Zur Zertrümmerung journalistischer Standards im Gespräch zwischen Elias Feroz und Gilbert Achcar über den Gaza-Krieg

TL;DR: Israel als Neonazistaat, die Shoah als Polemiktool, und ein Interviewer, der lieber Beifall klatscht als nachfragt: das ist das nd Gespräch mit Gilbert Achcar über den Gaza-Krieg, Achcar betreibt Propaganda,nd- Feroz spiel Stichwortgeber – und das nd druckt es ab. 



Wenn ein Interview sich als intellektueller Diskurs tarnt, in Wahrheit jedoch nichts weiter ist als die regungslose Bühne für die moralische Selbstentfaltung eines Professors im Exil, nennt man das im besten Fall: feuilletonistische Fantasie. Im schlechtesten – und wir sprechen hier vom schlechtesten – nennt man es publizistische Sabotage. Die Rede ist vom Gespräch zwischen Gilbert Achcar und Elias Feroz, erschienen im nd, einer Zeitung, die früher das Zentralorgan der SED war und heute gelegentlich versucht, das Zentralorgan einer moralisch enthemmten sektiererischen Linken zu sein.

Von der Dämonisierung zum ideologischen Delirium – wenn Kritik zur Karikatur verkommt

Gilbert Achcar, Professor für Internationale Beziehungen und Welterklärungsartist im Nebenberuf, lässt in diesem Interview kaum einen Satz fallen, der nicht nach historischer Analogiebombe riecht. Da ist von „ethnischer Säuberung“, „genozidalem Krieg“ und – man höre und erschaudere – „Neonazis“ die Rede. Und zwar nicht in Bezug auf Hamas-Schlächter, IS-Kalifatsromantiker oder die NPD, sondern auf Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich, Minister einer israelischen Regierung.

Achcar behauptet wörtlich:
„Ben Gvir und Smotrich bezeichnen Palästinenser ganz offen als ‚Untermenschen‘. […] Das ist das Äquivalent zu einem ‚judenfreien‘ Gebiet: ein Eretz Israel ohne Palästinenser.“

Was hier betrieben wird, ist keine historische Argumentation, sondern eine kalkulierte Begriffsverwischung mit ideologischer Zielrichtung: Die Shoah wird nicht erinnert, sondern zur polemischen Patrone umgeschmolzen, um israelische Politiker*innen – so rechts sie auch sein mögen – als Wiedergänger Adolf Hitlers zu dämonisieren.

Wer Smotrichs messianischen Siedlerwahn mit Auschwitz vergleicht, betreibt keine Aufklärung, sondern eine auf dem Rücken der Shoah getragene Entsorgung des moralischen Unterschieds zwischen Täter*in und Opfer. Der Begriff „Neonazi“ – historisch klar verortet als Bezeichnung für Bewegungen, die sich auf den deutschen Nationalsozialismus (1920–1945) berufen – wird von Achcar kurzerhand umfunktioniert zur politischen Universalkeule gegen jede Form von reaktionärem Zionismus.

Und die Begründung für diese rhetorische Gleichsetzung?
„In Deutschland bezeichnen Liberale und Linke die AfD oder früher die NPD ganz selbstverständlich als Neonazis. Auch die FPÖ in Österreich wird oft so eingeordnet.“

Das ist in etwa so, als würde man behaupten: Weil manche Leute Fahrräder, die im Wasser liegen, für Fische halten, darf ich mein Rad auch zu einen Thunfisch erklären.

Achcar relativiert im selben Atemzug die FPÖ, eine Partei, die das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands längst als „in Teilen offen rechtsextrem mit Grenzverwischung zum Neonazismus“ einstuft. Dass sie 2024 eine „Remigrationskommissarin“ für die EU forderte – das klingt harmloser als „Deportationskommissarin“, meint aber exakt das Gleiche – bleibt bei Achcar unerwähnt. Stattdessen wird sie kleingeredet, nur um Ben-Gvir und Smotrich in die Nähe von Eichmann und Himmler zu rücken.

