Rückzug im Schatten des Machtkampfs – Libanons Schiitische Minister boykottieren Armeeplan zur Entwaffnung der Hisbollah

 TL;DR: Fünf schiitische Minister verlassen demonstrativ die sitzung deslibanesischen Kabinetts – Protest gegen den Armeeplan zur Entwaffnung der Hisbollah. Ein politisches Beben im Zentrum der Macht. Die Frage bleibt: Kompromiss oder Konfrontation?Rückzug im Schatten des Machtkampfs – Schiitische Minister boykottieren Armeeplan zur Entwaffnung der Hisbollah.


Die libanesische Regierung will das Waffenmonopol des Staates durchsetzen – doch der Widerstand aus schiitischen Kreisen legt die politischen Bruchlinien im Land offen.

Als General Joseph Haykal am Freitagvormittag mit seinem Entwaffnungsplan das Kabinett betritt, verlassen fünf schiitische Minister demonstrativ den Sitzungssaal. Es ist ein symbolträchtiger Moment: Die Spaltung Libanons, lange nur unterschwellig spürbar, wird plötzlich sichtbar – im Herzstück der Regierung.

Der Plan und seine Sprengkraft

Wer? Fünf schiitische Minister, darunter vier Vertreter der Hisbollah und der Amal-Bewegung sowie der unabhängige Minister Fadi Makki.
Was? Rückzug aus einer zentralen Kabinettssitzung.
Wann und wo? Freitag, 5. September, im Baabda-Palast bei Beirut.
Warum? Protest gegen einen von der libanesischen Armee vorgelegten Plan zur Monopolisierung der Waffen.
Wie? Durch koordinierten Auszug unmittelbar nach Eintreffen des Armeekommandeurs.

Wir diskutieren kein Dokument, das auf einer illegitimen Basis beruht“, erklärt ein Hisbollah-Sprecher gegenüber der Associated Press. Eine politische Kampfansage – verpackt in staatsmännische Rhetorik.

Arbeitsminister Mohammad Haidar (Hisbollah) spricht offen von einem „Ausstand“, der sich gegen das „amerikanische Papier“ richte – ein deutlicher Verweis auf den internationalen Druck, der seit dem jüngsten Waffenstillstand auf Beirut lastet.

Die libanesische Regierung hatte im August – unter massivem Einfluss Washingtons – die Armee beauftragt, bis Jahresende einen Entwaffnungsplan vorzulegen. Dieser soll Teil des US-vermittelten Waffenstillstandsabkommens vom November 2024 sein, das die monatelangen Kämpfe zwischen Israel und der Hisbollah beendet hatte.

Premierminister Nawaf Salam sieht darin den Auftakt zu einer „neuen Ära“:

Der Weg zur Monopolisierung der Waffen hat begonnen – und es gibt kein Zurück“, sagte er Ende August.

Doch die Realität ist weniger linear. Denn was als sicherheitspolitisches Vorhaben verkauft wird, ist in Wahrheit ein machtpolitischer Kraftakt: Der Versuch, dem libanesischen Staat eine Souveränität zurückzugeben, die seit Jahrzehnten zwischen bewaffneten Gruppen, religiösen Konfessionen und geopolitischen Interessen zerrieben wird.

Die Hisbollah betrachtet sich selbst als legitime Widerstandsbewegung gegen Israel – und als Schutzmacht der Schiiten im Libanon. Dass sie nach dem Bürgerkrieg (1975–1990) als einzige Miliz ihre Waffen behalten durfte, wurde stets mit diesem Sonderstatus begründet.

Doch das Kräfteverhältnis verschiebt sich. Seit dem letzten Krieg ist die Hisbollah geschwächt: militärisch, politisch, symbolisch. Ihre Verbündeten in Syrien wanken, internationale Unterstützung bröckelt, und im eigenen Land wächst die Kritik.

Es muss eine Lösung geben, aber durch gegenseitiges Verständnis“, sagt der Beiruter Abdul Rahman Trabulsi. Für ihn ist klar: „Die Rolle der Hisbollah ist beendet.“

Ein Satz, der die aktuelle Stimmung auf der Straße besser einfängt als jede diplomatische Erklärung.

Dass der Entwaffnungsplan ausgerechnet jetzt vorgelegt wird – mitten in einer Phase verstärkter israelischer Luftangriffe auf den Südlibanon – erscheint entweder als strategisches Kalkül oder gefährlicher Leichtsinn. Mindestens fünf Tote meldete das Gesundheitsministerium in den letzten zwei Tagen.

David Wood von der International Crisis Group spricht von einem „Signal Israels“, das Taten statt Worte sehen will. Für die Hisbollah hingegen ist der Plan nichts anderes als eine Kapitulation vor Tel Aviv und Washington.

Die Regierung liefert den Libanon an Israel aus“, wetterte kürzlich Hisbollah-Vizechef Naim Qassem – und drohte zugleich: „Wenn es uns aufgezwungen wird, werden wir uns dem stellen.“

Ein Satz, der offen lässt, wie weit die Konfrontation gehen könnte – aber deutlich macht, dass sie gewollt sein kann.

Rückzug, aber kein Rücktritt – noch

Die Minister betonen, sie hätten nicht die Regierung verlassen, sondern lediglich die Sitzung. Ein taktischer Schritt: Druck machen, ohne die Verantwortung abzugeben. Auch Fadi Makki – als einziger nicht parteigebundener Schiit im Kabinett – blieb zwar im Palast, stellte aber laut Medienberichten „seinen Rücktritt zur Verfügung“.

Die Botschaft an die politische Klasse: Ohne die Schiiten – und damit ohne Hisbollah – geht im Libanon nichts. Oder wie es Arbeitsminister Haidar formulierte:

„Jede Entscheidung, die ohne Vertreter der schiitischen Gemeinschaft getroffen wird, verstößt gegen den Nationalpakt.“

Eine politische Geiselnahme – im Namen des Konsenses.

Die Straßen Beiruts zeigen, wohin die Reise gehen soll – zumindest aus Sicht der Regierung. Plakate mit Premier Salam und Präsident Aoun werben für den „Weg zur Monopolisierung der Waffen“. „Eine Armee, ein Arsenal, ein Staat“, heißt es dort. Eine neue Ära?

Oder bloß ein neues Kapitel alter Illusionen?

Die nächsten Wochen dürften zeigen, ob der Libanon einen historischen Schritt in Richtung staatlicher Souveränität macht – oder ob der Plan der Armee lediglich eine Fußnote in der Chronik eines gescheiterten Staats bleibt.


Der Rückzug der schiitischen Minister markiert mehr als eine politische Protestgeste – er ist der Auftakt zu einem offenen Machtkampf um die künftige Rolle der Hisbollah im libanesischen Staat. Ob es zur Konfrontation oder zum Kompromiss kommt, hängt davon ab, ob Beirut die Kunst des „ruhigen Dialogs“ beherrscht, den Parlamentspräsident Berri beschwört – oder ob der „Widerstand“ ein letztes Mal zuschlägt.

 

 

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