Die Eltern der deutsch-jüdisch-israelischen Hamas-Geisel Itay Chen und Die Linke – Geiseln oder Prinzipien?

TL;DR:Die Eltern von Itay Chen fordern Rettung, Die Linke fordert Waffenstillstand. Zwei Perspektiven auf denselben Krieg – unvereinbar in der Analyse, aber gleich ernst in der Absicht. Wer darf handeln, wer muss warten? Wer trauert, wer politisiert?



Die Eltern der deutsch-jüdisch-israelischen Hamas-Geisel Itay Chen und Die Linke – Ein Kontrast zwischen Geiseln und Prinzipien

Wenn ein jüdischer, israelischer, deutscher Staatsbürger von der Hamas entführt wird, schreit das nicht nach Ausgewogenheit, sondern nach Haltung. Ruby und Hagit Chen haben ihren Sohn verloren. Die Bundesregierung hat derweil sich selbst verloren – irgendwo zwischen Bekenntnis zum Völkerrecht und Geschäftsfreundschaft mit Doha. Was bleibt, ist ein Interview mit der taz, das mehr über Deutschlands politische Schieflage verrät als jede diplomatische Floskel.

Dem stellen wir die Linke gegenüber. Nicht aus Trotz, sondern weil es kaum einen schärferen Kontrast gibt. Hier zwei Eltern, die konkrete Rettung fordern. Dort eine Partei, die sich als antifaschistisch und internationalistisch versteht – und den Krieg als Ausdruck kolonialer Gewalt liest. Hier das Leiden des Einzelnen, dort das Leiden der Vielen. Hier die Hoffnung auf politische Einflussnahme, dort die Forderung nach radikalem Bruch mit der bisherigen Außenpolitik.

Was diese Gegenüberstellung zeigt, ist keine Wahl zwischen richtig und falsch, sondern zwischen zwei Formen moralischer Konsequenz – unvereinbar in der Analyse, aber gleich ernst in der Absicht. Die einen wollen, dass ihr Sohn nach Hause kommt. Die anderen, dass endlich jemand zu Hause merkt, was dieser Krieg anrichtet.

Die Linke nennt es es Diplomatie. Die Eltern nennen es Tatenlosigkeit.

Ruby und Hagit Chen, Eltern des entführten und mutmaßlich getöteten Itay Chen, sprechen in diesem Interview weniger mit einem Journalisten als mit einer deutschen Öffentlichkeit, von der sie sich im Stich gelassen fühlen. Die Sätze sind klar, die Vorwürfe auch: Deutschland könnte mehr tun, müsste mehr tun, will offenbar nicht mehr tun.

Was das Interview will, ist klar: Es will erinnern. Es will bewegen. Es will Druck erzeugen. Und es tut das mit einem Pathos, das keine Zwischentöne duldet. Die Bundesrepublik, so Ruby Chen, habe keinen diplomatischen Willen gezeigt, geopolitische Hebel zu bedienen – etwa gegenüber der Türkei, die Hamas-Führer beherberge und ihre Finanzströme toleriere. Die Frage, was die deutsche Außenpolitik diesen Eltern schuldet, wird nicht diskutiert. Sie wird vorausgesetzt.

Nicholas Potter lässt sprechen. Er hört zu, unterbricht nicht, bohrt nicht nach. Das kann man respektvoll nennen. Oder konfliktscheu. Seine Gesprächsführung öffnet Raum – für Narrative, für Trauer, für moralischen Appell. Was sie nicht tut: Konfrontieren. Problematisieren. Klären.

Das Interview folgt einer klassischen Dramaturgie: vom Politischen zum Persönlichen. Von der Regierung zur Geisel. Vom Verhandlungsversagen zur Blackbox im Panzer. Die emotionale Kurve ist steil – eine diskursive Affektarchitektur, die sich jeder analytischen Nachfrage entzieht. Denn wer trauert, hat recht. Und wer widerspricht, hat kein Herz.

Die Stärke der Chens liegt im Unbedingten. Ihre Argumentation ist keine akademische Debatte, sondern eine existenzielle Klage. Sie verlangen nicht viel – nur alles: diplomatische Härte gegen die Türkei, Priorität für Geiseln vor Staatsgründung, öffentliche Empörung statt stille Professionalität.

Ihre Kritik an Netanjahu – klarsichtig. Ihre Mahnung an Deutschland – nachvollziehbar. Ihre Ablehnung der Anerkennung Palästinas – erwartbar. Nur: Ihre moralische Überzeugungskraft gründet auf persönlichem Leid, nicht auf politischer Reflexion. Wer sich dem entzieht, riskiert Unmenschlichkeit. Wer es unkritisch übernimmt, riskiert politische Kurzsichtigkeit.

Gegenüberstellung mit der diversen Erklärung der Linken zu Gaza

Und dann die Linke. Während Ruby und Hagit Chen die sofortige Rettung weniger fordern, fordert die Linke das sofortige Ende eines ganzen Krieges. Die Chens sehen in der Hamas die Ursache des Leids – die Linke in der israelischen Regierung. Die Chens verlangen Rechenschaft gegenüber Itay – die Linke Rechenschaft gegenüber Völkerrecht, Hunger und Bombenteppichen.

Drei zentrale Divergenzen treten hervor:

1.      Zielrichtung: Chens Fokus: individuelle Rettung. Linke: strukturelle Neuordnung.

2.      Konfliktdiagnose: Chens Schuldige: Hamas. Linke Schuldige: Netanjahu.

3.      Palästinafrage: Chens Bedingung: keine Anerkennung vor Freilassung. Linke Forderung: sofortige Anerkennung als Mittel zur Deeskalation.

Die Gemeinsamkeiten sind fast rein formaler Natur: Beide Seiten verurteilen Netanjahu, beide sehen Deutschland in der Pflicht, beide sprechen von einer humanitären Krise. Doch was sie darunter verstehen, trennt sie fundamentaler als jede Ideologie.

Das Interview mit Ruby und Hagit Chen dokumentiert das moralische Dilemma des Westens: Wer gleichzeitig humanitär handeln, geopolitisch klug agieren und diplomatisch Rücksicht üben will, tut am Ende nichts von alledem. Die Familie Chen hat dafür kein Verständnis. Die Linke auch nicht – nur aus ganz anderen Gründen.

Wer das Gespräch der Chens mit der Erklärung der Linken vergleicht, blickt in ein Prisma moderner Politik: Je nachdem, aus welcher Richtung man schaut, zeigt sich eine andere Wahrheit. Und je länger man hineinsieht, desto schwieriger wird das Sprechen ohne Lager, ohne Parteinahme, ohne Pathos.

Vielleicht bleibt am Ende nur dieser Satz: Die Wahrheit stirbt zuerst. Aber es sind immer die Menschen, die zuerst leiden.

 Eltern deutsch-israelischer Geisel „Deutschland könnte definitiv mehr tun“

Alles der Partei Die Linke zu Gaza


 

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