Mit Mut zur Dummheit – Kommentarspalte mit Beigeschmack
TL;DR: Karoline Preisler wird für Zivilcourage geehrt. Die Reaktionen in den Kommentarspalten zeigen: Wer Antisemitismus als Kritik tarnt und Täter-Opfer-Verhältnisse verdreht, ist Teil jenes Problems, das Preisler mit Mut im Angesicht des Hasses sichtbar macht.
Karoline Preisler erhält den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage – das ist keine Schlagzeile, sondern ein Seismograph. Nicht für ein Beben der Vernunft, sondern für das, was darunter liegt: die Kommentarspalte. Und dort, wie so oft in deutschen Digitalgruben, ein leises Grollen aus dem ideologischen Grundwasser. Wer hineinhört, hört nicht Argumente, sondern Erregung, nicht Kritik, sondern Kränkung in Tarnkappe.
Leo Klauda etwa sieht einen „zweiten Genozid durch Israel“, angeblich mit der Segnung des Zentralrats der Juden in Deutschland. Man könnte antworten, dass Vergleiche helfen, Gleichsetzungen aber lügen. Doch warum, wenn Klauda selbst bereits einen zweiten Holocaust ortet – vom Schreibtisch aus, in bequemem Tonfall moralischer Überlegenheit, als sei die Shoa ein rhetorischer Baukasten, mit dem man die eigene Empörung zementiert. Der „Missbrauch der Opfer“ findet nicht in Jerusalem statt, sondern in Kommentaren wie diesen.
Ein paar Klicks weiter: „Auch nur eine NationalZionistin!“, meint Thilo Schneider. Der Satz ist so sparsam wie sein Gedanke. Er trägt zwar Uniform, aber keine Struktur. Schneider will wohl kritisieren, was er für eine einseitige Parteinahme hält – trifft aber nur sich selbst, in der Selbstoffenbarung eines Vokabulars, das klingt wie ein Zitat aus dem Wörterbuch der antisemitischen Moderne. Ein politisches Urteil ohne Kontext ist wie ein Schuss ohne Ziel – nur lauter.
Mahmoud Abdel-Hafiz aber – das ist kein Schuss, das ist Artillerie. Eine „morallose Bande von zionistischen Landräubern“, die wahren Terroristen, schlimmer als die Nationalsozialisten – so sein Text, so sein Denken, so auch sein Problem. Wer sich einen Genozid herbeiwünscht, um ihn gleichzeitig zu beklagen, hat weniger ein moralisches als ein logisches Defizit. Wenn die Shoa zum „Bruchteil“ dessen wird, was Israel angeblich anrichte, dann spricht hier keine Stimme für Palästina, sondern nur gegen die Juden – unter dem Deckmantel der Empathie.
Und dazwischen die altbekannte Rhetorik der Ausgewogenheit:
„Engagiert sie sich auch für Frauen und Kinder auf palästinensischer Seite?“ fragt Carsten Hoffmann. Die Antwort lautet: Ja. Aber was hat das mit der Auszeichnung zu tun? Dieselbe Frage an Hoffmann: Engagiert er sich auch für zivile Opfer jenseits seiner Kommentarreichweite? Es ist die Dialektik des Digitalen: Wer nichts tut, kommentiert am lautesten, wer was tut, wird angeklagt, nicht genug getan zu haben.
Sandro Fitzgerald ergänzt das Bild, nennt Preisler eine Lügnerin, zitiert „40 enthauptete Babies“ – nicht, um etwas aufzuklären, sondern um etwas zu entwerten. Seine Strategie ist bekannt: Wer schreit, hat selten recht, aber oft viele Likes. Fitzgerald hat nicht recherchiert, sondern sich empört – mit dem kalkulierten Furor des Hobbyenthüllers.
„Bla bla“, schreibt Billy Yetisen. Und man möchte fast danken. So ehrlich war kein anderer.
Doch halt – auch aus dem Nebel tönt Skepsis, als Frage verkleidet: „Ob Paul Spiegel das befürwortet hätte?“ fragt Radu Miriam. Vielleicht hätte er. Vielleicht hätte er sich aber auch gefragt, warum Zivilcourage in Deutschland immer dann verdächtig wird, wenn sie dem Antisemitismus widerspricht – gleich, ob alt, neu, rechts, links, importiert oder selbst gezüchtet.
Was bleibt? Keine Facebook-Debatte, sondern eine digitale Momentaufnahme des deutschen Gesellschaftskörpers. Wenn Antisemitismus die Krankheit ist, sind diese Kommentare das Fieber. Nur dass viele schon vergessen haben, dass man es behandeln müsste.
Preisler bekommt einen Preis für Zivilcourage. Skandalös ist nicht die Auszeichnung – wie viele in den Kommentarspalten meinen –, sondern dass man sich in Deutschland, 80 Jahre nach Auschwitz, noch immer gegen Stimmen behaupten muss, die Antisemitismus für eine Meinung halten