Dialog unter Druck – Stimmen aus Israel und Gaza im Gespräch mit der Progressiven Linken
Zwischen Gaza und Tel Aviv: Linker Dialog gegen den Hass
In einem Livestream der „Progressiven Linken“ trafen israelische und palästinensische Aktivist*innen virtuell aufeinander. Der Abend zeigte eindrücklich, wie schwer echter Dialog heute ist – und warum er dennoch unverzichtbar bleibt.
Berlin, 19. Juli 2025. Während draußen die Berliner Sommernacht
anbricht, versammelt sich ein digitales Publikum vor Bildschirmen. Der Livestream
der Veranstaltung "Voices from Israel & Gaza",
organisiert vom Netzwerk Progressive Linke, verspricht einen seltenen Moment:
ein öffentliches Gespräch zwischen israelischen und palästinensischen Stimmen –
differenziert, konfrontativ, ehrlich.
Zu Gast im Stream sind Shai Dashevsky, Hamza Howidy, Hanan Liguori und Rosa Jellinek – vier Menschen mit sehr unterschiedlichen Biografien, vereint in der Einsicht, dass Polarisierung keine Lösung ist. Der Livestream offenbart: Diese Stimmen sprechen nicht für Regierungen oder ideologische Lager, sondern für individuelle Erfahrungen und eine verlorene politische Mitte.
Ein Raum für Komplexität
„Ich habe die Linke nicht verlassen – sie hat mich verlassen“, sagt der israelische Aktivist Shai Dashevsky gleich zu Beginn. Seine Kritik richtet sich gegen eine westliche Linke, die nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 häufig pauschal Partei ergriff – ohne Raum für israelische Perspektiven, die sich sowohl gegen die Besatzung als auch gegen islamistische Gewalt richten.
Hamza Howidy, ehemaliger Mitorganisator der palästinensischen „We want to live“-Bewegung, schildert im Livestream eindrücklich die Unterdrückung durch die Hamas in Gaza – und die Gefahr, in westlichen Debatten vereinnahmt zu werden. „Menschen in Gaza protestieren gegen Terror – während in Berlin Hamas-Fahnen geschwenkt werden“, sagt er. Die Diskrepanz zwischen der Realität vor Ort und der Wahrnehmung im Westen sei gewaltig.
Mehrfach thematisieren die Teilnehmenden die problematischen Formen linker Solidaritätsbekundungen im Westen. „Wenn in Gaza Menschen ihr Leben riskieren, um gegen Hamas zu protestieren – und das hier ignoriert wird – dann hat das mit Solidarität nichts zu tun“, sagt Howidy. Auch Rosa Jellinek, Mitglied der Partei Die Linke, übt im Livestream Selbstkritik: „Es ist frustrierend, wie wenig Raum in linken Strukturen für differenzierte Positionen bleibt – dabei wäre gerade das unsere Aufgabe.“
Hanan Liguori spricht über antisemitische Narrative in queer-feministischen und postkolonialen Räumen. Sie macht deutlich: „Zwei Dinge können gleichzeitig wahr sein: Kritik an der israelischen Regierung – und Ablehnung antisemitischer Gewalt. Wer das nicht aushält, denkt nicht politisch, sondern identitär.“
Medien, Filterblasen und die Suche nach Wahrheit
Ein Teil der Diskussion dreht sich um mediale Verzerrung. Die israelischen und palästinensischen Gäste beschreiben, wie sich die Berichterstattung auf arabischen, israelischen und westlichen Kanälen stark unterscheidet – und häufig einseitig sei. Da ausländische Medien kaum Zugang zum Gazastreifen haben, dominierten oft Narrative, die von Hamas oder regierungsnahen Quellen gesteuert würden.
Besonders eindringlich wird die Rolle sozialer Medien beschrieben. „Instagram ist kein Journalismus“, sagt Liguori. „Viele wissen nicht, dass Propaganda auch über Share-Pics funktioniert.“ Shai Dashevsky beschreibt, wie sich algorithmische Echokammern in Radikalisierungsräume verwandeln: „Es ist nicht die Linke, wie ich sie kannte – es ist ein Hassökosystem.“
Hoffnung – mit Einschränkungen
Trotz der klaren Kritik und ernüchternden Diagnosen enthält der Abend auch Momente der Hoffnung. Das Publikum im Chat und die Moderator*innen betonen mehrfach, wie wichtig diese Form des Dialogs ist – gerade im digitalen Raum. Hamza Howidy verweist auf neue moderate Projekte wie Realign for Palestine, die sich für einen humanistischen Ausweg aus der Gewaltspirale stark machen.
„Frieden ist für viele zu einem naiven Begriff geworden – wir müssen ihn neu denken“, sagt eine jüdische Teilnehmerin im Chat. Und Rosa Jellinek ergänzt im Schlusswort: „Solange wir noch miteinander sprechen, ist nicht alles verloren.“