Verwirrung als Welterklärung – Vince Ebert sucht in der NZZ Deutschland, findet sich selbst
TL;DR: Vince Ebert beklagt in der NZZ den Verlust der Rationalität – und erklärt die Welt dabei selbst mit Bauchgefühl. Kritik an Ideologie wird zur Pose, Faktenliebe zum Furor. Wer, wie er, den Zustand der Republik mit Kabarett verwechselt, bleibt die Pointe seiner eigenen Analyse.
Vince Ebert stellt fest, dass
er nicht weiß, was
mit uns Deutschen los ist. Ein Mann, der ausgerechnet seine
Unwissenheit zur These erhebt, mag auf der Kabarettbühne sympathisch wirken –
in einem politischen Interview gerät diese Pose jedoch zur Parole. Die
Koketterie mit der eigenen Ratlosigkeit taugt hier weniger als Selbstironie
denn als Tarnkappe für eine klammheimliche Weltdeutung: Wenn der
Komplexitätsgrad steigt, wird gefühlt. Und wer fühlt, hat Unrecht – sofern er
nicht dasselbe fühlt wie Ebert.
Der
Kabarettist im Physikermantel inszeniert sich als Verteidiger der Vernunft,
wobei er die Vernunft gegen die Realität zu Felde führt: Die Welt sei aus den
Fugen geraten, weil sich zu viele an Gefühlen und zu wenige an Fakten
orientierten. Doch was ist das für eine "Faktenliebe", die im
Brustton liberaler Weckrufe das Parteiensystem zur Diktatur erklärt, Kritische
Theorie zur Geheimpolizei umdeutet und gesellschaftlichen Wandel in eine
Umverteilungsverschwörung umlackiert?
Ebert
kritisiert, dass Politiker auf wissenschaftliche Expertise hören – um dann im
nächsten Satz zu bedauern, dass sie nicht auf ihn gehört haben, als es um die
Kernkraft ging. Der Wissenschaftler, der Politiker kritisiert, weil diese
Wissenschaftler ernst nehmen – eine Gleichung mit mehreren Unbekannten und
keiner Lösung. Logik scheint in diesem Fall eine Frage des Timings zu sein.
Dass
Ebert über „Biedermeier“ klagt, gleichzeitig aber eine Ästhetik des autoritären
Durchregierens lobt – Milei als Vergleichsfolie – offenbart eine tieferliegende
Verwirrung: Zwischen Liberalismus und Laissez-faire, zwischen Kritik und
Nostalgie, zwischen Kabarett und Kanzlerfantasie. Der Appell an die
„Ambiguitätstoleranz“ endet dort, wo Ambiguität nicht mehr zur Pointe, sondern
zur Politik wird.
Eberts
Empörung über Cancel Culture und Diversitätsbeauftragte, über woke Universitäten
und gesinnungsgeprüfte Lacher wirkt dabei wie ein Best-of aller konservativen
Unbehaglichkeiten. Nur dass hier nicht ein CDU-Parteitag spricht, sondern ein
Mann, der sich als humorvoller Außenseiter versteht – und trotzdem klingt, als
wolle er zurück auf die Haupttribüne der alten Bundesrepublik. Die
Boomer-Generation wird zum goldenen Zeitalter verklärt, als wäre sie der
thermodynamische Idealzustand der Geschichte. Vergleich: Bowie und Boy George
seien erträglicher gewesen als Gender Studies – nicht weil sie radikaler waren,
sondern weil sie keine Theorien formulierten. Rockstars als bessere Philosophen
– eine These, die bei Friedrich Merz vielleicht auf Gehör stößt, aber nicht in
ein ernsthaftes Gespräch über Emanzipation gehört.
Und
doch: Eberts Kritik an parteidisziplinären Reflexen, an demokratietaktischem
Duckmäusertum, am Reputationsfetischismus im Meinungsklima – das alles verdient
Gehör. Nur bleibt der Kritiker sich selbst zu ähnlich, um über den eigenen
Reflex hinaus zu denken. Wer das Lachen nur bei sich selbst ernst nimmt, landet
schnell dort, wo Kritik zur Pose wird und Pose zur Welterklärung.
Vince Ebert beklagt die Auflösung des Rationalen, während er selbst den öffentlichen Diskurs auf Gefühlstemperaturen kartografiert. Sein Buch heißt Wot Se Fack, Deutschland? – der Titel schreit nach Antwort, bekommt aber nur Applaus.