Antizionistische Sprachpolizei Berlin – oder: Der linke Kompass dreht durch
TL;DR: Elif Eralp nennt Antisemitismus Antisemitismus – und wird dafür von Linken attackiert, die Hebräisch für Zionismus und Kritik daran für ein Sakrileg halten. Wer das benennt, ist verdächtig. Nicht das Antisemitische Verhalten, sondern seine Benennung gilt als Skandal.
Es war einmal ein Café in Neukölln, das sich „K-Fetisch“ nannte – vermutlich, weil „Kollektiv-Kaffeefilter“ zu wenig Revolte versprach. Dort wurde am Tresen nicht etwa über fair gehandelten Arabica, sondern über die Sprache der Unterdrücker gerichtet – konkret: Hebräisch. Das Urteil lautete: Rauswurf. Das Delikt? Ein T-Shirt. Die Schrift? Nicht Arabisch, nicht Deutsch, nicht Türkisch – Hebräisch. Also Zionismus in Textilform, so die Dialektik am Kollektivbuffet.
Nun sind
Cafés gemeinhin Orte der Begegnung, des Diskurses, des bitteren Espressos –
aber in Neukölln offenbar auch der nationalrevolutionären Sprachhygiene. Als Elif Eralp, zurecht Hoffnungsträgerin und
Spitzenkandidatin Partei Die Linke Berlin, das antisemitische Theater in einem
Tweet benannte – „Das ist antisemitisch, nicht hinnehmbar, nicht links“
– brach nicht etwa Konsens, sondern ein Shitstorm los, den man mit der
Espressomaschine nicht mehr wegdampfen konnte.
Die Linke,
einst gegründet gegen Faschismus, Krieg und Nationalismus, mutiert in Teilen zu
einer Querfront aus moralischem Matsch und historischem Kurzzeitgedächtnis. Man
werfe nur einen Blick in die Kommentarspalte unter Eralps Tweet. Dort behauptet
ein gewisser StiegerJanis,
Mitglied der Partei Die Linke Baden Wartenberg: „Das ist zwar nicht
antisemitisch, aber trotzdem absolut inakzeptabel.“ Das ist, mit Verlaub,
als würde man sagen: „Das war zwar kein Brandanschlag, aber trotzdem ganz schön
heiß, danke fürs Löschen.“
Ein anderer
Intellektuellensimulant fragt: „Was ist daran antisemitisch?“ – eine
Frage, so alt wie die Protokolle, aber heute mit WLAN. Und als wäre das
nicht genug, versichert JulieLaFleur
mit missionarischer Hybris: „Du
hast doch keine Ahnung, was ‘Antisemitisch’ überhaupt bedeutet…“ –
was weniger nach Argument klingt als nach inquisitorischem Platzverweis für
jede, die sich anmaßt, Antisemitismus
auch zu erkennen, wenn sie kein Opfer von Antisemitismus sind. Allerdings ist
nicht schwer vorstellbar, das Menschen mit dem Sendungsbewusstsein von
JulieLaFleur auch Opfern von Antisemitismus absprechen würde, Ahnung von
Antisemitismus zu haben.
Die Botschaft ist klar: Wer
nicht selbst betroffen ist – und womöglich auch noch eine linke Politikerin mit
Migrationshintergrund –, der möge bitte schweigen, wenn es um Antisemitismus
geht. Es ist jene bizarre Umkehrung, in der nicht das antisemitische Verhalten
selbst, sondern dessen
Benennung als
Affront gilt.
So wird der Diskurs um
Antisemitismus zu einer Art elitärer Besitzstandswahrung: Wer ihn benennt, aber
politisch „falsch“ steht – oder „nicht betroffen genug“ –, disqualifiziert sich
selbst. Das ist keine Kritik mehr, das ist Verwaltung der Verdrängung im moralischen
Kostüm.
Der Rest der
Reaktionen liest sich wie eine Betriebssitzung beim palästinensisch-deutschen
Freundschaftskollektiv mit eingebautem Wikipedia-Tourette. Da wird munter
behauptet: „Hebräisch ist die Sprache der Unterdrücker“ und „Ich
bediene keine Zionisten“. Man stelle sich diese Form der Sprachzuordnung
auf andere Kontexte vor: Arabisch gleich Hamas, Russisch gleich Kreml, Türkisch
gleich Erdoğan? Ein Sturm der Entrüstung – zurecht. Nur bei Hebräisch klappt
das Empörungskonto plötzlich nicht mehr.
