkeit derer geprüft wird,
die diesen Satz auf der Bühne verkünden. Als Rednerinnen und Redner sind
angekündigt: Jeffrey Sachs, ein Ökonom, der die UN
beriet – und zugleich in Interviews Putins Krieg als „Reaktion auf westliche
Provokationen“ relativierte. Ghassan Abu-Sittah,
Chirurg und Aktivist, der unbestritten humanitäre Arbeit leistet, aber
politisch durch einseitige Parteinahme für die palästinensische Sache auffällt.
In Berlin treten Özlem Demirel (Linke) und Christian
Leye (BSW) auf – Parteien, die den Ukrainekrieg konsequent
durch die Antiamerikanische NATO-Brille deuten, aber russische Kriegsziele
ausblenden. Dazu Basem Said aus der palästinensischen
Community und zwei Kriegsdienstverweigerer, einer russisch, einer ukrainisch –
deren Stimmen ein glaubwürdiges Moment einbringen könnten, aber im Reigen der
„Friedensfreunde“ eher dekorativ wirken.
In
Stuttgart wiederum: Margot Käßmann, bekannt
für ihren moralischen Rigorismus, und Sevim Dağdelen (BSW),
deren Verständnis für Moskaus Perspektive basierend auf ihren Fanatischen
Antiamerikanismus notorisch ist. Dazu SPD-Altvordere wie Lothar
Binding oder Gewerkschafterinnen, die den sozialen Flügel
markieren.
Die
Frage liegt auf der Hand: Stehen all diese Stimmen tatsächlich für
das Postulat des selbstbestimmten Lebens – oder nur für die Lesart, die ihnen
ins eigene ideologische Konzept passt? Wer Selbstbestimmung für
Palästinenser fordert, aber die Selbstbestimmung der Ukrainer im Schatten
russischer Panzer übersieht, betreibt nicht Universalismus, sondern selektive
Moral.
Am 3. Oktober werden Tausende
durch Berlin und Stuttgart ziehen. Sie werden Transparente hochhalten, auf
denen „Abrüstung jetzt!“ steht. Sie werden Reden hören, in denen
„Bedrohungslügen“ entlarvt und „Völkermorde“ beklagt werden. Sie werden sich
bestärkt fühlen in dem Glauben, dass die Welt friedlicher wäre, wenn
Deutschland keine Waffen mehr schickte.
Doch
der Irrtum bleibt: Frieden ist nicht die Abwesenheit deutscher Panzer, sondern
die Abwesenheit russischer. Wer das nicht begreift, wiederholt die Fehler der
Vergangenheit – und nennt sie Bewegung.
