Wenn Solidarität gelernt werden soll, ist die Frage erlaubt, wer lehrt, wer prüft – und was durchfällt.
TL;DR: Solidarität, die dort endet, wo Jüdische Menschen beginnen, hat ihren Namen verloren. Kranenbergs Text berichtet vom Angriff, doch statt Klarheit folgt Ausweichen. Viel Camp-Rhetorik, wenig Haltung. Der Ernstfall wurde benannt – und übergangen.
Zu: „Solidarität lernen in Zeiten der Klimakrise“ von Charlotte Kranenberg, taz, 25.05.2025
Der Artikel von Charlotte
Kranenberg möchte über ein Camp berichten, das sich als Schule der Solidarität
begreift – und gerät dabei selbst in eine Probe aufs Exempel. Er dokumentiert,
was geschehen ist: Der Angriff auf jüdische Gegendemonstrant*innen, rote Farbe,
Geiselbilder im Müll, antisemitische Parolen – die Polizei bestätigt. Und doch
bleibt, was folgt, auffallend sprachlos.
Was
wie eine offene Darstellung beginnt, kippt nach wenigen Absätzen in eine Art
rhetorisches Ausweichmanöver. Der Bericht nimmt den Vorfall auf – um ihn gleich
wieder im Dickicht des Positiven verschwinden zu lassen. Kaum ist der
Farbbeutel erwähnt, öffnet sich die bunte Welt der Zelte, Workshops und
Strategiedebatten. Die moralische Bruchstelle wird umrundet, nicht
durchdrungen. Es ist, als hätte man den Brandherd lokalisiert – um sich dann
doch wieder lieber der Ausstattung des Gebäudes zu widmen.
Kranenberg
schreibt von „Verlernen und Neuorientierung“, zitiert Aktivist*innen, die
Strategien überdenken und Geschichte „machbar“ machen wollen. Doch der Text
stellt nicht die Frage, was es über eine Bewegung aussagt, wenn das Entfernen
von Bildern entführter Geiseln als akzeptierte Praxis erscheint. Wenn
Solidarität dort endet, wo Jüdinnen und Juden beginnen. Der Verweis auf interne
Debatten bleibt vage, ohne Akteure, ohne Konsequenz. So klingt Pluralismus,
wenn er zur Ausrede wird.
Es
ist nicht so, dass der Text lügt. Er rechnet nur anders. Den antisemitischen
Angriff bucht er als mediales Problem ein – nicht als politisches. Dass die FAZ
vom „Camp der Schande“ spricht, wird erwähnt, aber nicht reflektiert. Dass es
keine Distanzierung der Veranstalter gibt, kein Zitat, keine Entschuldigung,
kein Ausschluss – scheint der Erwähnung nicht wert. Das Verhältnis von Tat zu
Reaktion bleibt asymmetrisch.
Stattdessen:
300 Veranstaltungen, Diskurse zu Antifaschismus, Klimakollaps, Organizing. Viel
Programm, wenig Prüfung. Wer Geschichte „machbar“ machen will, sollte zunächst
anerkennen, was Gegenwart unverhandelbar macht. Der antisemitische Angriff war
kein Betriebsunfall, sondern ein Prüfstein. Dass man ihn nicht besteht, liegt
nicht am Format – sondern an der Haltung.
Am
Ende tanzt das Camp. Die Leichtigkeit der Nacht wird inszeniert als Kontrast zu
den Tagesthemen. Doch es wirkt wie ein Fehlschluss: Als ließe sich
gemeinschaftliches Tanzen gegen politische Blindstellen aufwiegen. Die Szene im
Zirkuszelt steht nicht für Hoffnung, sondern für das, was überhört wurde.
Kranenbergs Text verfehlt nicht die
Wirklichkeit – aber er verfehlt ihren Ernst. Die Solidarität, von der er
spricht, bleibt dort folgenlos, wo sie sich hätte bewähren müssen. Und damit
verliert sie ihren Namen.