Zu Benjamin-Immanuel Hoff: „Von moralischer Gewissheit zu historischer Blindheit“ (erschienen am 2.11.2025 auf seinem Blog ‚Nachdenken im Handgemenge‘)
TL;DR: Ein kluger, schmerzhafter Text: Benjamin-Immanuel Hoff zerlegt die moralische Pose der Linksjugend [`solid] und plädiert für linke Analyse ohne Projektion—gegen Täterumkehr, gegen Romantik, für historische Genauigkeit und konkrete Solidarität.
Es gibt
Texte, die sind weniger zu lesen als zu durchqueren. Benjamin-Immanuel Hoff hat mit „Von
moralischer Gewissheit zu historischer Blindheit“ einen dieser
politischen Landschaftstexte geschrieben: rau, voller Bruchkanten, windschief
in seiner Klarheit – und dabei wohltuend frei von der semantischen
Zuckerglasur, die in linken Debatten inzwischen allzu oft über intellektuelle
Leerstellen gegossen wird. Wer hier wohlfeile Betroffenheitslyrik sucht, sollte
umblättern. Hoff liefert Analyse – mit Haltung, nicht mit Hochton.
Hoff liest diesen Beschluss
nicht als Jugendsünde, sondern als Symptom. Und zwar nicht für zu viel
Radikalität, sondern für zu wenig Reflexion. Seine zentrale These ist so
schlicht wie schwer bestreitbar: Wer eine linke Position zum Nahostkonflikt
formuliert, ohne das Massaker des 7. Oktober 2023 klar als das zu benennen, was
es war – ein systematischer Terrorangriff – verliert moralischen wie
analytischen Boden. Dass ein solcher Angriff zur
bloßen Erzählkulisse eines Statements wird, das sich mehr mit sich selbst als
mit der Realität befasst, markiert für Hoff nicht nur einen politischen
Fehlgriff, sondern eine epistemische Kapitulation.
Hoff
kritisiert nicht primär die Parteinahme, sondern die Auslassung: dass Analyse ersetzt
wird durch eine Geste identitärer Selbstvergewisserung – jene Pose, in der
nicht gedacht, sondern „endlich ausgesprochen“ wird. Wahrheit gerinnt hier zur
Haltung, nicht zur Erkenntnis. Der Blick richtet sich nicht auf konkrete Akteure,
Entwicklungen oder Machtverhältnisse, sondern auf das eigene Gewissen – ein
Spiegelkabinett, in dem Politik zur Performance wird.
Erst
später – und analytisch eingebettet – bringt Hoff Moishe Postones zentrale Diagnose
ins Spiel: Dass nämlich ein Teil der westdeutschen Linken nach dem
Sechstagekrieg 1967 nicht wegen des Leids der Palästinenser:innen den Bruch mit
Israel vollzog, sondern aufgrund der Irritation über Israels militärische
Stärke. In dieser Umkehrung – Opfer mit Gewehr = Täter – lag für Postone eine
Schuldabwehr durch Projektion. Nicht Israel veränderte sich,
sondern der Blick auf Israel: vom Zufluchtsstaat zum Symbol hegemonialer Macht.
Hoff übernimmt dieses Argument nicht mechanisch, sondern nutzt es als
Brennglas, um zu zeigen, wie leicht historische Komplexität im linken
Moralhabitus untergeht.
Doch
Hoff wäre nicht Hoff – und kein Linker in gremlizistischer Manier –, würde er
sich mit der Kritik am Antiimperialismus von rechts
begnügen. Die israelische Regierung, ihre militärischen Exzesse und
rechtsextremen Koalitionspartner erhalten ihrerseits keine Absolution. Wer, so
Hoff, die strukturelle Gewalt gegen Palästinenser:innen nicht anerkennt,
betreibt apologetische Geschichtspolitik mit anderem Vorzeichen. Dass er
dennoch nicht in jene semantische Gleichgewichtsakrobatik verfällt, bei der
jede Erwähnung eines Hamas-Terrors sofort mit einem „aber Israel“
zurückgeworfen werden muss, ist kein diplomatischer Auslass, sondern
analytische Konsequenz: Der Unterschied zwischen Begründung
und Rechtfertigung
bleibt gewahrt.
Auch
formal beweist der Text Disziplin: Die Sprache ist nüchtern, fast unterkühlt –
doch unter der Oberfläche brodelt ein kluger Zorn. Keine billige Empörung,
sondern ein strukturiertes Unbehagen an einem linken Diskurs, der sich lieber
selbst genügt als andere ernst nimmt. So wird aus der Kritik am solid-Beschluss
kein anti-jugendlicher Affekt, sondern eine Einladung zur intellektuellen
Rekonstruktion linker Maßstäbe.
Besonders
stark ist der Text dort, wo Hoff nicht nur Negativdiagnosen stellt, sondern positive Bezugspunkte
benennt. Bewegungen wie „Standing Together“ oder „Breaking the Silence“ sind
für ihn keine Feigenblätter, sondern reale Akteure, die zeigen, wie linke
Politik aussehen kann: konkret, dialogisch, konfliktsensibel – und eben nicht
identitär aufgeladen. Wer über sie nicht spricht, so Hoff, möge künftig auch
nicht mehr von Internationalismus reden.
Kurzum:
Hoff hat mit seinem Essay einen scharf geschnittenen Beitrag vorgelegt, der
zwischen den Stühlen nicht Platz nimmt, sondern Tische rückt. Er verweigert
sich sowohl der antiimperialistischen Romantik als auch der realpolitischen
Abgeklärtheit. Seine Stoßrichtung ist keine Synthese, sondern eine dialektische
Zuspitzung: Wer emanzipatorisch sein will, muss in der Lage sein, zwei
Wahrheiten zugleich zu halten – und beide zu kritisieren. Israel als Staat mit
rechter Regierung und als Zufluchtsort nach der Shoah.
Palästinensisches Leid und islamistische Gewalt.
Kritik und
Solidarität – nicht als Kompromiss, sondern als politische Notwendigkeit.
Ein Text, der schmerzt – weil er trifft.

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