Antizionismus mit deutschem Beigeschmack – Eine Linke ringt mit sich selbst

TL;DR: Antizionismus mit deutschem Beigeschmack: In der taz zeigt Marianne Esders, wie man Antisemitismus in der Linken differenziert angeht – ohne Parolen, ohne Pathos. Ein Gespräch, das leise bleibt, wo andere laut werden. Ein seltenes Stück Klarheit.




Ein Gespräch über die Rückkehr eines Problems, das nie wirklich weg war.

Wenn sich Linke mit Antisemitismus beschäftigen, wird es selten hell im Raum. Zu viele relativieren, verharmlosen oder übersehen jenen Antisemitismus, den jüdische Menschen tagtäglich erfahren – ebenso wie den, der sich in der Ideologie der Hamas oder den Staatszielen des Iran artikuliert. Umso überraschender ist, was Marianne Esders in einem bemerkenswert sachlichen, fast schon zärtlich tastenden Gespräch mit Alexander Diehl in der taz sagt – über Antisemitismus, Antizionismus und den Zustand ihrer Partei. Und noch überraschender: Wie wenig man sich dabei für sie schämen muss.

Am 30. Juli veröffentlichte die taz ein Interview mit Marianne Esders, Mitglied der Linkspartei und Mitinitiatorin der neuen Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) „Gegen jeden Antisemitismus“ in Niedersachsen. Ein Interview, das mit messerscharfen Fragen beginnt und mit zögerlicher Hoffnung endet. Es geht um nichts Geringeres als den Kampf gegen Antisemitismus – innerhalb der Linken.

Esders überrascht mit Klarheit. Sie benennt offen, dass es in ihrer Partei antisemitische Tendenzen gibt – nicht als rhetorische Formel, sondern als politische Realität: „Auch innerhalb der Partei Die Linke gibt es antisemitische Tendenzen“, sagt sie. Sie verweist auf Parteiaustritte nach dem umstrittenen Beschluss zur Jerusalem Declaration, kritisiert den Ausschluss jüdischer Perspektiven bei der Entscheidungsfindung und warnt davor, Antisemitismus „per Mehrheitsbeschluss wegdefinieren“ zu wollen.

Ihre Haltung ist nicht anklagend, sondern aufklärend. Sie spricht von jungen Mitgliedern, die voller Mitgefühl für Gaza auf die Straße gehen – und dabei historische Zusammenhänge nicht kennen. Sie plädiert für politische Bildung statt moralischer Abgrenzung. Und sie macht deutlich, dass es Antizionismus gibt, der nicht antisemitisch ist – aber eben auch sehr viel Antisemitismus, der sich als Antizionismus tarnt.

Esders sagt: „Sobald das Existenzrecht Israels in Frage gestellt wird, wird die Sache aus unserer Sicht problematisch.“

Ein Satz, so schlicht wie brisant – denn er markiert die rote Linie, an der viele linke Debatten scheitern. Ihre Differenzierung überzeugt: Ja, Kritik an Israel sei legitim. Ja, es gebe jüdische Stimmen, die Zionismus ablehnen. Aber: Wenn diese Kritik das Existenzrecht negiert, wird sie zur ideologischen Waffe.

Der Leser erfährt schnell, worum es geht: eine neue Initiative gegen Antisemitismus, ein Bundesparteitagsbeschluss, der mehr Spaltung als Klärung brachte, und eine Interviewpartnerin, die sich sichtlich bemüht, in einem verminten Diskursgelände aufrecht zu stehen.

Doch Esders bleibt nicht im Appell. Sie formuliert programmatische Linien. Die neue LAG soll parteiintern wirken, jüdische Perspektiven einbeziehen, differenzieren, „welchen Stimmen wir ein Podium geben“. Sie verweist auf palästinensische Aktivisten wie Hamza Howidy, die sich gegen Hamas stellen – Stimmen, die in der deutschen Linken kaum gehört werden. Sie fordert: Diese Stimmen verdienen Solidarität – nicht jene, die Antisemitismus salonfähig machen.

Und Diehl? Der Einstieg ist klug gewählt. Statt Esders direkt anzugreifen, rekonstruiert er die parteipolitische Großwetterlage – von der Jerusalem Declaration bis zur Kritik an der IHRA-Definition. Und er bleibt dabei stets neugierig, nie zynisch. Wer den Tonfall der deutschen Nahost-Debatten kennt, weiß, wie selten das geworden ist.

Er fragt präzise, nicht schrill. Nach der Legitimität von Antizionismus, nach strategischer Begriffsverwendung, nach interner Machtbalance – und er erhält Antworten, die nicht alles wissen, aber vieles zulassen. „Wir sind noch eine Minderheit“, sagt Esders. Und man glaubt ihr, dass sie trotzdem bleiben will.

Ein Satz sticht besonders hervor:

„Zionismus bezieht sich primär auf die Existenz eines jüdischen Staates als Schutzraum, der sich auch durch den Holocaust begründet.“

In seiner Klarheit steht dieser Satz wie ein Denkmal gegen die moralisierende Nebelgranate, die weite Teile des linken Diskurses durchzieht. Und er zeigt: Diese Landesarbeitsgemeinschaft will nicht nur Aufarbeitung, sondern politische Klarheit.

Dieses Interview ist keine Abrechnung und kein Manifest. Es ist ein Gespräch, das sich seiner Verantwortung bewusst ist – und deshalb leise bleibt, wo andere laut werden. Marianne Esders macht deutlich, dass der Antisemitismus der Linken kein Vorwurf von außen ist, sondern eine Baustelle von innen. Alexander Diehl gelingt es, diesen Prozess transparent zu machen – ohne Häme, ohne Pathos.

Und so bleibt als Ausblick nur eine Hoffnung:
Dass sich mehr Linke fragen, mit wem sie eigentlich auf die Straße gehen. Und mit wem nicht.

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