Wie Özlem Alev Demirel mit einem Tweet das Problem verfehlt – und Antifaschistische Prinzipien gleich mit verrät.
TL;DR:Özlem Alev Demirel verteidigt Genoss:innen, die mit Hamas-Sympathisanten feiern, und greift lieber die Presse an, statt sich zur Hamas zu äußern. Wer Antifaschismus sagt, aber Faschismus ignoriert, verrät Prinzipien, nicht nur Debattenkultur.
Es gehört zu
den zuverlässigsten Ritualen linker Reaktionsmuster, dass man den Brandherd
nicht löscht, sondern demjenigen die Schuld gibt, der Feuer ruft. So auch Özlem
Alev Demirel, Europaabgeordnete der Linken, die im Angesicht eines Berliner
Bezirksfestes mit Hamas-Sympathisanten nicht etwa fragt, wie es dazu kommen
konnte, sondern sich darüber empört, dass Jan van Aken es wagt, die
Realität beim Namen zu nennen. Dass er sagt, die Hamas sei eine faschistische
Organisation, wird ihm nicht etwa als politische Klarheit zugutegehalten –
sondern als Mangel an Parteitreue ausgelegt.
„Wenn die
Springer-Presse meine Genoss:innen zu Unrecht angreift, dann stelle ich mich
vor sie. Punkt!“ – so
Demirel auf Twitter/X, wobei das „Punkt!“ hier mehr als imperativische
Grenzziehung denn als Abschluss einer Argumentation zu verstehen ist. Ein
politischer Schlussstrich, gezogen mit leerem Füllfederhalter. Denn anstatt der
Fakte zu prüfen – also die Nähe von Parteimitgliedern zu einer Organisation,
deren Charta sich zwischen Endzeitapokalypse und ethnonationalistischer
Heilslehre bewegt –, wird der Schuldige schon gefunden: die Presse.
Natürlich: Springer
ist nie zu schade für die Empörungsindustrie. Aber wer nur deswegen das Echo
ablehnt, weil ihm die Lautsprecher unsympathisch sind, sollte nicht den Lärm
beklagen. Dass ein Bezirksverband auf einem Fest mit bekannten Hamas-Anhängern
auftauchte, wäre eigentlich ein innerparteiliches Problem. Demirel aber macht
daraus eine mediale Inszenierung und lenkt so elegant wie unredlich ab.
Denn mit
bewundernswerter Wendigkeit schaltet sie vom konkreten Vorwurf – Verbindungen
zu einer islamistisch-antisemitischen Organisation – zum gewohnten
Dauerbrenner: Israel. Beziehungsweise: „Genozid und Komplizenschaft der
Bundesregierung“. Das ist zwar grammatisch knapp an der Satzgrenze, aber
inhaltlich weit davon entfernt, die eigentliche Frage zu beantworten: Ist die
Hamas für jemanden in der Linkspartei ein legitimer Bündnispartner oder nicht?
Auf diese
Frage antwortet Demirel nicht. Stattdessen Solidaritätsbekundung im Dauermodus:
Es zählt nicht, was war, sondern wer's war. Parteifreund:innen stehen nicht zur
Debatte – und wenn sie neben Antisemiten tanzen, dann ist das halt Kontext.
Verantwortung wird durch Loyalität ersetzt, Analyse durch Haltung. Wer auf die
Hamas hinweist, bekommt als Antwort: „Aber Israel!“
Diese
Argumentationsfigur ist bekannt – sie funktioniert wie ein intellektuelles
Nebelwerferkommando. Der Finger, der auf das Problem zeigt, wird amputiert,
während man dem Problem selbst ein Kopftuch umlegt und „Widerstand“
draufschreibt. Man verwechselt den Unterdrückten mit seinem Unterdrücker – und
nennt das dann linke Konsequenz.
Was dabei
auf der Strecke bleibt, ist politische Redlichkeit. Denn wer sich nicht klar
von einer faschistischen Organisation abgrenzt – nicht aus taktischem Kalkül,
nicht aus innerparteilicher Rücksichtnahme, sondern aus tiefsitzender
ideologischer Verblendung –, der verliert jedes Recht, sich auf das Erbe von
Aufklärung, Emanzipation und internationaler Solidarität zu berufen.
Denn Hamas
ist nicht nur ein politischer Akteur im Nahostkonflikt. Sie ist eine
Organisation, die Antisemitismus, Homophobie, Frauenverachtung und
theokratische Gewalt in ihrer Gründungsidee trägt. Wer das ignoriert, weil es
nicht in den Antiimperialismus-Baukasten der 1970er passt, disqualifiziert sich
für jede ernsthafte Analyse.
Özlem Alev Demirels Tweet ist daher nicht nur eine politische Verfehlung – er ist ein Lehrstück dafür, wie die Linke sich selbst im Weg steht, wenn sie Kritik mit Verrat verwechselt und faschistische Ideologien für bloße „Konfliktparteien“ hält. Wer sich im Zweifel immer vor seine Genoss:innen stellt, auch wenn sie auf der falschen Seite stehen, stellt sich am Ende gegen das, wofür eine Linke einmal stand.