Dass all diese Relativierungen und gefährlichen Gleichsetzungen ohne ein einziges kritisches Nachhaken vonseiten des Interviewers Elias Feroz geschehen, ist das eigentlich Skandalöse. Feroz, der hier nicht als Journalist, sondern als Stichwortgeber agiert, überlässt Achcar das Feld wie ein Verteidiger, der dem gegnerischen Stürmer auch noch das Tornetz aufspannt.

Keine Nachfrage zum inflationären Gebrauch des Begriffs „Genozid“.
Keine Rückfrage zur Differenz zwischen faschistischer Ideologie und NS-Vernichtungspolitik.
Keine Konfrontation mit der Tatsache, dass Kahanismus zwar faschistoid ist – aber eben kein Neonazismus.

Wer ernsthaft glaubt, man könne israelische Minister als „Neonazis“ bezeichnen, ohne damit Shoah-Relativierung zu betreiben, sollte sich fragen lassen, ob noch argumentiert oder bereits agitatorisch geraunt wird.

Faschismus ≠ Nationalsozialismus ≠ Alles, was mir nicht passt

Natürlich ist es unbestreitbar, dass Ben-Gvir ein militanter Kahanist ist – seine Partei Otzma Jehudit fordert offen die Stärkung jüdisch-religiöser Identität, lehnt einen palästinensischen Staat ab, predigt patriarchale „Familienwerte“, will Abtreibung verbieten, religiöse Bildung zwangsverstaatlichen – und in Teilen schürt sie systematisch Rassismus gegenüber Palästinenser*innen mit israelischer Staatsbürgerschaft, indem sie diese als „Feinde“ darstellt, mit denen „Koexistenz unmöglich“ sei.

Ebenso vertritt HaTzionut HaDatit unter Smotrich eine messianisch-zionistische Agenda, die sich offen gegen einen säkularen Staat richtet. Ja, das ist autoritär, theokratisch, ultranationalistisch, rassistisch – kurz: faschistisch.

Aber Neonazis sind sie deshalb noch lange nicht. Kahanismus ist nicht der Nazismus mit Davidstern, sondern ein ganz eigener, ebenso gefährlicher wie andersartiger Wahnsinn. Wer die Unterschiede nicht mehr benennen kann, will sie nicht benennen – weil es ihm* ihr nicht um Analyse geht, sondern um Anklage.

Achcar braucht die Neonazi-Gleichsetzung, um seine Kernthese zu stützen: Israel sei nicht nur ein Apartheidstaat, sondern ein Wiedergänger des Dritten Reiches. Nur so lässt sich die finale rhetorische Bombe zünden:

„Es ist zutiefst schockierend, dass ausgerechnet jene, die sich auf das Erbe der Holocaust-Opfer berufen, nun einen Traum verfolgen, der der NS-Vorstellung eines ‚judenfreien‘ Deutschlands ähnelt.“

Das ist nicht nur historisch grotesk. Es ist moralisch perfide.

Denn es verkehrt die Erinnerung an die Shoah in ein Instrument zur Dämonisierung des jüdischen Staates – ein Argumentationsmuster, das in der antizionistischen Linken Tradition hat, aber dadurch nicht richtiger wird. Und dass eine Zeitung wie das nd dieser Rhetorik eine Plattform bietet, ohne ein journalistisches Korrektiv, ist keine redaktionelle Nachlässigkeit, sondern ein publizistisches Totalversagen.

Gilbert Achcar schreibt nicht Geschichte – er beschwört sie herbei, um mit ihr seine Feindbilder zu erschlagen. Elias Feroz hält ihm das Megafon. Gemeinsam fabrizieren sie ein Gespräch, das weniger mit Analyse zu tun hat als mit Agitation, weniger mit Journalismus als mit jenen Reflexen, die Hermann L. Gremliza einst als „linke Geschmacklosigkeit im Gewand der Moral“ bezeichnet hätte.

Zurück bleibt ein Stück, das Israel dämonisiert, Faschismus nivelliert, den Holocaust relativiert – und dies im Namen einer Linken, der längst das historische Koordinatensystem abhandengekommen ist.

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