Schmirenteater bei Salve.tv: Dehm & Höcke – Querfrontfolklore fürs Publikum
TL;DR: Dehm und Höcke: ein vermeintlicher Linker & ein Faschist mit Sendungsbewusstsein. Was als Dialog posiert, dient als Vertriebskanal für Querfrontromantik. Der eine wärmt sich am rechten Feuer, der andere tarnt sich im Mantel des Demokraten. Verständigung? Nein. Tarnung.
Ein
vermeintlicher Linker der sich an Rechten wärmt und ein Faschist, der sich
demokratisch gibt. Dehm und Höcke nennen es Dialog. In Wahrheit:
Querfrontfolklore fürs Publikum.
Die Frage, ob Diether Dehm nun
endgültig übergelaufen ist oder nur wieder mal die Richtung verwechselt hat,
erübrigt sich nach diesem Gespräch nicht. Sie stellt sich neu. Was sich nicht
neu stellt, ist die Funktion solcher Dialogformate: Als Bühne für die Reinigung
rechter Positionen im milden Dampf linker Nostalgie. Auf Salve.tv, einem
regionalen Sender mit globalem Größenwahn, diskutiert der frühere
Bundestagsabgeordnete und selbsterklärte Marxist Dehm mit Björn Höcke, dem wohl
gerichtsbekanntesten Sprachrohr der extremen Rechten. Moderator Klaus-Dieter
Böhm gibt den Tischvater – irgendwo zwischen Hotelier, Humanist und
Hauptamtlichem für historische Versöhnung.
Dabei
geht es nicht um Argumente, sondern um Atmosphäre. „Ich bin für eine
historische Verständigung“, erklärt Dehm, und nennt als Referenz: Putin
und die KP, Trump und Bernie Sanders. Als sei Verständigung ein
Gütesiegel und nicht ein Geschäftsmodell. Was dort als „Dialog“ verkauft wird,
ist in Wahrheit ein rhetorischer Tauschhandel: Dehm liefert den linkerprobten
Friedensbegriff, Höcke das nationalpatriotische Vokabular – beide streichen
sich die Aura des Unverstandenen aufs Hemd.
Und weil Frieden nicht reicht,
muss auch noch die Postdemokratie her. Höcke sieht sie überall: „Wir erleben
den Gang in die Postdemokratie, den Verlust der Gewaltenteilung.“ Der Mann, der
Richter*innen pauschal als politisch gelenkt abkanzelt, mimt den Verteidiger
rechtsstaatlicher Hygiene. Und Dehm, der einst „Alles für
Deutschland“ für eine SA-Parole hielt, ist heute unsicher: „Würde
ich Herrn Höcke für einen Faschisten halten, säße ich nicht hier.“
Vom Gespräch zur Simulation
Dehms
„Hielte ich Herrn Höcke für einen Faschisten, was ich früher mal gemeint habe,
würde ich nicht mit ihm so hier sitzen“ ist ungefähr so beruhigend, wie wenn
ein Physiklehrer sagt, er glaube nicht mehr an Schwerkraft, weil sie sich ihm
politisch nicht mehr plausibel erschließe.
Dehm,
der sich früher als Brandt-Sozialdemokrat verstand, führt nun Frieden ins Feld
– nicht als Forderung an den Aggressor, sondern als Plattform der Verständigung
mit dem ideologischen Gegner. Dass dieser Gegner in Gestalt Höckes über fast
drei Stunden hinweg ein politisches Weltbild skizziert, das sich aus ethnischer
Homogenität, autoritärer Staatsfixierung und Geschichtsrevision zusammensetzt,
scheint Dehm nicht zu irritieren – Hauptsache, man spricht darüber.
Der
Moderator, Vorstand eines Kurhotels, erklärt Thüringen zum „kulturellen Herzen
Europas“ und zur „Lehrwerkstatt der Welt“. Wer wollte da nicht den Dialog
suchen?
Höcke
inszeniert sich als souveräner Demokrat in einer „blockierten Republik“, in der
eine „extremisierte Mitte“ das Parlament entmachtet und den Rechtsstaat zur
Kulisse erklärt. Er spricht von einer „parlamentarischen Tradition seit 150
Jahren“, die durch die Nichtwahl eines AfD-Kandidaten zum Landtagspräsidenten
gebrochen worden sei. Die Pointe: Der Mann, der das Parlament für dysfunktional
erklärt, beklagt mangelnde Repräsentation in eben diesem. Dialektik als
Requisit.
„Ich
bin ein Patriot durch und durch. Ich liebe dieses Land“, sagt Höcke, als sei
Liebe zum Vaterland ein Freifahrtschein für politische Indifferenz gegenüber
den Mitteln, mit denen man es regieren will.
Und
Dehm? Er spricht von „Einzelfallprüfungen“ für Asylsuchende, sogar im
hypothetischen Gespräch mit einem „potenziellen Minister oder Regierungschef
Björn Höcke“, was nicht nur grammatikalisch, sondern auch politisch einen
Realitätsverlust dokumentiert.
