Berliner Linksjugend – Der große Sprung zurück

TL;DR: „Nie wieder“ wird zur Worthülse, wenn die Berliner Linksjugend Israels Existenz mit Kolonialismus gleichsetzt und die Faschistische Hamas schweigt. Schindlers Text zeigt: Hier wird nicht gedacht, sondern ersetzt – Analyse durch Pose, Solidarität durch Projektion.

„Nie wieder“ wird zur Worthülse, wenn die Berliner Linksjugend Israels Existenz mit Kolonialismus gleichsetzt und die Faschistische Hamas schweigt. Schindlers Text zeigt: Hier wird nicht gedacht, sondern ersetzt – Analyse durch Pose, Solidarität durch Projektion.



Über Frederik Schindlers Artikel „‚Kolonialer und rassistischer Charakter‘ – Berliner Linksjugend hetzt gegen Israel“

Man kann dem Autor Frederik Schindler eines nicht vorwerfen: dass er das Wort „Hetze“ leichtfertig verwendet hätte. Der moralische Imperativ des Schlagworts steht zu Beginn wie das Amen im Reichstagsprotokoll – als sei durch die richtige Etikettierung bereits die Ware geprüft. Doch wie bei der Berliner Linksjugend selbst: Zwischen Etikett und Inhalt gähnt ein Graben, den kein ideologisches Plakat zuzuschütten vermag.

Schindlers Text seziert die Resolution der Linksjugend Solid Berlin nicht, er stellt sie aus – wie ein besonders obskures Fundstück aus der ideologischen Rumpelkammer einer Bewegung, die nicht aufhört, sich mit Revolutionspathos über die eigenen intellektuellen Stolperdrähte zu werfen. Dabei ist das Dokument, um das es geht, weniger Ausreißer als Symptom: ein Ausdruck jener Linken, die aus dem Bedürfnis nach moralischer Radikalität eine Abkehr von historischer Verantwortung zimmert – in der Hoffnung, ausgerechnet durch semantische Eskalation der politischen Bedeutungslosigkeit zu entkommen.

Vergleichen statt verdammen

Der Vorwurf der Linksjugend, Israel betreibe einen „Genozid“, steht unter der Überschrift „Nie wieder“. Der Vergleich, so die Logik, sei keine Gleichsetzung, sondern eine Anklage mit historischem Anspruch. Doch wenn Auschwitz das argumentative Flakgeschütz für Nahost-Debatten wird, dann bleibt vom Gedanken „Nie wieder“ nicht viel mehr als ein zynischer Nachhall im Resonanzraum rhetorischer Entgrenzung. Die Pointe dieser Logik: Wer den historischen Genozid nicht mit einem aktuellen gleichsetzt, schweigt angeblich zu beiden. Denkverbot ersetzt Denken.

Schindler macht diesen Widerspruch sichtbar, auch wenn er sich um begriffliche Präzision gelegentlich drückt. Die Frage, ob „Antizionismus“ in diesem Zusammenhang antisemitisch ist, stellt er weniger analytisch als exekutiv. Eine Ironie der Geschichte, dass es ausgerechnet die jugendliche Linke ist, die heute das Narrativ vom „jüdischen Rassismus“ in der deutschen Öffentlichkeit wiederbelebt – eine Rhetorik, deren Ahnenreihe mehr in den Regalen arabischer Diktaturen als in den Archiven kritischer Theorie liegt.

Statt Kritik an Israel zu differenzieren, wird koloniale Projektion zur Projektionsfläche. In der Welt der Berliner Linksjugend ist der jüdische Staat nicht Resultat jahrhundertelanger Verfolgung und ein Schutzraum gegen Vernichtung – sondern eine Außenstelle westlicher Vorherrschaft. Es ist eine doppelte Verkennung: sowohl der Geschichte Israels als auch des historischen Antikolonialismus, der in Palästina auch aus der Nähe zu Faschismen erwuchs. Die Resolution verwechselt antiimperialistische Rhetorik mit analytischer Substanz – und begnügt sich mit einem linken Äquivalent zum rechten Ressentiment.

Schindler referiert diesen Umschlag, ohne zu überzeichnen. Dass die Hamas in der Resolution nicht einmal erwähnt wird, obwohl sie – ganz ohne koloniale Fremdherrschaft – Homosexuelle von Hochhäusern stürzt und Frauenrecht als zionistische Intrige begreift, lässt selbst den Begriff „Widerstand“ in Trümmern liegen. Die Entpolitisierung palästinensischer Akteure zur bloßen Reaktion auf den israelischen Staat – das ist nicht Empathie, das ist Entmündigung mit revolutionärem Anstrich.

Dialektik im Dienst der Einfältigkeit

Es ist nicht das erste Mal, dass Linke sich in der geopolitischen Komplexität des Nahen Ostens verlaufen wie früher in der Bauhaus-Pädagogik: mit Überzeugung, aber ohne Richtungssinn. Doch die Berliner Resolution treibt das zur Spitze: Der Zionismus, eine Emanzipationsbewegung, die aus den Trümmern europäischer Barbarei entstand, wird hier zur „rassistischen Kolonialherrschaft“ erklärt. Dass ein solcher Satz die IHRA-Definition von Antisemitismus erfüllt, ist fast nebensächlich – viel gravierender ist, wie vollständig die Resolution jede historische Selbstreflexion aussetzt.

Schindler benennt die Anschlussfähigkeit solcher Narrative an ältere, längst delegitimierte Denkmuster – ohne in den Ton des Inlandsgeheimdienstes zu verfallen. Seine Stärke liegt nicht in der Pose des Empörten, sondern im ruhigen Aufzeigen der ideologischen Regression. Man muss dem Text nicht in allem folgen, aber man sollte ihn nicht unterschätzen: Er ist keine Abrechnung, sondern eine Inventur – und die fällt für die Linksjugend verheerend aus.

Am Ende bleibt weniger die Frage, ob man Schindlers Analyse zustimmt, als ob die politische Linke in Deutschland noch fähig ist, zwischen Solidarität und Projektion zu unterscheiden. Der Text erinnert uns daran, dass Israel nicht das Problem ist, an dem sich linke Weltbilder korrigieren lassen – sondern eine Realität, an der sich ihre Ernsthaftigkeit bemisst. Und die Linksjugend Solid? Sie verwechselt den Widerstand gegen reale Unterdrückung mit dem Reflex auf symbolisches Unbehagen. Es ist ein Kampf – nicht gegen Kolonialismus, sondern gegen Erkenntnis.


Linke-Parteijugend „Kolonialer und rassistischerCharakter“ – Berliner Linksjugend hetzt gegen Israel von Frederik Schindler

 

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