Ein intellektueller Irrtum mit Roter Fahne
TL;DR: „Ein intellektueller Irrtum mit Roter Fahne“ – Corey Robins Plädoyer für eine humanitäre Intervention in Israel zeigt nicht moralische Stärke, sondern analytische Schwäche. Wer den Einmarsch in Israel fordert, verliert jede Glaubwürdigkeit als Linke.
Zu Corey Robins im ‚Jacobin‘ erschienenen Text „Sollten wir im Namen der Humanität in Israel einmarschieren?“
Man soll dem Gedanken nicht vorwerfen, dass er gedacht wurde. Aber man darf, ja muss ihn prüfen, bevor man ihn zu Papier bringt – und erst recht, bevor man ihm die Maske der Moral überstreift. Corey Robin legt mit seinem Essay ein Dokument der Verwirrung vor, das sich als moralphilosophische Fortsetzung außenpolitischer Diskurse mit anderen Mitteln geriert, aber bei genauerem Hinsehen eine bittere Pointe hinterlässt: Wer im Namen der Menschlichkeit den Einmarsch in Israel erwägt, hat den Maßstab für Humanität verloren – und mit ihm das politische Koordinatensystem.
Zunächst zur Struktur: Robins Text ist, formal gesehen, ein sauber gebauter Appell. Er erinnert an frühere humanitäre Interventionen – Kambodscha, Uganda, Jugoslawien – und stellt die Frage, ob diese Logik nicht auch auf Israel übertragbar sei. Das ist, analytisch gesprochen, eine Hypothese. Politisch jedoch ist es ein moralisches Minenfeld. Denn anders als bei den genannten Fällen steht hier kein Regime jenseits des internationalen Diskurses, sondern ein demokratischer Staat, dessen Verbrechen – sofern man den Begriff Völkermord verwenden will – nicht von einem unzugänglichen Diktator in Szene gesetzt werden, sondern im Scheinwerferlicht globaler Öffentlichkeit.
Wer sich derartiger Vergleiche bedient, betreibt keine Aufklärung, sondern betreibt mit der Logik der Humanität eine Umcodierung historischer Verantwortung. Der Holocaust, der in Israel nicht nur erinnerungspolitisch, sondern konstitutiv ist, wird in dieser Argumentation nicht verleugnet – das wäre zu grob – sondern beiseitegeschoben zugunsten eines Vergleichs, der alles gleichsetzt, was Gewalt ist. So wird Israel zur nächsten Station eines moralischen Interventionstourismus, der zuletzt in Libyen gescheitert ist und in Syrien verstummte.
Robin benennt die Praxis der humanitären Interventionen als von Interessen durchsetzt, als von ehemaligen Kolonialmächten dominiert – um dann genau diesen Mechanismus gegen Israel zu wenden. Hier offenbart sich der eigentliche Widerspruch: Was in anderen Kontexten als Problem beschrieben wird – hegemoniale Ambition unter dem Deckmantel von Humanität – wird im Fall Israel zur Option. Der Vorwurf, die liberale Schutzverantwortung sei selektiv gewesen, kulminiert nicht in der Forderung nach universellen Standards, sondern in der gefährlichen Volte, ausgerechnet dort militärisch eingreifen zu wollen, wo Differenzierung am nötigsten wäre.
Die ideologische Schwäche des Textes liegt in seiner Selbstvergessenheit: Robin rekonstruiert die Geschichte des Humanitarismus, um ihn gegen Israel zu richten – nicht trotz seiner Widersprüche, sondern wegen ihnen. Dass dabei die Motive vietnamesischer oder tansanischer Militärinterventionen ebenso wenig demokratisch waren wie die von NATO-Einsätzen, scheint ihn nicht zu stören. Dass sich gerade aus dieser Geschichte eine Skepsis gegenüber militärischer Selbstermächtigung speisen müsste, fällt unter den Tisch.
Was bleibt, ist ein Antizionismus, der sich nicht zu erkennen geben will. Er kommt im Gewand der Gerechtigkeit, aber er trägt das Parfüm der Ungleichbehandlung. Denn wo sonst verlangt Robin, dass ein Staat – obschon eingebunden in ein globales Netz von Kritik, Diplomatie, Sanktion und medialer Überwachung – durch einmarschierende Nachbarn „gestürzt“ werden soll? Der Gedanke ist nicht nur politisch brandgefährlich, er ist auch analytisch träge. Er verwechselt das Setting der 1990er mit der Situation 2025.
Und er gibt sich einer Vorstellung von Intervention hin, die keine Machtkritik mehr kennt, sondern nur noch eine verschobene Moral. Wer heute in Israel einmarschieren will, weil man einst in Kambodscha einmarschierte, setzt die Logik des Krieges fort – nicht ihre Kritik.
Corey Robin will die humanitäre Intervention retten, indem er sie pervertiert. Er will die moralische Pflicht neu formulieren, verliert dabei aber das moralische Fundament. Der Text ist kein Plädoyer für Gerechtigkeit, sondern der klägliche Versuch, das Völkerrecht gegen ein Land zu richten, an dem sich eine bestimmte Linke seit Jahrzehnten abarbeitet – nicht trotz, sondern wegen seiner Ambivalenz.
Man kann, nein: man muss Israel kritisieren wenn es Fehler macht. Aber wer aus der Kritik die Forderung nach Einmarsch ableitet, kündigt jede realpolitische, jede linke, jede menschenrechtliche Maßhaltung auf. Robins Text ist keine Provokation. Er ist der Ausdruck eines moralischen Bankrotts im Gewand des guten Gewissens.