Die Straße ruft und Elon Musk antwortet
TL;DR: Von Whitehall nach rechts außen: Am 13. September 2025 versammelten sich über 100.000 Menschen im Zentrum Londons – nicht, um zu demonstrieren, sondern um zu applaudieren. Für einen Aufruf zur Gewalt. Für einen Umsturz. Für Elon Musk.
Eine Massenkundgebung vorgeblich für die
Meinungsfreiheit – mit Gewalt, Ideologieexport und politischer Zumutung. Wie
aus dem Zentrum Londons am 13.9 ein rechtsextremer Resonanzraum wurde
110.000
bis 150.000 Teilnehmer zählte die Metropolitan Police bei einer als „Festival
der freien Meinungsäußerung“ getarnten Mobilisierung der extremen Rechten.
Aufgerufen hatte der mehrfach verurteilte britische Aktivist Tommy Robinson (britischer
islamfeindlicher Aktivist und einer den bekanntesten rechtsextremen Akteuren in
Großbritannien. Er ist Gründer und ehemaliger Leiter der English Defence League
(EDL)), inhaftiert wegen Körperverletzung, Drogenbesitz, Verstoß gegen
Terrorgesetze – freigelassen kurz vor dem Event, das sein Comeback zur Bewegung
machen sollte.
Das Datum: Samstag, der 13. September. Der
Ort: Whitehall, London. Der Anlass: angeblich der Mord an dem US-Influencer
Charlie Kirk – tatsächlich aber ein geopolitischer Schulterschluss der
internationalen Rechten, live übertragen, inszeniert mit Fahnen, Gebeten,
Parolen. Die Bühne: geteilt mit Eric Zemmour, Ezra Levant, Petr Bystron, EvaVlaardingerbroek und – per Video – Elon Musk. Die Botschaft: Rückwanderung,Rückeroberung, Regierungswechsel.
„Die Gewalt wird zu euch kommen“
In seiner zugeschalteten Rede warnte Musk:
Es war nicht der erste, aber der deutlichste
Moment, in dem der reichste Mann der Welt vom Tech-Milliardär zum politischen
Brandbeschleuniger überging. Seine Forderung: Auflösung des britischen Parlaments.
Seine Diagnose: Ein Land im Zustand des Verfalls, überrollt von Migranten,
verraten von der Regierung. Seine Lösung: „Revolutionärer Regierungswechsel.“
Er sprach nicht zu einer radikalisierten
Minderheit, sondern zu Zehntausenden – in einem Land, das sich offiziell auf
demokratische Wahlen vorbereitet. Doch was hier ankam, war keine Wahlwerbung.
Es war ein rhetorischer Ausnahmezustand.
Während
Musk zur „Selbstverteidigung“ aufrief, attackierten Robinsons Anhänger
Gegendemonstranten, die von der NGO Stand Up to Racism mobilisiert worden waren. 5.000
Menschen stellten sich den Rechten entgegen – mit
Transparenten, Sprechchören, mit ihrer Präsenz. Die Reaktion: Faustschläge,
Flaschenwürfe, versuchte Durchbrüche der Polizeibarrikaden.
Die Bilanz: 26 verletzte Polizisten, vier
davon schwer. 24 Festnahmen. 1.000 Beamte im Einsatz, einige in
Kampfausrüstung. Ein Sprecher der Metropolitan Police sprach von einem „sehr
herausfordernden Tag“. Innenpolitisch war es mehr als das: ein Test, wie weit
das Sagbare – und das Machbare – sich verschoben hat.
Robinson,
der sich neuerdings Stephen Lennon nennt und als Vertreter eines katholisch-nationalistischen
Fundamentalismus inszeniert, sprach von „Millionen“
Teilnehmern. Tatsächlich: ein Fünftel davon. Trotzdem – oder gerade deshalb –
war es die größte rechtsextreme Kundgebung seit Jahrzehnten in Großbritannien.
Eine, bei der nicht
nur die Zahl der Teilnehmenden zählte, sondern deren Herkunft:
Einwanderungsfeindliche
Aktivisten aus Deutschland, Irland, Belgien, Polen, Frankreich, Spanien.
Der Mythos der „Remigration“
als transnationales Narrativ. Die Bühne als geopolitisches Mikrofon.
