Erinnerungskultur als Streitfall – Alan Posener contra Bodo Ramelow
TL;DR: Alan Posener wirft Ramelow vor, den Holocaust zu instrumentalisieren – und stilisiert Kritik an der Förderpolitik zum Angriff auf die Erinnerungskultur. Doch wo Posener Verdacht sät, argumentiert Ramelow verfassungsrechtlich: für Gleichbehandlung, nicht Vereinnahmung.
Zu „Bodo
Ramelow – Eine Instrumentalisierung des Holocaust“ von Alan Posener in der welt
von 04.08.2025
Es gibt
einen Typus Text, der sich über moralische Hybris empört, während er selbst die
Stufen zur Empörung höher hinaufsteigt als sein Objekt. Alan Poseners Artikel
über Bodo Ramelow ist ein solcher. Ein Beitrag zur Debatte – und doch Debatte
abwürgend. Eine Klage über Grenzüberschreitungen – während sie selbst vollzogen
wird.
Holocaust
als Hebel – oder als Hebelbild?
Posener wirft Ramelow vor, den Holocaust zu instrumentalisieren. Diese Kritik
ist nicht neu, aber sie lebt von der Konjunktivkraft des Verdachts: Ramelow spricht von historischer
Verantwortung – und Posener liest darin Absicht. Eine absichtsvolle
Absicht. Ein Missbrauch mit Pathos, ein Einschlag in den Diskurskörper. So
weit, so gewagt.
Nur: Wer den
Missbrauch des Gedenkens beklagt, müsste den Gebrauch kennen. Doch statt
Argumentation bietet Posener Suggestion. Dass Ramelow auf seine NS-belastete
Familiengeschichte verweist? Dass er die Förderung des Reformjudentums mit dem
Vernichtungswerk deutscher Täter verbindet? Für Posener ist das kein ethisches
Motiv, sondern taktisches Manöver. Der Holocaust als Rampe für
Haushaltsanträge. Der Vorwurf steht im Raum – auf dünnem Fundament, aber mit
maximaler Lautstärke.
Ramelow
mischt sich in innerjüdische Angelegenheiten ein. Sagt Posener. Dabei
argumentiert Ramelow ausdrücklich nicht als jüdischer Theologe oder
innergemeindlicher Konfliktlöser, sondern als Staatsbürger mit Haushaltsverantwortung.
Es geht um 388.000 Euro. Um Gleichbehandlung. Um die Frage, ob eine
Dachorganisation wie der Zentralrat über die gesamte Bandbreite jüdischer
Vielfalt verfügen darf – oder ob das pluralistisch aufgefächerte Bild des
heutigen Judentums auch institutionell sichtbar gefördert werden muss.
Posener
reduziert diese politische Frage auf eine persönliche Regung. Weil Ramelow mit
Homolka befreundet sei, könne man seine Kritik nicht ernst nehmen. So wird aus
einem verfassungsrechtlichen Argument ein Loyalitätsdienst, aus Sorge um
religiöse Vielfalt ein Freundschaftsdienst. Dass Homolka ein streitbarer, teils
umstrittener, inzwischen juristisch entlasteter Akteur war – geschenkt. Posener
misst mit zwei Zollstöcken: Den einen hält er Ramelow an die Ethik, den anderen
an die Stirn.
Wer den
Zentralrat der Juden in Deutschland kritisiert, steht schnell im Verdacht, das
jüdische Leben als solches zu delegitimieren. So zumindest lautet die
unausgesprochene Prämisse Poseners. Und doch ist genau das Ramelows Thema: Die
Gefahr, dass ein als „Einheitsdach“ anerkannter Verband in der Praxis Vielfalt
zum Monopol schrumpfen lässt. Dass das liberale Judentum, historisch tief
verwurzelt in Deutschland, heute mit struktureller Marginalisierung zu kämpfen
hat.
Posener
erwähnt zwar, dass es den JLEV und das Regina-Jonas-Seminar gibt – aber tut so,
als sei damit jede Kritik entkräftet. Dass sich diese Institutionen allerdings
nur im organisatorischen Schlepptau des Zentralrats entwickeln dürfen, ist für
Ramelow genau der Punkt. Für Posener: kein Thema. Der Staat soll zahlen, aber
schweigen. Ramelow aber sagt: Wenn der Staat zahlt, darf er fragen – zumindest
nach Kriterien, Transparenz und pluraler Legitimation.
Polemik im
Dienst der Ordnung
Alan Posener schreibt, als gelte es, Unordnung durch Autorität zu beseitigen.
Ramelows Zweifel an der Förderpolitik werden zum Angriff auf die
Erinnerungskultur hochstilisiert. Die Frage nach der staatsrechtlichen
Gleichbehandlung wird als moralische Entgleisung etikettiert. Was bleibt, ist
ein Text, der Empörung erheischt, wo Aufklärung nötig wäre.
Der
Holocaust wird nicht durch das Erinnern entweiht – sondern durch dessen
Monopolisierung. Die Pflicht zur Erinnerung ist keine Lizenz zur
institutionellen Unangreifbarkeit. Und wenn ein deutscher Politiker mit
christlichem Hintergrund die Förderung des jüdischen Reformjudentums
verteidigt, ist das nicht zwangsläufig Vereinnahmung – sondern vielleicht ein
Echo des besseren Deutschlands.
Alan
Poseners Artikel kritisiert mit Schärfe und Sachverstand die politische und
moralische Argumentation Bodo Ramelows im ZEIT-Interview. Dennoch ist seine
Darstellung einseitig. Ramelow argumentiert differenzierter, insbesondere im Hinblick
auf die Rolle des Staates, die Gleichbehandlung religiöser Strömungen und den
verfassungsrechtlichen Rahmen. Der Vorwurf der Holocaust-Instrumentalisierung
ist überzogen.
Eine faire
Einordnung wäre:
Ramelow überschreitet möglicherweise politische Grenzen, bewegt sich aber
innerhalb legitimer verfassungsrechtlicher und moralischer Argumentation.
Poseners Kritik trifft einen wunden Punkt – übergeht jedoch Ramelows
Ernsthaftigkeit und Komplexität seines Anliegens.