Die Moral der Anklage – oder: Wenn der Vorsitzende der Partei Die Linke Israel zum „Hungermörder" erklärt

TL;DR: Wer, wie Jan van Aken, Israel zum „Hungermörder“ erklärt, ersetzt Analyse durch Attitüde. Van Akens Rhetorik und Bax’ Schonraum-Journalismus zeigen: Wo Moral regiert, verstummen Geschichte, Kontext und Verantwortung. Kritik ja – aber mit Kompass, nicht mit Empörung.



Wer moralisch spricht, kann politisch entwaffnen – oft wirksamer als mancher Antrag. Jan van Aken beherrscht diese Technik. Sein Satz „Keine Solidarität mit Hungermördern“ zielt nicht auf Diskussion, sondern auf Urteil. Wen er meint, muss er nicht sagen – es ist längst eingeschrieben in die Tonlage des Satzes. Und wer ihn liest, weiß: Es geht um Israel.

Die Sprache der Anklage – wenn Kritik zur Verlautbarung wird

Van Aken vermeidet den Begriff „Völkermord“, doch seine Sprache dreht beständig um ihn herum: genozidale Handlungen, Apartheid, Verbrechen. Der Konjunktiv dient hier nicht der Vorsicht, sondern der Aufladung. Das Sagbare wird vorsätzlich ins Unausgesprochene verlegt – mit der gewünschten Wirkung.

Die Kritik tarnt sich als Analyse, ist aber längst Haltung. Wer widerspricht, stört die Moral. Wer fragt, stört die Pose. Die Sprache wird nicht zum Werkzeug der Erkenntnis, sondern zur Bekräftigung eines Weltbilds, in dem Israel nur noch als Täter vorkommt.

Angesprochen auf die Einseitigkeit seiner Perspektive, verweist van Aken auf Darfur: Dort sei alles noch schlimmer. Tote, Hunger, Waffenexporte. Warum also keine Bundestagsdebatte zum Sudan?

Die Argumentation wirkt nicht analytisch, sondern ablenkend. Der Verweis auf andere Konflikte dient nicht der Erweiterung des Blicks, sondern seiner Verschiebung. Gleichzeitigkeit wird zur Entschuldigung. Wer alles gleichzeitig schlimm findet, will oft nur vermeiden, etwas genauer zu betrachten.

Und so gerät die historische Verantwortung Deutschlands für den Staat Israel – kein Nebensatz, sondern Gründungsmoment der politischen Kultur – zur verhandelbaren Floskel.

Journalismus als Schonraum – Bax und die stille Zustimmung

Daniel Bax stellt Fragen, aber keine Einwände. Er strukturiert, ohne zu unterbrechen. Es ist ein Journalismus, der nicht aneckt, sondern sortiert – und der damit zur Bühne wird für ein Narrativ, das seine Widersprüche nicht erklären muss, weil es ungestört bleibt.

Begriffe wie Antisemitismus, historische Verantwortung oder staatliche Existenzsicherung tauchen nicht auf. Stattdessen darf van Aken Begriffe wie Hungermörder oder Apartheid verwenden, ohne dass ihre politische Funktion thematisiert würde. Die Sprache wird durchgelassen, nicht durchdacht.

Bax moderiert, wo er stören müsste. Er überlässt das Terrain der Moral einem Akteur, der es besetzt hält – ohne Grenzmarkierungen.

Waffenembargo, Abkommenssuspension, Nahostreise – van Akens Forderungen klingen engagiert, bleiben aber folgenlos. Sie adressieren nicht die Machtverhältnisse, sondern das eigene Milieu. Außenpolitik als Ausdruck des richtigen Gefühls – aber ohne Lageanalyse, Wirkungserwartung oder Umsetzungsstrategie.

Die Linke verabschiedet sich hier nicht nur vom Realismus, sondern auch vom historischen Denken. Wo früher Klassenverhältnisse, Bündniskonflikte und Interessen analysiert wurden, genügt heute ein Begriff – Menschenrechte – um jede Komplexität zu unterspülen.

Was dabei entsteht, ist keine Politik, sondern eine Haltung. Eine Kritik ohne Kompass.

Solidarität als Reflex – oder: Wenn Geschichte zum blinden Fleck wird

Am Ende bleibt die unbequeme Frage: Was heißt Solidarität, wenn sie sich aus der Empörung speist, aber nicht aus der Erinnerung? Wer Israel als Hungermörder bezeichnet, ohne die Shoah, die Gründung dieses Staates, den permanenten Vernichtungswillen seiner Gegner und die ideologische Besessenheit der Hamas mitzudenken, sagt nichts über Israel – aber viel über sich selbst.

Diese Form der Kritik ist nicht neu. Aber sie tritt heute mit größerer Selbstverständlichkeit auf. Sie hält sich für mutig, weil sie Israel angreift, obwohl genau das zur Konvention geworden ist. Und sie missversteht sich als „links“, obwohl sie in Mustern denkt, die weder materialistisch noch geschichtlich sind.

Wer das Existenzrecht Israels immer nur relativiert, nie verteidigt, und dabei Begriffe verwendet, die den Staat in moralischer Totalität diskreditieren, kritisiert nicht – er ersetzt politische Analyse durch ein Weltbild. Und dieses Weltbild hat wenig mit Emanzipation zu tun.

Schlussgedanke

Die Sprache, die van Aken wählt, klingt entschlossen. Die Interviewführung, die Bax liefert, wirkt offen. Doch beides ergibt ein Gespräch, das mehr verschleiert als klärt.

Kritik an Israel ist notwendig – aber sie muss historisch informiert, analytisch präzise und sprachlich verantwortlich sein. Was wir hier erleben, ist das Gegenteil: eine Erzählung, in der Täter und Opfer sprachlich vertauscht werden – und Israel wieder einmal allein dasteht.

taz: Jan van Aken „Keine Solidarität mit Hungermördern


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