Für die bayerische Linke sind an allem nicht mehr die Juden schuld – dafür aber die Zioniste
TL;DR: Für Mitglieder der bayerischen Partei Die Linke sind an allem nicht mehr die Juden schuld – dafür die Zionisten. Die Anträge A6 & A7 verwechseln Kritik mit Exorzismus, Opfer mit Tätern – und liefern Antisemiten das Argument: "Ihr Hass ist kein Hass, er ist Widerstand."
Zionismuskritik als ideologischer Offenbarungseid
Eine Kritik der Anträge A6 („Zionismus als Ethnonationalismus“) und A7 („Zionismus als Antisemitismus“) an den Landesparteitag der LINKEN Bayern – im Geiste kritischer Linker.
Antrag A6 – „Zionismus
als Ethnonationalismus“ – und Antrag A7 – „Zionismus als Antisemitismus“
– markieren nicht den Aufbruch, sondern den Absturz. Nicht Diskussion, sondern
Verhärtung. Nicht Erkenntnis, sondern Ersatzhandlung. Dass solche Papiere im
Namen einer Partei eingereicht werden, die sich selbst links nennt, sagt
weniger über Israel als über den Zustand der Antragsteller*innen.
Zionismuskritik
ist kein Tabu. Aber sie verlangt: Begriffsarbeit, Geschichtsbewusstsein,
Dialektik. Wer das alles verweigert, ersetzt Analyse durch Anathema. Der
Zionismus wird zur Ursünde, Israel zum permanenten Täter – und der
Nahostkonflikt zur Moralphantomatik deutscher Selbstvergewisserung.
Zielrichtung: Jenseits legitimer Kritik
A6: Zionismus als Ethnonationalismus
Der Einstieg
lautet:
„Der
Landesparteitag stellt fest, dass es sich bei Zionismus um eine
ethnonationalistische Ideologie handelt, mittels derer der Apartheidsstaat
Israel einen Genozid an den Palästinenser*innen verübt.“
Man stellt
nicht fest, man dekretiert. Genozid wird nicht untersucht, sondern behauptet.
Die Shoah? Kein Thema. Die Differenz zwischen politischen Systemen und
historischen Kontexten? Gleichgültig. Was zählt, ist die Geste moralischer
Totalität. Dass der Internationale Gerichtshof die Prüfung genozidaler Absicht
als offen lässt – nebensächlich. Die Antragsprosa kennt keine Vorläufigkeit,
nur Urteil.
A7: Zionismus als Antisemitismus
Der
politische Umkehrschluss in Reinform:
„Zionismus
ist eine antisemitische Ideologie, die wie alle Formen des Antisemitismus bekämpft
werden muss.“
Eine These,
deren Paradoxie nur von ihrer politischen Funktion übertroffen wird: Der
Schutzraum jüdischer Selbstbestimmung wird zur neuen Bedrohung erklärt. Die
Lehre aus Auschwitz – nie wieder Opfer – wird uminterpretiert in: Nie wieder
jüdischer Staat. Wer so argumentiert, erklärt nicht, er exorziert. Und
verliert das Verhältnis zur Realität.
Dass frühe
Zionisten rassistische Denkfiguren reproduzierten? Nicht zu bestreiten. Dass
daraus der Schluss folgt, Zionismus sei per se antisemitisch? Eine
Konstruktion, nicht Erkenntnis. Eine Umwertung, nicht Kritik.
Die Anträge
sind keine politischen Texte. Sie sind Exorzismen. Die Sprache: durchgehend
agitatorisch, oft messianisch.
„[...] wir
verurteilen dies und verpflichten uns, diese menschenverachtende Ideologie zu
bekämpfen.“
Man hört den
Gestus. Und vermisst das Argument. Analyse wird ersetzt durch Pathos. Die Welt
teilt sich in Täter und Opfer, und wer nicht schreit, macht sich mitschuldig.
Es fehlt die nüchterne Sprache der Aufklärung, der vorsichtige Begriff, die
politisch präzise Kategorie.
Israel
erscheint nicht als Staat unter Staaten, sondern als moralisches Zentrum des
Bösen:
„[...] der
ethnonationalistische Apartheidsstaat Israels [...]“
Regierung,
Gesellschaft, Opposition – eine monolithische Täterfigur. Antizionismus wird
hier nicht als Kritik an spezifischer Regierungspolitik formuliert, sondern als
Generalabrechnung. Damit wird nicht nur Israel entmenschlicht, sondern jede
jüdische Kollektivität verdächtig gemacht. Was fehlt, ist das linke Moment: die
Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten.
