Die Moral als Marschbefehl

 TL;DR: Bax ruft in der taz zur Intervention gegen Israel, doch sein Kommentar blendet den 7. Oktober aus. Wer moralisch urteilt, darf den Kontext nicht streichen. Kritik braucht Maß, nicht Pathos – und Verantwortung beginnt mit vollständiger Erinnerung.



Zu Daniel Bax' Ruf in der taz nach „humanitärer Intervention“

Daniel Bax will nicht nur beschreiben, sondern eingreifen. Sein Text zur Lage in Gaza ist kein analytischer Essay, sondern ein Aufruf im Gewand eines Kommentars– getragen von moralischer Dringlichkeit, gerichtet an eine Weltgemeinschaft, die aus seiner Sicht zu lange weggesehen hat. Israel begehe Kriegsverbrechen. Die internationale Gemeinschaft müsse handeln. Und wenn die UNO schweigt, müsse „der Westen“ sprechen – mit Sanktionen, Embargos, notfalls mit Intervention. Doch was Bax als „humanitäre Pflicht“ vorträgt, verliert durch das, was fehlt, an intellektueller Erdung.

Der 7. Oktober, der Ausgangspunkt des aktuellen Krieges, erscheint in seinem Text nicht. Nicht der Überfall auf Kibbuze, nicht das Massaker an Zivilisten, nicht die Entführungen nach Gaza, nicht der gezielte Terror gegen jüdische Familien. Diese Leerstelle ist nicht bloß journalistisch fragwürdig – sie ist politisch folgenreich. Denn wer den Verlauf eines Krieges rekonstruieren will, muss bei seinem Beginn ansetzen. Wer Opfer zählt, darf nicht nur zählen, wenn sie auf einer Seite liegen.

In einem früheren Kommentar – überschrieben mit Ungeteiltes Mitgefühl 20.202025 – zeigt sich dieselbe Schieflage. Dort richtet sich die ganze Aufmerksamkeit auf Israel, dessen Reaktion auf das Massaker der Hamas kritisch zu prüfen sei. Mitgefühl für die israelischen Opfer? Fehlanzeige. Bax analysiert Reaktionen, nicht Auslöser. Die moralische Schwerkraft wirkt in eine Richtung.

Das ist nicht belanglos, sondern bezeichnend. Denn wer eine „humanitäre Intervention“ fordert, erhebt sich zum Richter. Und wer als Richter auftritt, darf sich die Akte nicht zurechtlegen. Bax kritisiert Israel mit Begriffen wie „staatlicher Terror“, zieht Vergleiche zu Assad, IS und Taliban. Doch in dieser begrifflichen Gleichsetzung verschwinden Unterschiede – rechtlich, historisch, politisch. Der Kontext, den er Israel abspricht, bleibt bei ihm selbst unterbelichtet.

Dabei ist Kritik an Israel legitim, notwendig, oft schmerzlich. Dass im Gazakrieg das humanitäre Völkerrecht systematisch verletzt wird – auch das ist belegbar, auch das gehört benannt. Doch gerade weil die Lage so düster ist, braucht es präzise Sprache statt moralische Summenbildung. Denn auch Menschenrechte, so universal sie sein mögen, entfalten ihre politische Wirkkraft nur, wenn sie differenziert gedacht und angewandt werden – nicht als automatischer Reflex, nicht selektiv gegen „den Westen“.

Bax schreibt aus Deutschland. Einem Land, das historisch anders spricht, wenn es über Juden spricht. Das bedeutet nicht, dass deutsche Kritik an Israel tabu sein muss. Aber sie steht unter Bedingungen. Nicht unter dem Diktat von Schuld, sondern unter dem Anspruch auf Verantwortung. Verantwortung heißt nicht, zu schweigen. Aber sie bedeutet, die eigene Geschichte nicht zu entkoppeln von der Gegenwart derer, die unter ihr zu leben gelernt haben.

Wenn ein deutscher Autor den jüdischen Staat mit „staatlichem Terrorismus“ belegt, ohne den Kontext zu benennen, ohne die Täter vom 7. Oktober auch nur zu erwähnen, dann ist das kein Beweis für Unmut – sondern für Maßlosigkeit. Dann verliert die Kritik ihre argumentative Legitimität, weil sie moralisch überfrachtet ist und politisch einseitig. Der Anspruch auf Universalität wird zur partikularen Projektion.

Die Forderung nach einer Intervention – militärisch oder ökonomisch – ist keine Petitesse. Sie ist eine politische Zumutung, die sich messen lassen muss: an ihrer historischen Vergleichbarkeit, an ihrer völkerrechtlichen Umsetzbarkeit, an ihrer strategischen Konsequenz. Bax tut das nicht. Stattdessen verweist er auf Beispiele (Kosovo, Libyen), deren Bilanz selbst im Rückblick umstritten bleibt. Wer aus Fehlern nichts lernen will, sondern sie moralisch verklärt, spricht nicht für die Menschheit – sondern für sich selbst.

Und dennoch: Bax’ Text ist kein Zynismus. Er ist Ausdruck einer moralischen Verzweiflung, die nachvollziehbar ist. Er zeigt eine Wunde – aber er verwechselt sie mit einem Urteil. Was fehlt, ist nicht Wut, sondern Maß. Was nötig wäre, ist kein moralischer Aufschrei, sondern politische Urteilskraft. Was gebraucht wird, ist nicht moralistische Lautstärke, sondern ein Begriff von Verantwortung, der mehr umfasst als Schuldzuweisung – und der weiß, dass Intervention nicht der erste, sondern der letzte Schritt jeder Politik sein darf.

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