Zum Interview „Quo Vadis BSW – wohin steuert Ihre Partei, Frau Wagenknecht?“ auf dem YouTube-Kanal von Flavio von Witzleben
TL;DR: Ein Wagenknecht-Monolog als Audienz, verkauft als Interview: Witzleben fragt, um nicht zu stören, Wagenknecht spricht, um sich selbst zu bestätigen. Kritik am BSW wird zur Kampagne erklärt, die „Brandmauer“ zum Glücksfall der AfD umgelogen.
Es gibt Interviews, die wollen Erkenntnis, andere wollen Ergebenheit. Dieses hier will allem Anschein nach: nichts. Witzlebens Gespräch mit Sahra Wagenknecht, veröffentlicht auf einem Kanal mit 115.000 Abonnenten, ist ein Stück politisches Nicht-Fernsehen auf YouTube, ein Diskussionsrest, der sich als Streitgespräch tarnt, aber nicht einmal Dialog ist. Nicht, weil man sich anschreit – sondern weil man sich versteht. Zu gut.
„Ich freue
mich, dass es endlich geklappt hat“, sagt der Interviewer zu Beginn, und man
ahnt: Das wird kein Gespräch, sondern eine Audienz am Hofe Wagenknecht „in
ihrer Heimat im schönen Saarland in der Hauptstadt in Saarbrücken“ (von
Witzleben gleich in der Einleitung). Die Fragestellung ist höflich, die Haltung
andächtig. Auf „Polarisierung“ folgt gleich das Pflaster: „Hoffnungsträgerin
für viele“, sagt Witzleben – als sei Hoffnung eine politische Kategorie. Oder
wenigstens ein Argument.
Doch
Wagenknecht ist nicht gekommen, um zu widersprechen. Sie ist gekommen, um zu
erklären, dass sie im Grunde recht hatte – und alle anderen Unrecht. Dass 2,5
Millionen Stimmen nicht reichen, wenn die Demokratie sich unwillig zeigt. Und
dass Koalitionen schaden, wenn man nicht vorher gefragt hat, ob sie nützen. Es
ist das alte Lied von der Reinheit der Opposition und der Verderbtheit der
Macht – nur dass Wagenknecht nicht singen kann und Witzleben nicht zu
unterbrechen wagt.
„Die AfD hat das große Glück, mit dieser Brandmauer belegt zu sein.“
„Die Art,
wie wir es gemacht haben, war falsch“, räumt Wagenknecht ein, aber fügt
sogleich hinzu: „Die AfD hat das große Glück, mit dieser Brandmauer belegt zu
sein.“ Glück also. Nicht Faschismus, nicht politische Hygiene, sondern eine
strategische Fügung. Brandmauer als Marketingnische – eine jener semantischen
Umkehrungen, die sich bei Wagenknecht häufen, wenn die Politik zur Pose
schrumpft.
Dass der
Wahlniederlage ein struktureller Mangel vorausging, wird gleichwohl nicht
geleugnet. Aber auch nicht durchdacht. Es fehlen Mitglieder, Medien, Mittel –
aber was am meisten fehlt, ist politischer Begriff. Statt Analyse gibt es
Anekdoten, statt Ideologie Kritik an deren Simulation: „Wir haben keine
ordentliche Social Media Abteilung gehabt“, sagt sie. Vielleicht hätte eine
halbe genügt, wenn man eine ganze Partei gehabt hätte.
Witzleben
hakt selten ein. Wo das Gespräch scharfkantig werden müsste, glättet er. Wo
Widerspruch nötig wäre, nickt er. Statt die Position des BSW zur AfD als das zu
entlarven, was sie ist – der Versuch, Nähe durch Abgrenzung unkenntlich zu
machen – lässt er Wagenknecht mit der Formulierung davonkommen, man dürfe die
Wähler der AfD nicht „verachten“. Richtig. Aber man darf sie auch nicht als
Träger berechtigter Wut romantisieren, um deren Stimmen zu recyclen.
„Es ist eine Ohrfeige für die Menschen, die AfD wählen, wenn man mit dieser Partei nicht spricht“
„Es ist eine
Ohrfeige für die Menschen, die AfD wählen, wenn man mit dieser Partei nicht
spricht“, so Wagenknecht. Das ist kein politischer Satz, sondern ein
pädagogischer. Und ein billiger dazu. Als würde man aus der Tatsache, dass es
Nazis gibt, ableiten, dass man ihnen zuhören müsse.
Dabei
offenbart sich im Gespräch ein tiefes Missverständnis des parlamentarischen
Prinzips: Wenn alle Repräsentanz verdienen, dann hat auch der Faschismus nur
auf sein Mandat zu warten. Wagenknecht hat offenbar nichts gegen das System –
solange sie drin ist. Ansonsten ist es „absurd“, „verzögert“, „eine Art Mafia“.
Der Bundestag wird zum Feindbild, das Verfassungsgericht zum letzten Bollwerk.
So spricht, wer verloren hat, aber nicht verlieren will – und darin vielleicht
tatsächlich repräsentativ ist für einen Teil der deutschen Rechten. Auch wenn
sie sich links nennt.
Flavio von
Witzleben wirkt dabei wie ein Stichwortgeber ohne Methode. Statt nachzufragen,
warum ein Gespräch mit Höcke „völlig richtig“ gewesen sein soll, überlässt er
das Feld der Selbstrechtfertigung. Statt zu klären, wie sich der Begriff
„Friedenspartei“ mit dem Konzept „Untersuchungsausschuss mit der AfD“ verträgt,
lächelt er das Thema durch. Die kritischen Fragen zur BSW-Kultur – autoritär,
misstrauisch, „Maulkorb“ – werden verlesen, nicht verfolgt.
Wagenknecht:
„Wenn man nicht weiß, wie man einen Kämmerer auswählt, dann kann man keine
Partei aufbauen.“
Ein schönes Bild. Man könnte auch sagen: Wer keinen politischen Begriff von
Krieg, Kapitalismus und Koalition hat, sollte vielleicht keine Partei führen.
Dass der
Interviewer Wagenknecht zuletzt „viel Erfolg“ wünscht, ist konsequent. Man
wünscht ja auch dem Wetter besseres Wetter. Journalistisch ist es ein Offenbarungseid:
Wer sich selbst als Bühne für politische Bewegungen anbietet, darf sich nicht
wundern, wenn das Ergebnis kein Gespräch, sondern ein Monolog mit Applaus ist.
Dass Witzleben im Verlauf des Interviews mehrfach betont, wie viele Leute ihm
vorab Fragen geschickt hätten, hilft da wenig. Der demokratische Reflex bleibt
Simulation.
Fazit: Ein
Gespräch, das keine Spannung sucht und keine Differenz aushält. Ein Interview,
das Fragen stellt, um keine Antworten zu hinterfragen. Und eine Politikerin,
die Kritik verwechselt mit Kampagne, Medien mit Gegnern und Stimmen mit
Legitimation. Was bleibt, ist verbrannte Erde. Nicht nur in der Außenpolitik,
sondern auch im Diskurs.