Wenn der Antizionismus den Antifaschismus frisst – Notizen zur Selbstverzwergung einer Partei
TL;DR: Ein Antisemitismusbeauftragter, der sich gegen Antisemitismus stellt, ist der Partei Die Linke offenbar nicht zuzumuten. Büttners eigentlicher Fehler: Er verteidigt Israel – nicht moralisch korrekt genug, nicht sprachlich weichgespült genug. Die Empörten verwechseln internationale Solidarität mit selektivem Furor und werfen mit „Vernichtungspolitik“, als sei Auschwitz eine brauchbare Metapher für Gaza. Wer Differenzierung wagt, wird parteipolitisch desinfiziert – per Antrag, versteht sich, man bleibt ja korrekt. Was als linke Selbstreinigung daherkommt, ist das übliche Reinigungsritual ideologischer Reinheit. Man schützt Palästina vor Israel, aber nicht sich selbst vor dem eigenen Verfall. Dass dabei der Antifaschismus mit entsorgt wird – Kollateralschaden.
Ein Antrag also.
Parteiausschluss. Drastisch, aber – wie es aus der Schreibstube der selbsternannten
Basis heißt – unausweichlich. Dort fühlt man sich offenbar von weltgeschichtlicher
Sendung beseelt und deshalb berufen, den Brandenburger
Antisemitismusbeauftragten Andreas Büttner aus der Partei Die Linke zu
exkommunizieren. Die Begründung, veröffentlicht auf Etos Media, liest sich wie das Protokoll einer
ideologischen Tribunalsitzung: mit dem missionarischen Eifer jener, die
politische Komplexität durch moralische Eindeutigkeit ersetzen wollen.
Man wirft Büttner vor, was er
sagt. Und, sicherheitshalber, auch das, was er nicht sagt – oder nicht in dem
Ton, den die Bewegungsorthodoxie vorschreibt. Dass er die israelische Annexion
der Golanhöhen nicht als Sakrileg geißelt, sondern als historisches Faktum
benennt? Unzumutbar. Dass er sich erlaubt, auf das Völkerrecht zu verweisen,
anstatt ausschließlich auf den innerparteilichen Katechismus vom 29. Januar
2024? Unerträglich.
Doch die eigentliche Anklage
lautet anders. Sie lautet: Er verteidigt Israel. Und das – wir kennen das
Libretto – „gegen“ Palästina, „gegen“ die internationale Solidarität, „gegen“
den antifaschistischen Konsens der Bewegung. Dass diese Solidarität längst zur
Einbahnstraße geworden ist und regelmäßig dort endet wo geschwiegen oder
Klammheimlich gejubelt wird, wo Raketen auf israelische Zivilisten fallen,
scheint die Empörungsästheten nicht weiter zu stören.
„Vernichtungspolitik“, steht
da. Als seien der deutsche Vernichtungskrieg im Osten und die Massaker der
Wehrmacht plötzlich brauchbare Vergleichsfolie zur Bewertung israelischer
Luftangriffe auf Hamas-Stellungen. Die Autor*innen bedienen sich einer Sprache,
die mit moralischer Brisanz operiert und das Denken mit Dunst aus Schuld,
Betroffenheit und Volkstribunal zudeckt. Wer derartige Vokabeln nutzt, betreibt
keine Aufklärung, sondern betreibt – bewusst oder billigend – die Relativierung
des Unvergleichbaren.
Wo einst „Nie wieder“ hieß: nie
wieder Auschwitz, heißt es heute: nie wieder irgendwas – solange es nicht den
eigenen Empörungskanon stört. Dass Antisemitismus auch ohne Braunhemd auftreten
kann, und zwar mit Free-Palestine-Schal und Tweetdeck, bleibt in diesem
Weltbild außen vor.
Büttner wird nicht wegen
Falschbehauptungen verfolgt, sondern wegen Haltungen. Haltungen, die den
Verdacht der Nähe zur Staatsräson wecken. Ein Begriff, der in diesen Kreisen
weniger mit dem Schutz jüdischen Lebens assoziiert wird als mit Kapitulation
vor dem Imperialismus. Wo politische Analyse nötig wäre, regiert das ideologische
Kammerspiel.
Man wünscht sich eine
gereinigte Partei. Eine linke Bewegung ohne Schmutz. Ohne den Dreck der
Realität, in dem sich auch Hamas, UN-Resolutionen und IDF-Luftangriffe bewegen.
Wer das nicht mitspielt, wird hinauskomplimentiert. Selbstverständlich
demokratisch – per Antrag, wie es sich gehört.
Am Ende steht die Pointe, deren
Tragik man nicht übersehen sollte: Der Antisemitismusbeauftragte soll
ausgeschlossen werden – weil er sich gegen Antisemitismus stellt. Weil er wagt,
einen demokratischen Staat zu verteidigen, der von Islamisten und Raketen
zugleich bedroht wird. Weil er die UN-Resolution 497 nicht für das letzte Wort
der Menschheit hält. Und weil er, unverschämterweise, den Nahostkonflikt nicht
als Theaterstück mit klar verteilten Rollen spielt.
Was hier als Verteidigung der
„Grundsätze der Partei“ verkauft wird, ist der Offenbarungseid einer Bewegung,
die den Unterschied zwischen Haltung und Häresie nicht mehr erkennt. Der Antrag
gegen Büttner ist kein Zeichen innerparteilicher Hygiene, sondern ein Symptom
intellektueller Verwahrlosung.
Wer in den Kategorien
„Vernichtungspolitik“ denkt, sollte weniger über Parteiausschlüsse und mehr
über politische Hygiene nachdenken. Moralischer Furor ersetzt keine Analyse –
und schon gar keine linke Politik.