Doch wozu
der Aufschrei, fragen einige. „Das ist doch jetzt nicht ernsthaft ihr
Problem?“ – schreibt TaunusBernd, vermutlich in der Pause zwischen
zwei Tofu-Wickeln. Es ist nicht sein Problem, weil es um Juden geht, und Juden
– das ist die Pointe der ganzen Debatte – sind im linken Weltbild von heute nur
noch Menschen, wenn sie politisch nützlich sind. Am besten mit
antizionistischem Aufkleber auf der Synagoge.
Natürlich
darf man Israel kritisieren. Muss man sogar, wenn man die Menschenrechte ernst
nimmt. Aber wer Hebräisch zum Ausweis der Schuld erklärt, praktiziert keine
Israelkritik – sondern betreibt die semantische Rückkehr ins Jahr 1938 mit dem
Thermobecher in der Hand.
Dass Elif Eralp in diesem
linken Echoraum der Empörung überhaupt noch zu Wort kommt, grenzt an ein Wunder
– oder an Zivilcourage. Dass sie es tut, ist nicht nur richtig, sondern selten.
Denn wer inmitten der moralischen Nebelschwaden noch den Begriff Antisemitismus verwendet,
ohne ihn mit Fußnoten und Fußnoten der Fußnoten zu relativieren, hat offenbar
den Kurs der Partei – aber nicht den der Wirklichkeit – verloren.
Was folgte, war die
digitalisierte Form der Inquisition. Der Chor der Kommentierenden, scheinbar
aus dem Zettelkasten des ideologischen Selbstbetrugs zusammengestellt,
formulierte sein Urteil in Variationen eines immer gleichen Satzes: „Du hast doch keine Ahnung, was
‘Antisemitisch’ überhaupt bedeutet…“ – eine Wendung, die alles
sagt, nur nicht über Antisemitismus. Dafür viel über ein Milieu, das jede
Kritik an sich selbst für ein strukturelles Machtverhältnis hält – und jede
jüdische Stimme, die nicht in sein Weltbild passt, für Propaganda.
Ein anderer Rufer aus der
Echokammer beschwichtigt: „Die
Aktion hat sich nicht gegen eine jüdische Identität gerichtet.“ Ah
ja. Und der Rauswurf wegen hebräischer Buchstaben galt vermutlich der
semitischen Typografie. Man fragt sich, was noch geschehen muss, damit sich das
linke Gewissen an seine Ursprünge erinnert. Vielleicht hebräische Buchstaben
auf der Stirn?
Natürlich dürfen alle über Gaza
sprechen, aber wenn Antisemitismus
nur noch als Ablenkung von "Völkermordkritik"
verstanden wird – wie es Hasan
empfiehlt –, dann wird nicht nur der Antisemitismus entkernt, sondern der
Nahostkonflikt zur sakralen Immunisierungsformel gemacht: Wer auf Juden zielt,
aber „Israel“ sagt, ist plötzlich Kritiker.
Und dann ist da noch das
intellektuelle Hütchenspiel eines Kommentators, der erklärt: „Menschen mit weniger Bildung könnten so
reagieren.“ Ach ja? Wenn Antisemitismus auf Bildungsferne zurückzuführen
wäre, müsste das Café nicht in Neukölln, sondern in einer VHS für
Sprachverweigerung stehen.
Es geht längst nicht mehr
darum, ob der Vorfall antisemitisch war – das war er, selbst nach der
Jerusalemer Erklärung, die ironischerweise einige dieser Kommentierenden
vermutlich nur kennen würden, wenn sie von einem israelischen Geheimdienst
publiziert worden wäre.
Es geht um etwas anderes: Wer
darf überhaupt noch Antisemitismus benennen – und wem wird dieses Recht
abgesprochen, weil es dem linken Reinheitsbild nicht dient?
Elif Eralp hat dieses Recht
eingefordert – nicht im Namen Israels, nicht im Namen eines Staates, sondern im
Namen einer Haltung, die früher einmal linke Selbstverständlichkeit war. Heute
wird sie ihr von jenen abgesprochen, die sich selbst für das Zentrum der Aufklärung
halten – solange es nur nicht zu hebräisch klingt.