Rezension zu Benjamin-Immanuel Hoffs „Knapp daneben ist auch vorbei“ (nd, 10.11.2025) einer Replik auf Raul Zelik
TL;DR: Benjamin-Immanuel Hoffs Replik auf Zelik ist kein ein twitterbarer Aufschrei, sondern Analyse mit Skalpell: Kritik an Israel ohne Geschichtsvergessenheit, Solidarität ohne Romantisierung. Ein Plädoyer für linken Streit – präzise, unbequem, notwendig.
In „Knapp daneben ist auch vorbei“ (nd, 10.11.2025) gelingt Benjamin-Immanuel Hoff eine präzise Verteidigung linker Urteilskraft – zwischen historischer Verantwortung, analytischer Schärfe und der Zumutung notwendiger Differenz.
Benjamin-Immanuel
Hoff ist keiner, der sich von Soundbites verführen lässt. Sein Text liest sich
nicht wie ein twitterbarer Aufschrei, sondern wie ein intellektuelles
Gegenstück zur Soundkulisse, in der die Linke heute zu versinken droht. Kein
Geklapper, sondern ein Griff zur Pinzette. Das mag mancher für kleinlich halten
– tatsächlich ist es notwendig. Denn wer mit grobem Gerät hantiert, verwechselt
schnell Hamas mit Widerstand, Staatlichkeit mit Kolonialismus, und Kritik mit
ihrer Karikatur.
Hoff zerlegt
Raul Zeliks Versuch, den Wahlsieg eines linken New Yorker Lokalpolitikers mit
dem Beschluss eines Jugendverbands zu verknüpfen, nicht mit Schaum vorm Mund,
sondern mit dem Skalpell. Man kann das pedantisch nennen. Oder man erkennt
darin den Willen, linken Diskurs wieder unterscheidungsfähig zu machen – gegen
außen wie nach innen.
Zelik
versucht, ein globales Tableau linker Erneuerung zu zeichnen, in dem die
deutsche Linke als Fossil erscheint: repressiv, reaktionär, rückständig. Hoffs
Einspruch ist weniger ein Widerspruch als ein Reminder: nicht jeder
Gleichzeitigkeit wohnt ein Zusammenhang inne. Die methodische Schwäche liegt
nicht in der Kritik an Israel, sondern im Aufbau der Erzählung – einer Moralgeschichte,
in der Symbolpolitik das Argument ersetzt.
Zelik beruft
sich auf Mahmood Mamdani, als wäre die Universalismustauglichkeit eines
Theoretikers der Gradmesser für linke Realpolitik. Hoff kontert nicht mit einem
anderen Theoretiker, sondern mit Geschichte. Dass Israel nicht aus
nationalromantischer Lust, sondern aus Not entstand, ist keine Entschuldigung
für Besatzung, sondern Voraussetzung für jede seriöse Kritik an ihr. Zelik
lässt diesen Zusammenhang unter den Tisch fallen – und Hoff hebt ihn auf, ohne
ihn zum Alibi umzudeuten.
Nicht
weniger, sondern mehr Widerspruch fordert Hoff – aber bitte auf Basis von
Unterscheidungen: Zwischen Israelkritik und Antizionismus, zwischen
palästinensischer Emanzipation und islamistischer Reaktion, zwischen innerlinkem
Streit und Springer-Anpassung. Wer hier alles glattzieht, bekommt zwar ein
sauberes Narrativ, aber keine brauchbare Analyse.
Der Ton des
Textes ist kein Sturm, sondern ein kontrolliertes Gewitter. Die Blitzschläge
treffen gezielt, vor allem dort, wo Zelik die Selbstkritik der Partei als
„Anpassung“ abtut und jede Distanzierung vom solid-Beschluss als Kotau vor der
Springer-Presse deutet. Diese Projektion ersetzt politische Differenzierung
durch Feindbildpflege – ein Reflex, den Zelik klug genug sein müsste zu
durchbrechen, aber bequem genug bleibt, ihn zu bedienen.
Hoffs Text
ist kein Schlusswort, sondern ein Einspruch – mit Konsequenz, aber ohne
Schlusspunkt. Er fordert nicht Konformität, sondern begründeten Dissens. Und er
erinnert daran, dass der Maßstab linker Politik nicht die Lautstärke ihrer
Feinde, sondern die Genauigkeit ihrer eigenen Analyse ist.
Im Vergleich
zu Zelik ist Hoff vielleicht weniger visionär – aber klarer. Weniger begeistert
– aber genauer. Und: näher an der Geschichte, die die deutsche Linke nicht
loswird, auch wenn sie sich gern als Teil einer internationalen Bewegung
inszeniert, die mit dieser Geschichte nichts zu tun haben will.
Wenn linke
Politik mehr sein soll als die Verwaltung moralischer Affekte, muss sie sich
der Spannung stellen, die Hoff beschreibt: Kritik an Besatzung ohne Ausblendung
jüdischer Existenznot. Verteidigung palästinensischer Rechte ohne
Romantisierung regressiver Kräfte. Das ist kompliziert, ja. Aber wer es
einfacher will, bekommt keine Klarheit – sondern bloß Parolen.
Hoffs Replik ist ein Beispiel für linken Streit auf hohem Niveau – nicht
jenseits der Ideologie, sondern in bewusster Konfrontation mit ihren Fallen.
Wer linke Politik nicht als liturgischen Akt, sondern als kritische Praxis
begreift, wird diesen Text nicht überlesen.