Holocaust als Requisit
Der
moralische Bankrott der Anträge zeigt sich besonders dort, wo jüdische Stimmen
zur Legitimation herangezogen werden:
„[...]
Auschwitz-Überlebender Gabor Maté nennt es Genozid.“
Die Shoah
erscheint nicht mehr als Mahnung, sondern als Beleg. Authentizität wird
funktionalisiert. Erinnerung wird verwertet. Das jüdische Leiden wird nicht
anerkannt, sondern instrumentalisiert. Es geht nicht um Gedenken, sondern um
politisches Kapital. Die Form bleibt: Zynismus unter humanistischem Deckmantel.
Zionismus =
Israel = Regierung = Apartheid = Genozid – so lautet die stillschweigende
Gleichung.
„Das
Nationalstaatsgesetz [...] macht die jüdische Kultur und Sprache zur alleinigen
Grundlage staatlicher Identität [...]“
Dass sich
daraus keine Apartheid, sondern ein (kritikwürdiger) ethnonationaler Akzent
ergibt – geschenkt. Was hier betrieben wird, ist moralische Abkürzung. Aus
komplexer Geschichte wird einfache Schuld. Wo politische Kritik geboten wäre,
regiert moralische Simplifizierung.
Was sich als
Antirassismus geriert, ist in Wahrheit: ideologische Regression. Was sich als
Kritik an Israel gibt, ist Abgesang auf politische Urteilskraft. A6 und A7
entlarven weniger den Zionismus als ihre Verfasser*innen – als ideologisch
Verhärtete, unfähig zur Ambivalenz, süchtig nach moralischer Eindeutigkeit.
Sie
verwechseln Antizionismus mit Humanismus, jüdische Selbstbehauptung mit
Unterdrückung, Erinnerung mit Anklage. Sie ersetzen politische Analyse durch
moralische Anrufung. Das Ergebnis: Eine linke Kritik, die weder kritisch noch
links ist.
Die Schuldumkehr – oder: Wie Opfer zu Tätern werden
Der zentrale
Satz in Antrag A7:
„Durch die
falsche Gleichstellung von Zionismus und dem Judentum und den Kriegsverbrechen
und dem Genozid, den der israelische Staat begeht, kommt es zu wachsenden
Fällen von Antisemitismus.“
Antisemitismus
– nicht mehr verursacht durch Antisemiten, sondern durch den Zionismus und
Israel. Eine Umkehrung, wie sie Theodor W. Adorno als sekundären
Antisemitismus beschrieb: „Man wirft den Juden Auschwitz vor.“ Hier heißt
es: Man wirft Israel Gaza vor – und erklärt antisemitische Gewalt zur
verständlichen Reaktion.
Wer so
argumentiert, entlastet Antisemiten, indem er sie zu Moralisten erklärt. Gewalt
gegen Jüdinnen und Juden wird nicht als antisemitisch erkannt, sondern als
politische Notwehr verstanden. Das ist mehr als semantische Verkehrung – es ist
politische Komplizenschaft.
Diese Logik
unterscheidet sich strukturell nicht von jenen konservativen Stimmen, die
Antisemitismus als „importiertes Problem“ darstellen. Dort wie hier wird das
Opfer zur Ursache erklärt. Dort wie hier wird Judenhass externalisiert. Dort wie
hier wird nicht erklärt – sondern verschoben.
Amos Oz
nannte Antizionismus den Versuch, „den Juden das Recht auf ihre
Nationalgeschichte zu verweigern – und damit genau das, was allen anderen als
selbstverständlich gilt.“
Wolfgang
Pohrt schrieb 1991:
„Der
Antizionismus ist die neue Ausdrucksform des Antisemitismus in der Linken. Er
erlaubt es, Juden zu hassen, ohne sich als Nazi zu fühlen.“
Jean Améry
sagte:
„Wenn
Auschwitz zum Argument gegen Israel wird, ist der Antisemitismus zurück –
getarnt als Moral.“
Und man
könnte ergänzen: Wenn Antizionismus zum Vehikel wird, um sich selbst vom
Antisemitismus freizusprechen, dann ist nicht nur das linke Denken beschädigt –
sondern die politische Urteilskraft selbst.
„Die
schärfste Kritik ist die, die sich selbst nicht ausnimmt.“
Die Anträge A6 und A7 nehmen sich nicht aus – sie setzen sich außerhalb.
Es ist nicht die Shoah, die vergessen wird.
Es ist das Denken nach ihr.
Die Linke Bayern: Antragsheft 1 für die zweite Tagung des 15. Landesparteitags vom 27. bis 28. September 2025 im Stadttheater Ingolstadt