Klares Eintreten gegen Antisemitismus - Zur Gemeinsamen Stellungnahme zu den Vorkommnissen beim Bundeskongress der Linksjugend ['solid]

TL;DR: Klares Eintreten gegen Antisemitismus: Die BAG Shalom erinnert daran, dass Antisemitismus auch von links kommt – und nicht durch antikoloniale Rhetorik entschuldigt werden darf. Eine nötige Stellungnahme.

 

Eine Analyse zur Stellungnahme der BAG Shalom – über Antisemitismus, linke Verantwortung und die Grenzen revolutionärer Rhetorik.

Eine Verteidigung der gemeinsamen Stellungnahme der existierenden LAGs (Bayern, Berlin, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen) der BAG Shalom der Partei Die Linke

Wer sich empört, hat selten recht – wer dagegen argumentiert, hat immerhin die Chance dazu. Die „Gemeinsame Stellungnahme“ der LAGs der BAG Shalom zur Linksjugend ['solid] ist kein Manifest des Aufräumens, sondern der Aufrichtung. Sie will nicht spalten, sondern erinnern: an Grundwerte, an Geschichte, an die Zumutungen linker Verantwortung.

Ein Text mit Rückgrat

Es gehört Mut dazu, in einer Partei, die sich dem Antifaschismus verschrieben hat, gegen Antisemitismus auch dann das Wort zu erheben, wenn er in der Sprache der Menschenrechte daherkommt. Die Verfasser:innen der Stellungnahme tun genau das – mit bemerkenswerter Klarheit. Sie beobachten keine theoretische Verirrung, sondern berichten von realen Vorkommnissen: Ausgrenzung, Einschüchterung, organisierte innerparteiliche Verhärtung. Wer das erlebt, darf sprechen. Und wer spricht, darf fordern.

Dass die Autor:innen daraus keine moralische Abrechnung, sondern einen strukturellen Vorschlag entwickeln – inklusive Bildungsarbeit, Schutzmechanismen und politischer Klärung – verdient Respekt. Hier wird nicht gebrüllt, sondern gebaut. Hier wird nicht verbannt, sondern verlangt: ein Ernstnehmen dessen, was in linken Kontexten zu oft verdrängt wird – dass Antisemitismus nicht nur von rechts kommt und dass der Holocaust kein diplomatischer Joker ist, sondern historische Verpflichtung.

Was diese Stellungnahme stark macht

  • Sie benennt Antisemitismus, ohne ihn zu banalisieren. Kein inflationärer Alarmismus, sondern konkrete Beschreibung eines Eskalationsverlaufs – parteiintern beobachtet, politisch eingeordnet.
  • Sie verweigert sich der Entweder-Oder-Moral. Es geht nicht um die Wahl zwischen Palästina oder Israel, sondern um die Unmöglichkeit, Antisemitismus mit antikolonialer Phrase zu kaschieren.
  • Sie schlägt Verfahren vor, statt Feinde zu erklären. Bildungsarbeit, klare Standards, innerparteiliche Konsequenzen – das ist nicht autoritär, das ist notwendig.

Ihre Schwächen – und ihre Grenzen

Man hätte sich mehr Präzision gewünscht in der Auseinandersetzung mit dem konkreten BuKo-Beschluss. Die Formel „geschichtslos“ ist scharf, aber unscharf. Welche geschichtlichen Blindstellen liegen konkret vor? Was genau stört an den Begriffen „Genozid“, „Apartheid“, „Rückkehrrecht“ – außer dass sie falsch gesetzt sind?

Auch die Forderung nach Distanzierung bleibt in Teilen formalistisch. Man muss sich nicht in jeder Lage distanzieren, um sich zu positionieren. Parteiinterne Auseinandersetzung sollte Widerspruch zulassen – auch an der Linie. Kritik ist keine Gefahr, sie ist ihre Probe.

Am auffälligsten jedoch: Der palästinensische Blick taucht nicht auf. Nicht als Feind, aber auch nicht als Gesprächspartner. Das ist kein Verrat, aber ein Mangel.

Was steht auf der Gegenseite?

Der Beschluss der Linksjugend ['solid] vom 1. November 2025 trägt einen großen Titel:
„Nie wieder zu einem Völkermord schweigen.“

Man kann diesen Text als Befreiung lesen. Als Aufbruch in eine klarere, konfrontativere, mutigere Haltung zur israelischen Politik. Man könnte – wenn man bereit wäre, historische Maßstäbe abzulegen und politische Begriffe umzudrehen.

Doch wer „Genozid“ ruft, während Hamas-Raketen ignoriert und antisemitische Massaker als 'Wiederstand' verklärt werden, steht nicht auf der Seite der Unterdrückten – sondern auf der falschen Seite der Geschichte. Wer vom „kolonialen Charakter“ Israels spricht, ohne dessen Entstehung aus Shoah, Exil und Pogromen zu benennen, betreibt Rhetorik, nicht Analyse.

Und wer von allen Verbandsmitgliedern verlangt, diese Sichtweise öffentlich zu vertreten, errichtet keine pluralistische Bewegung – sondern ein Meinungsregime.

Dieser Text ist kein Beschluss – er ist ein Bekenntnis. Und Bekenntnisse dulden keine Grautöne. Wer nicht zustimmt, stört. Wer stört, muss gehen. Demokratie, so formuliert, wird zur Disziplin. Internationalismus zur Ausschlussformel.

Die Stellungnahme der BAG Shalom erinnert daran: Es geht um Schutz, nicht um Säuberung. Um Debatte, nicht um Dekret. Wer das nicht sieht, hat den Unterschied zwischen Kritik und Kampf verloren.

Der Jugendverband verwechselt Opposition mit Oppositionismus. Was als Emanzipation gefeiert wird, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als regressives Weltbild: ein Staat (Israel) als Übel, ein Bündnis (der Westen) als Täter, ein Volk (Palästina) als Erlöser. Wer so schlicht denkt, sollte keine komplexen Konflikte beschreiben.

Die Stellungnahme der BAG Shalom ist keine Antwort auf alles – aber sie ist eine notwendige Replik. Nicht weil sie alles richtig macht, sondern weil sie an das erinnert, was zu schnell untergeht: Dass linke Politik nicht im Zorn beginnt, sondern in der Verantwortung. Und dass der Holocaust nicht als Folie herhalten darf, wenn es gerade passt – sondern als Mahnung gilt, auch dann, wenn es unbequem wird.

Sie spricht nicht für die Wahrheit. Aber sie spricht für eine Grenze. Und die muss es geben – auch in der radikalsten Linken.

Denn wer den Antisemitismus duldet, um gegen Kolonialismus zu kämpfen, hat beides verloren: die Geschichte und die Zukunft.

Gemeinsame Stellungnahme der existierenden LAGs (Bayern, Berlin, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen) der BAG Shalom der Partei Die Linke

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