Tobias Huch im Ruhrbarone-Gespräch: Vom Pathos der Fakten und der Dialektik des Unwidersprochenen

 TL;DR: Ein Interview als Bühne für Selbstviktimisierung: Huch verkleidet Pauschalisierung als Wissenschaft, Laurin nickt durch. Was als Debatte erscheint, ist das Echo eines Monologs. Aufklärung ist hier nur die Tarnung fürs Gegenteil.



Zu „Tobias Huch über Fake News, Gendefekte und Spendenbetrug“ – ein Interview von Stefan Laurin

Es gibt Gespräche, die beginnen mit einer Frage – und enden mit einem Verdacht. Das Interview, das Stefan Laurin mit Tobias Huch führt, beginnt mit einem: „Eine bekannte Anwaltskanzlei gemeinsam mit Islamisten“. Spätestens hier stellt sich nicht die Frage nach journalistischer Distanz, sondern nach der Entfernung zur Realität.

Tobias Huch, bekennender Aufklärer im Nahkampfmodus, tritt auf als eine Art digitaler Kassandra der Pro-Israel-Bubble. Seine zentrale These: Nicht er hetzt, sondern andere halten die Wahrheit nicht aus. Was er „wissenschaftlich belegte Fakten“ nennt, präsentiert er im Duktus des unvermeidlich Verfolgten: Wer Cousin-Ehen als Ursache genetischer Erkrankungen benennt, tue dies nicht aus rassistischen Motiven, sondern aus Verantwortung gegenüber der Aufklärung.

Das mag so klingen, als diskutiere man über Genetik. Doch wer Huchs Original-Tweet kennt – die Melange aus Biologie, Mohammed-Referenz und IQ-Vergleich – weiß: Die Wissenschaft dient hier nicht dem Wissen, sondern dem Feindbild. Gaza ist, folgt man Huch, nicht ein Ort der Bombardierten, sondern der selbstverschuldet Genetisch Degenerierten. Die Krankheit hat eine Adresse – und keine Postleitzahl in Tel Aviv.

Das Interview inszeniert sich als Konfrontation, ist aber eine Kolportage. Laurin, einst bekannt für sprachliche Unbestechlichkeit, übernimmt die Argumentationsmuster seines Gastes ohne Prüfung, ohne Widerrede, ohne Reibung. Seine Fragen sind rhetorische Seidenpapierchen: „Du hast das mit Quellen belegt?“ – fragt er, als wäre das eine Gegenrede. Was bleibt, ist das Echo eines Monologs, der sich als Debatte verkleidet.

Im Diskurs über Gaza und genetische Erkrankungen fällt kein Wort über Armut, Krieg, medizinische Unterversorgung. Stattdessen: Statistik in Reinform – ohne Kontext, ohne Differenz. Die 35–55 % Cousin-Ehen in Gaza sind das Einfallstor für eine biologische Schuldzuweisung, die, subtil oder nicht, die Logik ethnischer Hygiene durch die Hintertür wieder einlädt. Dass die gleiche Logik in den 1930ern in deutschen Lehrbüchern stand, ist wahrscheinlich kein Thema für Instagram.

Dabei wäre eine differenzierte Debatte möglich gewesen. Ja, es gibt genetische Risiken durch Verwandtenehen. Ja, es gibt Missbrauch von Spendenkampagnen. Aber beides verliert seinen argumentativen Gehalt, wenn es in ein Weltbild eingebettet wird, in dem jeder moralische Zweifel an Israel Politik und damit an seiner Rechtsradikalen Regierung mit „Hamas-Propaganda“ gleichgesetzt wird und jede Kritik an Huch mit „Einschüchterung durch Islamisten“. Es ist der alte Trick der Diskursverstopfung: Wer widerspricht, hat sich schon disqualifiziert.

Laurin betreibt keine Gesprächsführung, sondern Gesprächsvermeidung. Der Interviewer stellt sich nicht zwischen Publikum und Sprecher, um zu vermitteln, sondern tritt zur Seite, um durchzuwinken. Wer so Fragen stellt, will keine Antworten – sondern Zustimmung in Form der Replik. Man nennt das, mit Verlaub, keine journalistische Haltung, sondern publizistische Beihilfe.

In der Reaktion von Cansu Özdemir – „rassistisch“, „entmenschlichend“ – liegt keine Empörung, sondern Beschreibung. Sie benennt, was in Huchs Sprache implizit mitschwingt: die Überführung von medizinischer Statistik in eine Ethik des Ausschlusses. Nicht mehr was gesagt wird, ist das Problem – sondern wie es gesagt wird, über wen, mit welchem Ziel.

Denn der Topos, den Huch immer wieder bemüht – das Wegdrängen der „Fakten“ durch Emotionen – verkehrt sich bei näherer Betrachtung in sein Gegenteil. Es sind seine Narrative, die auf Emotionalisierung setzen: Kinder mit Krankheiten, „Fake“-Bilder, Luxusuhren auf der Kö. Wer so spricht, führt keine Debatte – er entwirft ein Feindbild.

Die Lüge beginnt dort, wo die Wahrheit zum Werkzeug wird. Und in diesem Interview ist der Hammer die Biologie, der Nagel der „islamistische Kontext“, das Brett: die Einfältigkeit einer Gesprächsführung, die sich der Differenzierung verweigert.

Ein Gespräch, das sich als Aufklärung tarnt, ist oft nur Reklame in Feuilletonform. Tobias Huch wirbt für sich als wissenschaftlich belegten Dissidenten – doch seine Argumente sind weder neu noch besonders: Die biologische Aufladung des Politischen ist alt, ihre Verkleidung als Faktenlage lediglich neu lackiert. Stefan Laurin bleibt dabei der Mann mit dem Mikrofon – aber ohne Gegengewicht. Was bleibt, ist ein Interview, das vorgibt, den Diskurs zu verteidigen – und ihn in Wahrheit überlistet.

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