Zur taz-Reportage „Das Ende des lauten Schweigens“ von Stefan Reinecke und Daniel Bax
TL;DR: „Das Ende des lauten Schweigens“ ist keine Reportage, sondern ein Bekenntnis im Gewand des Protokolls. Wo Analyse nötig wäre, tritt Akklamation. Was als Vielfalt erscheint, ist Einheitsfront mit Lautsprechern. Kritiklosigkeit als Haltung der taz.
Es gehört
zur Tragik linker Selbstgewissheit, dass sie ihre Inszenierung mit Wirklichkeit
verwechselt. Wer diesen Text von Reinecke und Bax liest, erkennt eine Empathie,
die sich nicht überfordert – aber überhitzt. Sie glauben zu berichten, wo sie
bereits bekennen. Sie glauben, zu dokumentieren, wo sie längst exekutieren –
das Urteil, das in linken Milieus inzwischen so selbstverständlich ist wie das
Dönerangebot am Hermannplatz: Israel mordet, Deutschland schweigt, die Straße
ist das letzte Wort.
Was als
Reportage daherkommt, ist kein Protokoll, sondern ein Programm. Die Dramaturgie
der Zahl – „50.000, vielleicht 100.000“ – ersetzt hier die mühsame Arbeit an
der Unterscheidung zwischen Bewegung und Masse, zwischen Politik und Pose. Und
das „laute Schweigen“, das man hier zu beenden gedenkt, war womöglich gar
keines – sondern ein Ringen um Sprache jenseits der Parole.
Reinecke und
Bax geben sich Mühe, dem Leser einen Eindruck pluraler Stimmen zu vermitteln.
Arabisch, Deutsch, Englisch, Spanisch – als reiche das Idiom zur Immunisierung
gegen Einseitigkeit. Doch wo Vielfalt behauptet wird, herrscht Eintracht:
„Genozid“, „Apartheid“, „Freiheit für Palästina“ – Begriffe, die nicht
debattiert, sondern aufgerufen werden. Und wenn der israelische
Kriegsdienstverweigerer am Abend auftritt, dann nicht als Figur der Ambivalenz,
sondern als dramaturgischer Segen, ein letzter Beweis, dass man doch
differenzieren wolle – ohne es zu tun.
Das Stück,
das hier gespielt wird, heißt nicht Diskurs, sondern Konsens. Und seine
stärkste Szene ist der Vergleich, der keiner sein will: Israel wie Russland,
Gaza wie Guernica, Palästina wie Vietnam. In dieser Weltwahrnehmung zählt
nicht, was ist, sondern wofür es sich verwenden lässt.
Die Moral der Majorität
„Die
Mehrheit der Deutschen sieht einen Genozid“ – dieser Satz fällt wie ein
Richterhammer. Als hätte politische Wahrheit jemals durch Umfragen entschieden.
Aber Umfragen sind in diesem Text mehr als Indiz: Sie sind Ersatz für Argument.
Wo Analyse nötig wäre, tritt Akklamation. Dass die Masse auf dem Alexanderplatz
nicht zur Präzision, sondern zur Parole neigt, ist kein Zufall – es ist die
Logik des Spektakels.
Und die
Autoren? Sie begleiten es nicht als skeptische Beobachter, sondern als geneigte
Chronisten. Ihre Distanz ist die des Gleichklangs. Man hört, wie die Feder
nickt.
Besonders
tragisch: Der leise Abgesang auf die alte Linke, die einmal wusste, dass
Sprache nicht nur beschreibt, sondern auch erschafft. Dass „Genozid“ nicht bloß
ein Gefühl, sondern eine Kategorie ist – mit Geschichte, mit Kriterien, mit
Konsequenzen. All das wird hier zur Lautmalerei: „Das Wort ist gefallen – also
ist es passiert.“
Dass
Reinecke und Bax das ehemalige Zögern der Linkspartei, von Genozid zu sprechen,
als Überwindung von Sprachhemmung feiern, sagt viel über den Zustand der
Debatte. Weniger über Gaza, mehr über uns. Und über eine Linke, die sich vom
Pathos der Betroffenheit die politische Urteilskraft nehmen lässt.
Nein, diese
Reportage ist keine Reportage. Sie ist ein Essay im Tarnanzug, ein Kommentar im
Gewand der Chronik. Der Kontrast, der nötig wäre – zwischen Wut und Reflexion,
Empörung und Erkenntnis – bleibt aus. Es gibt keinen Versuch, jene
auszuleuchten, die nicht mitlaufen. Keine Frage an das eigene Lager. Keine
Mühe, den Begriff „Solidarität“ zu retten vor seiner populistischen Selbstentleerung.
Was bleibt,
ist eine schreibende Sympathie, die sich für Analyse hält. Und ein Gefühl der
moralischen Überlegenheit, das sich im Lärm des eigenen Lagers bestätigt sieht.
Wo alle mitgehen, bleibt der Zweifel zurück – und der
Journalismus gleich mit.
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