„Wir
erleben den gleichen Prozess des Austauschs unserer europäischen Völker durch
Völker aus dem Süden und aus muslimischen Kulturen. Sie und wir werden von
unseren ehemaligen Kolonien kolonisiert. Sie und wir wollen auf unserem eigenen
Boden keine Minderheit werden. Wir haben die Pflicht, gemeinsam zu kämpfen.“,
sagte der französische Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour – ein Satz, der
sich nicht nur auf London bezog. Es war ein globaler Appell – zur
ethnonationalistischen Einheit gegen eine angebliche „Kolonisierung“
Europas durch den globalen Süden.
Religiöse Reinigung als politische Forderung
„Dies
ist ein Religionskrieg“, rief Brian Tamaki, Pastor der Destiny Church aus
Neuseeland. Er forderte:
„Verbot
jeder öffentlichen Äußerung anderer Religionen in unseren christlichen Ländern.“
Was andernorts als Hassrede strafbar ist,
wurde in Whitehall bejubelt. Tamaki forderte ein Verbot von Moscheen, Tempeln,
Halal-Produkten, Burkas. Und die palästinensische Flagge wurde auf der Bühne
zerrissen – unter Applaus.
Die Grenze zwischen Kulturkampf und
politischer Gewalt war da längst überschritten. Sie wurde nicht nur verbal,
sondern physisch markiert.
Elon
Musk erklärte: „Die
Linke ist die Partei des Mordes.“ Dass es rechte Aktivisten waren, die mit
Eisenstangen auf Polizisten einschlugen – geschenkt. Dass die Regierung Starmer
seit einem Jahr die Zuwanderung halbiert hat – irrelevant.
Fakten, so scheint es, sind in dieser Debatte
nur noch Verkleidung. Was zählt, ist die Wirkung. Und Musk versteht Wirkung –
auch wenn er dafür demokratische Institutionen zur Disposition stellt.
Er bezeichnete London als „Höllenlandschaft“
und „nicht
mehr britisch“. Dass viele dieser Aussagen nachweislich falsch oder
verzerrt sind, störte ihn nicht. Wichtiger war der performative Widerspruch:
Selbst radikale Meinungsäußerung im Namen der Meinungsfreiheit zu fordern –
während man anderen das Rederecht absprechen will.
Nur
einen Tag vor der Demo tauchten Clips des Twitch- Streamers HasanAbi
auf, in denen er – satirisch überzogen oder nicht – zu Gewalt gegen politische
Gegner aufrief. Musk griff die Ausschnitte auf, sprach von „Aufstachelung zum
Mord“ und forderte Sperrung.
So verschob sich der Diskurs: von
tatsächlicher rechter Gewalt im Zentrum Londons – hin zur Empörung über linke
Provokation im digitalen Raum. Die Gleichsetzung: durchschaubar. Die Wirkung:
verhängnisvoll.
Ob
aus Kanada (Ezra Levant), Frankreich (Zemmour), den Niederlanden
(Vlaardingerbroek) oder Neuseeland (Tamaki): Die Gäste auf Robinsons Bühne
teilten eine Agenda. Islamfeindlich,
demokratiefeindlich, migrationsfeindlich – aber keineswegs chaotisch.
Hier wächst zusammen, was sich in
Telegram-Gruppen radikalisiert, auf YouTube monetarisiert und auf öffentlichen
Plätzen mobilisiert. Die Veranstaltung in London war keine Ausnahme. Sie war
ein Exempel – und ein Exportmodell.
Großbritannien
steht vor Wahlen. Was bleibt, ist eine Öffentlichkeit, die sich fragen muss, ob
sie bereit ist, der Normalisierung rechtsextremer Politik zuzusehen. Ob sie
zulässt, dass Begriffe wie „Meinungsfreiheit“ zur Fassade für Umsturzfantasien
werden. Und ob sie es hinnimmt, dass Menschen wie Elon Musk ihre Plattformen
nutzen, um mit rhetorischer Gewalt gesellschaftliche Gewalt zu legitimieren.
„Entweder Sie wehren sich oder Sie sterben.“
Das war keine Metapher. Es war eine Drohung.
Und sie wurde von Zehntausenden beklatscht.