Beide
Gesprächspartner setzen auf den Begriff Frieden
wie auf eine rhetorische Wunderkerze. Höcke will „Frieden mit Russland“ – nicht
als Ergebnis diplomatischer Prozesse, sondern als Vorwand für eine
geopolitische Neuordnung, in der die NATO als Besatzungsstruktur und Amerika
als globale Gefahr erscheint. Dehm sekundiert: „Frieden mit Russland ist die
Kernfrage von allem.“ Was aber in dieser Sendung nicht gesagt wird: dass Russland seit 2014
systematisch das Völkerrecht bricht, dass die Ukraine nicht einfach ein
Durchgangsland für NATO-Expansion ist, sondern ein Staat mit Souveränität.
„Oscar
Lafontaine und Tino Chrupalla auf einer Bühne, das würde die Republik rappeln
lassen“, träumt Dehm. Dass es dabei nicht rappelt, sondern brennt, kommt ihm
nicht in den Sinn.
Frieden
– ja. Aber Frieden mit dem Faschismus ist Kapitulation, nicht Konsens.
Höcke
spricht in ruhig gesetzter Sprache, zitiert John Mearsheimer und Milton
Friedman, konstruiert aus Migrationsstatistiken eine Gefahr für den Sozialstaat
und erklärt die offene Gesellschaft zur Illusion. Migration müsse „auf null“
gesetzt werden – vor allem aus „kulturfremden Kontexten“. Der Begriff bleibt undefiniert,
aber absichtsvoll suggestiv. Er behauptet, man könne entweder Sozialstaat oder
offene Grenzen haben – ein scheinliberaler Fehlschluss, der suggeriert,
Inklusion und Wohlstand seien Gegensätze.
„Politik
muss immer menschlich sein“, sagt Höcke und fügt im selben Atemzug hinzu, dass
Einzelfallprüfungen „unsere Staatlichkeit überfordern“ würden. Menschlichkeit
als Hypothek, nicht als Anspruch.
Was
hier betrieben wird, ist die moralische Unterbietung. Ein kulturell homogenes
Deutschland soll als Bollwerk gegen einen globalistischen Universalismus
herhalten – samt „transposthumanistischem Überwachungskapitalismus“ (Höcke) und
der „größten Lüge der Pressegeschichte“ (implizit).
Dehm
nennt das nicht falsch, sondern differenzfähig. Dass er dabei auch dem Begriff
des Faschismus seine politische Kontur entreißt, scheint ihn wenig zu kümmern.
„Man
darf auch mit Faschisten reden“, lautet sein unausgesprochener Imperativ –
solange diese bereit sind, über Frieden
zu sprechen. Man könnte meinen, Franco habe den Bürgerkrieg auch nur wegen
mangelnden Dialogs begonnen.
Querfront ist keine Methode, sondern Mythos
Wenn
Dehm erklärt, seine Affinität gelte nicht der AfD, sondern dem Dialog, dann
bewegt er sich im Rahmen jener strategischen Selbstentlastung, die politische
Konsequenz durch moralische Rhetorik ersetzt. Er vergleicht die
Gesprächssituation mit Putin und der KP Russlands, mit Trump und Sanders, mit
dem Iran und China. Als wären alle Konflikte bloß Missverständnisse, die durch
Gespräch behebbar wären – sofern man bereit ist, sich nicht vom politischen
Charakter des Gegenübers stören zu lassen.
Wer
den Faschisten den Handschlag reicht, hat keine Hand mehr frei für die
Antifaschisten.
Stattdessen
wird über Symbolpolitik gesprochen, über Parteifahnen bei Friedensdemos und die
Notwendigkeit, „parteiübergreifend“ auf die Straße zu gehen. Der Moderator
erinnert an die Anti-Kernkraft-Bewegung, bei der Fahnen verboten waren – als
ließe sich politische Homogenität erzwingen, wenn man nur die Symbole meidet.
Das
Gespräch zwischen Dehm und Höcke will mehr sein als ein Talk: ein historischer
Moment, vielleicht sogar der Beginn einer neuen Friedensbewegung. Tatsächlich
ist es ein Dokument politischer Selbstverleugnung. Dehm verwechselt Nähe mit Einfluss,
Gespräch mit Gleichwertigkeit, Kritik mit Zusammenarbeit.
Höcke
hingegen besteht seine Prüfung: Er bleibt rhetorisch kontrolliert, inszeniert
sich als gelassener Demokrat mit Weltbild, das gerade deshalb gefährlich ist,
weil es bürgerlich daherkommt – und deshalb auch bei denen verfängt, die
glauben, Faschismus erkenne man an Uniformen.
Wer
auf Friedenssehnsucht setzt, sollte wissen, mit wem er sie teilt. Und warum.
Denn
wenn der Dialog zur Bühne wird, auf der sich der Radikale als gemäßigt und der
Gemäßigte als großzügig darstellt, dann ist es nicht mehr weit von der
Gesprächskultur zur Gesprächsvergiftung.
Und wer dann noch fragt, ob er ein Nazi ist, muss sich fragen lassen,
was er unter einem Dialogpartner versteht.
